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"Es gab sehr viele Druckinstrumente"

Die Grünen-Abgeordnete Marieluise Beck hat die Umstände der russischen Präsidentenwahl kritisiert. Der Druck auf die Menschen, mit der Wahl das zu vollziehen, was zuvor im Kreml beschlossen worden war, sei ungeheuer groß gewesen. Beck erwartet nun von Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass sie den künftigen Präsidenten Dmitri Medwedew daran erinnert, dass Russland als Mitglied des Europarates und der OSZE sich einer Werteordnung verpflichtet habe.

Moderation: Christian Schütte |
    Christian Schütte: Die russischen Medien jubeln, der Kreml ist zufrieden. Dmitri Medwedew ist klarer Sieger der gestrigen Wahl und damit der neue Präsident Russlands. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 70 Prozent. Von diesen Stimmen bekam Medwedew etwas über 70 Prozent - ein Wunschergebnis, aber eben auch so erwartet. Internationale Beobachter kritisieren: auch wenn das Resultat insgesamt dem Willen der Wähler entspreche, eine lupenrein demokratische Wahl sei das nicht gewesen. Am Telefon ist nun Marieluise Beck von Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist Bundestagsabgeordnete und sie hat die Wahl in Russland beobachtet. Guten Tag Frau Beck!

    Marieluise Beck: Guten Tag!

    Schütte: Wir haben von der Kritik der internationalen Wahlbeobachter gehört. Es heißt, ein Großteil der Russen selbst glaube, es sei keine faire Wahl gewesen. Aus Berlin hieß es, die Wahl sei nicht durchgehend demokratisch. Frau Beck wie geht das, ein bisschen Demokratie?

    Beck: Mein Eindruck ist doch deutlich zugespitzter. Ich habe diesmal bei meiner Tour durch die Nichtregierungsorganisationen - bei Umweltschutzgruppen, bei Bürgerrechtsgruppen, bei den Soldatenmüttern - bei allen gehört, "niemand von uns geht mehr zur Wahl, denn das ist keine mehr. Im Vorfeld ist alles heraussortiert worden, was in irgendeiner Weise eine Stimme für die politische Opposition sein könnte, und deswegen ist das für uns keine Wahl." Und das zweite Moment, was sehr deutlich überall dann am Wahltag zusammengetragen wurde bei Golos, einer russischen unabhängigen Nichtregierungsorganisation für die Wahlbeobachtung: der Druck auf die Menschen, nun das zu vollziehen, was im Kreml beschlossen worden war, war ungeheuer groß.

    Schütte: Sie sagen, Sie haben viele Menschen getroffen die sagen, wir gehen gar nicht erst zur Wahl. Wie erklären Sie sich dann die hohe Wahlbeteiligung von fast 70 Prozent?

    Beck: Es gab sehr viele Druckinstrumente. Die fingen bei den leichteren Methoden an, dass Studenten in den Studentenwohnheimen im Laufe des Tages doch sehr deutlich aufgefordert worden sind, nun endlich ihrer Pflicht nachzugehen. Es gab ein Beispiel einer Erzieherin, die dazu verpflichtet worden ist, die Eltern der Kinder zur Urne zu bringen. Man hat ihr bedeutet, sonst könnten die Zuschüsse für den Kindergarten gestrichen werden. Und es gab immer auch in Fabriken, in Universitäten deutlichen Druck bis dahin, dass für Stimmen bezahlt worden ist. Während ich in diesem Golos-Zentrum war rief ein Berichterstatter an und sagte, hier werden 400 Rubel verteilt vor dem Wahllokal pro Stimme für Medwedew.

    Schütte: Sie sagen es wurde Druck auf Menschen ausgeübt. Wie passt das dann zur Einschätzung vieler internationaler Beobachter, die wir gehört haben, die gesagt haben, es war zwar kein fairer Wahlkampf, aber am Ende, wenn alles lupenrein gewesen wäre, wäre Medwedew trotzdem der Sieger gewesen.

    Beck: Das kann durchaus sein, denn in einer Medienwelt, die faktisch gleichgeschaltet ist, wo alle großen Fernsehsender - und das sind die eigentlichen Meinungsmacher in Russland - inzwischen wie ja Gasprom dem Kreml zugetan sind und seine Kandidaten puscht, konnte man in den ganzen Wochen und Monaten jetzt überhaupt nur Putin und Medwedew mit Jubelberichterstattungen im Fernsehen sehen. Es sind junge Menschen auf die Straße gekarrt worden gestern Abend zu einem großen Jubelfest, obwohl ja eigentlich die Wahl noch gar nicht ausgezählt war. In Tschetschenien haben wir 92 Prozent Zustimmung für Medwedew, wo Grosny zerschossen worden ist durch russische Militärs. Das alles zeigt, dass hier heftig im Vorfeld auf die Meinungsbildung der Menschen Einfluss genommen worden ist.

    Schütte: Bundeskanzlerin Merkel hat Medwedew bereits umfassende Zusammenarbeit angeboten. Wäre bei dem was Sie erzählen nicht ein deutlich kritisches Wort aus Berlin in Richtung Moskau angesagt?

