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"Es geht nicht mehr nur um Nord-Süd"

Der Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), Achim Steiner, begrüßt den von der UNO-Generalversammlung verabschiedeten Rahmen für neue Nachhaltigkeitsziele. Die Weltorganisation nehme damit die Industrieländer wieder stärker in die Verantwortung.

Achim Steiner im Gespräch mit Jule Reimer | 26.09.2013
    Jule Reimer: Die Situation in Syrien und das Atomprogramm des Iran bestimmen derzeit die Generalversammlung der UN-Mitgliedsstaaten in New York. Dabei war ein weiteres Ziel des Treffens, neue Nachhaltigkeitsziele, im UN-Wortlaut Sustainable Development Goals, für die Völkergemeinschaft auf den Weg zu bringen, die die sogenannten Millenium-Entwicklungsziele zur Armutsbekämpfung ab 2015 ergänzen sollen. In New York sollte jetzt eigentlich auch Achim Steiner sein, der Chef des UN-Umweltprogramms UNEP. Für das Interview erreichte ich ihn allerdings in Nairobi, weil UNEP seinen Hauptsitz dort hat und er wegen des Terrorangriffs direkt zurückgeflogen war. Ich fragte ihn als erstes, wie es den Menschen in Nairobi und seinen UN-Mitarbeitern geht.

    Achim Steiner: Den Mitarbeitern geht es den Umständen entsprechend gut. Wir haben einen Mitarbeiter verloren, aber sehr viele Mitarbeiter waren auch in dem Einkaufszentrum zur Zeit des Angriffes und konnten erst über mehrere Stunden und einige sogar am Tag später befreit werden. Natürlich lastet auf dem Land im Moment eine schwere Bürde, denn ein solcher Angriff ist dramatisch, er hat die Schockwirkung erreicht. Aber was auch wieder ermutigend ist, ist, wie die Bevölkerung Kenias reagiert hat. Ich würde sagen, trotz dieses Angriffes ist dieses Land in dieser Woche ein stärkeres Land, als es letzte Woche war, und das ist vielleicht ein Trost bei dieser Tragödie.

    Reimer: Blicken wir jetzt nach New York. Bringt denn das Treffen in New York angesichts der vielen anderen Probleme, Syrien, die Auseinandersetzung mit dem Iran, überhaupt etwas für den Umweltschutz auf internationaler Ebene?

    Steiner: Ich glaube, sehr wohl, denn gerade gestern haben ja die Staats- und Regierungschefs sich zu den Milleniums-Entwicklungszielen noch einmal geäußert und auch ein neues Rahmenwerk für die Verhandlung der neuen Nachhaltigkeitsziele verabschiedet. Das heißt, die Vereinten Nationen sind auf einem klaren Zeitplan, bis 2015 eine neue Entwicklungsagenda zu entwickeln, in der die Nachhaltigkeit ein zentraler Pfeiler ist und wo auch die Umweltpolitik viel stärker als in der Vergangenheit nicht mehr als Begleiterscheinung oder als nachrangiges Ziel behandelt wird, sondern ein integraler Bestandteil der drei sogenannten Dimensionen nachhaltiger Entwicklung ist. Das heißt: ökonomische, soziale und ökologische Dimensionen sind verbunden in einem Rahmenwerk, das vor allem auch alle Länder anspricht in Zukunft. Es geht nicht mehr nur um Nord-Süd, sondern die Entwicklungsziele 2015 und die Agenda soll ja sozusagen die Staatengemeinschaft als Ganzes mit einbeziehen und auch die Verantwortung der Industrieländer wieder stärker in den Vordergrund bringen.

    Reimer: Für diese Nachhaltigkeitsziele sollen die Regierungen dann auch Rechenschaft ablegen. Bisher bläst ein Europäer und erst recht ein US-Amerikaner mit seinem Lebensstil ein Mehrfaches an CO2 in die Atmosphäre als beispielsweise ein Chinese oder ein Inder. Wenn es in der Zukunft gerechter zugehen soll, heißt das nicht, Verzicht in großem Stil für die reicheren Menschen in den Industriestaaten?