    Beck: Man wird natürlich zunächst einmal versuchen auszutesten, was möglich ist. Ist wirklich etwas Neues möglich? Ich würde sagen, das wissen Putin und Medwedew vermutlich selber noch nicht, denn es kommt ja zu einer neuen Machtkonstellation im Kreml, die ungewöhnlich ist. Zwei müssen sich eine Macht teilen. Das ist neu. Der ehemalige Präsident wird jetzt zu demjenigen, der Alltagspolitik machen und auch vertreten muss. Früher rollten die Köpfe der Ministerpräsidenten, wenn irgendetwas schief lief. Wie also dieses neue Machtgefüge im Kreml mit den rivalisierenden Geheimdienstgruppen, mit den Oligarchen und den großen Gas- und Ölmonopolen, wie die ihre Macht neu ausbalancieren werden, wissen wir noch nicht. Und was politisch dann dabei heraus kommen wird, ob tatsächlich ein Stück mehr Rechtstaatlichkeit oder vielleicht sogar mehr Chaos und Instabilität, das würde ich heute für offen halten.

    Schütte: Erwarten Sie denn, wenn die Bundeskanzlerin wie sie sagt schnell den neuen Präsidenten trifft, dass sie gegebenenfalls auch kritische Töne anschlägt?

    Beck: Das erwarte ich sehr wohl von ihr, wobei sie zunächst einmal noch den stellvertretenden Ministerpräsidenten trifft, denn die Einsetzung wird ja erst später vollzogen. Aber natürlich erwarte ich von ihr, dass sie immer wieder russische Repräsentanten daran erinnert, dass Russland als Mitglied des Europarates und der OSZE sich einer Werteordnung verpflichtet hat, die es einzuhalten gilt. Das ist Rechtstaatlichkeit, das ist Versammlungsfreiheit, das ist natürlich auch Medienfreiheit und das heißt auch man kann nicht willkürlich einen Konzern zerschlagen wie Yukos und seinen Besitzer an der Grenze zu China ins Gefängnis sperren, nur weil eine andere große Ölgesellschaft scharf auf die Aktienanteile ist.

    Schütte: Das sind auch die Themen der russischen Opposition. Sollte die die deutsche Politik dann nicht auch unterstützen?

    Beck: Die russische Opposition ist etwas betrübt darüber, dass aus Deutschland nicht immer Unterstützung gekommen ist. Das geflügelte Wort von dem lupenreinen Demokraten Putin hat es der russischen Opposition nicht gerade leichter gemacht unter sowieso schon sehr schwierigen Bedingungen, weil sie immer bezichtigt wird, dass sie vom Ausland finanziert sei, dass es Spione seien, dass sie das Geschäft fremder Mächte verrichten würden. Wir sind gut beraten, diese Menschen, die oft sehr, sehr mutig sind, unter den unglaublich schwierigen Bedingungen, unter denen sie arbeiten, mit aller Kraft zu unterstützen.

    Schütte: Bei aller Kritik, viele Beobachter sagen aber auch, Putin hat Russland wieder gestärkt. Ist Kontinuität in dem Land dann nicht doch vielleicht wichtiger als Demokratie?

    Beck: Wir haben auf der einen Seite tatsächlich eine gewisse Reorganisation auf Seiten der Wirtschaft. Das ist die Wiederherstellung der Monopole der großen Ressourcengesellschaften. Aber wir haben unendlich viel Korruption. Korruption ist Alltag in Russland. Wir haben keine rechtstaatliche Verlässlichkeit - siehe der Fall Yukos - und wir haben unendlich viel Kapital, das nach außen fließt. Das heißt die Menschen sichern ihre wirtschaftliche Zukunft im Ausland und nicht in Russland, was ja ein Zeichen dafür ist, dass sie selbst einer stabilen Entwicklung nicht wirklich trauen. Wir sind also sehr gut beraten, auch die ökonomischen Daten etwas genauer anzuschauen.

    Schütte: Sie haben die Korruption angesprochen. Genau die möchte Medwedew - zumindest hat er das so angekündigt - bekämpfen. Ist das ein leeres Versprechen?

    Beck: Vielleicht will er es wirklich. Die Frage ist, ob er es kann. Die Zahl der Beamten - seit der Breschnew-Zeit 700.000; jetzt 1,5 Millionen - ist verdoppelt worden. Alle halten ihre Hand auf. Der Geheimdienst, der den Kreml besetzt hat und die Gesellschaft durchzieht, will seinen Anteil. In so einem korrupten System, wo jeder abdrücken muss, muss dann natürlich auch der kleine Polizist und der Universitätslehrer für sich sorgen. Das ist ein großes Projekt und ich bin mir noch nicht sicher, ob Herr Medwedew als Präsident genug im Kreuz haben wird, um dieser grassierenden Korruption wirklich mit Erfolg entgegenzuwirken.

    Schütte: Ein weiteres Thema von ihm ist die Öffnung seines Landes in Richtung Europa. Was heißt das konkret? Medwedew war zuvor im Aufsichtsrat bei Gasprom. Ist also der Stromkonzern in Europa weiter auf dem Vormarsch?

    Beck: Der Gaskonzern bemüht sich natürlich, eine Verflechtung mit dem Westen herzustellen. Wir sind in dieser Weise ja gegenseitig aufeinander angewiesen: wir als Kunden und Russland als Empfänger von Devisenzahlungen. Die Hälfte des russischen Staatshaushalts kommt ausschließlich aus der Abschöpfung der Devisen für Gas- und Ölexporte. Eine Verflechtung ist ja auch gut, wenn sie auf Gegenseitigkeit beruht und wenn wirklich verlässliche rechtstaatliche Grundlagen da sind. Shell ist zum Teil herausgedrängt worden aus seinem Anteil bei der Gasproduktion. E.On ist jetzt reingeholt worden. Wir sehen: Ganz stabil und verlässlich sind die Grundlagen leider nicht.

    Schütte: Marieluise Beck, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und Beobachterin der russischen Präsidentschaftswahl. Ich danke für das Gespräch.