    Steiner: Ich glaube, Verzicht ist nicht das erste Prinzip, sondern es geht vor allem um Fairness und auch, um die Optik zu korrigieren. Viele der Diskussionen, ob das nun Klimawandel ist, Ressourcennutzung, werden heute sehr oft unter dem Gesichtspunkt "andere machen etwas, was nicht in unserem Interesse ist" geführt, und gerade das ist ja auch das Ziel und das Prinzip der Vereinten Nationen, hier mit sachlicher und auch wissenschaftlich fundierter Analyse aufzuzeigen, wie können sieben Milliarden Menschen verteilt über 200 Länder der Erde letztlich das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung umsetzen. Das wird natürlich auch bei Industrieländern zum Beispiel in der Energieeffizienz viel stärkere Leistung fordern, aber auch der Übergang zum Beispiel der Schwellenländer in die moderne globale Wirtschaft wird von ihnen verlangen, dass sie viel stärker das Prinzip der Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz umsetzen. Darum geht es: einen fairen Kompass zu verhandeln, in dem alle Länder mit ihren unterschiedlichen Realitäten und Wegen gemeinsam vorangehen können.

    Reimer: Stichwort Notwendigkeit für Veränderungen. Morgen wird der Weltklimarat in Stockholm seinen fünften Bericht zum Klimawandel veröffentlichen. Die Klimaerwärmung hat sich aber in den vergangenen 15 Jahren kaum bemerkbar gemacht. Da fragt mancher, angesichts dieser Fakten, ob wir uns die Energiewende in Deutschland weg von der Kohle mit all ihren Mühen nicht sparen können.

    Steiner: Ja, schön wäre es, kann ich nur sagen. Und natürlich gibt es den Bericht des Weltklimarates und man muss immer wieder hervorheben, dort sind tausend Seiten wissenschaftlicher Forschung zusammengefasst. Dass man natürlich eine Seite und einen bestimmten Aspekt jetzt sehr stark hervorhebt, der es vielleicht manchem leichter machen wird zu sagen, ach das ist ja gar nicht so ernst, davor würde ich warnen. Wenn Sie den Klimabericht und morgen auch die Wissenschaftler, die Regierungsvertreter dort hören werden, dann ist eindeutig die Aussage, der Klimawandel ist ein reales Phänomen. Das, was wir als Menschen mit unserer Wirtschaft dazu beitragen, ist fast über jeden Zweifel erhaben, und diese Phänomene in diesen kurzfristigen Zeitabläufen – und 15 Jahre sind ja in der Klimaforschung der Erdgeschichte nur eine Sekunde sozusagen -, diese Phänomene verstehen wir noch nicht ganz. Aber die Grundtrends, die Grundelemente der wissenschaftlichen Belege zum Klimawandel, zur globalen Erwärmung sind weiterhin vom Weltklimarat bestätigt. Und ich kann immer nur sagen: Diejenigen, die sich mit den Fragezeichen befassen wollen, können dies tun, aber das Risiko ist viel zu groß, nicht die überwältigende Aussage des Weltklimarats und der Wissenschaft ernst zu nehmen. Wir haben ein Phänomen hier, das ein enormes Risiko für die Zukunft der Menschheit darstellt. Warum immer wieder das Handeln verzögern? Und wir haben ja auch in Deutschland bewiesen: Eine Energiewende ist ja nicht nur eine Klimaaufgabe, sondern sie ist auch eine Möglichkeit, unsere Energietechnik sauberer zu machen, neue Technologien zu entwickeln, unabhängiger zu werden. Das heißt: Manches, was von der Klimaentwicklung vorangetrieben wurde, ist im volkswirtschaftlichen Sinne mittel- bis langfristig im Interesse der deutschen Wirtschaft auch.

    Reimer: Das Interview mit UNEP-Chef Achim Steiner haben wir aufgezeichnet. Bitte entschuldigen Sie die Qualität der Telefonleitung nach Nairobi.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.