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"Es gibt auch Widerstand gegen diese radikalen Positionen"

Nach Ansicht von Stefan Winkler vom Goethe-Institut in Kairo herrscht in einem Großteil der muslimischen Gesellschaft eine Ablehnung gegenüber den gewalttätigen Ausschreitungen, die der Mohammed-Clip dieser Tage in Ägypten, dem Jemen und Libyen ausgelöst hat.

Stefan Winkler im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 13.09.2012
    Stefan Koldehoff: Karikaturen in Skandinavien, ein Theaterbühnenbild in Berlin - und nun ein Film minderster Machart und dubiosester, angeblich US-amerikanischer Herkunft im Internet: Immer wieder waren es kulturelle Produktionen aus dem Westen, die Teile der arabischen Welt in Aufruhr versetzt haben. Gestern wieder mit tragischen Folgen: Gewaltexzesse in Ägypten, dem Jemen, in Libyen.

    Ob auch der Tod des US-Botschafters in Bengasi und drei seiner Mitarbeiter damit zusammenhängt, ist noch unklar. Da gelingt es Ländern, ihre Diktatoren zu stürzen und freie Wahlen zu organisieren. Und dennoch, so hat es zumindest den Anschein, ändert sich nicht viel am Hass auf den Westen und seine Kultur. Und so habe ich Stefan Winkler gefragt, im Goethe-Institut in Kairo für die Begleitung der Transformationsprozesse zuständig: Teilen Sie diese Einschätzung, dass sich da nichts ändert?

    Stefan Winkler: Ja, wobei gut: Hass ist ein sehr weiter Begriff. Es gibt, denke ich mal, in weiten Bevölkerungskreisen einfach eine Ablehnung dessen, was hier verstanden wird als Versuch des Westens, die Region dominieren zu wollen, politisch kontrollieren zu wollen, es wird auch verstanden als eine Art von permanentem Angriff des Westens auf die islamische Kultur, auf die eigene Identität. Also in dem Kontext muss das gelesen werden.

    Koldehoff: Angegriffen wurden und werden heute wohl auch im Jemen vor allen Dingen US-Einrichtungen. Heißt das, es geht nicht allgemein um "Den Westen", so es ihn überhaupt gibt, sondern konkret gegen die USA?

    Winkler: Ja und nein. Im größeren ist das schon eine antiwestliche Einstellung, aber in der politischen, ökonomischen, militärischen Kraft der USA kristallisiert sich das natürlich. Die USA werden eben als der Repräsentant des Westens wahrgenommen und aus der Sicht hier werden die USA verantwortlich gemacht für viele der politischen Entwicklungen - Stichwort Irak, Stichwort Afghanistan, Stichwort Israel-Palästina - hier in der Region.

    Koldehoff: Die Bilder, die wir hier bekommen, zeigen natürlich immer nur einen Ausschnitt. Man sieht die Gewaltbereiten ganz vorn, die Steine werfen, mit Feuer hantieren, über Zäune zu klettern versuchen. Sind das gesteuerte Gruppen, oder haben Sie das Gefühl, dass sich da so etwas wie eine breite Mehrheit ihren Weg bahnt?

    Winkler: Genau da muss man differenzieren, denke ich. Wir beobachten ja auch hier, was in den sozialen Netzwerken im Internet, was da diskutiert wird, auch auf Arabisch, in Facebook und anderen Netzen, und da sieht man eigentlich eine ganz, ganz breite Ablehnung dieser gewalttätigen Ausschreitungen. Wenn es darum geht, dass Menschen hier angegriffen werden, gar getötet werden, da ist eine ganz eindeutige Verurteilung, und zwar bis in religiöse Gruppen hinein. Insofern würde ich sagen, diese Gruppen, die man jetzt dort sieht vor der amerikanischen Botschaft, spiegeln nach meiner Beobachtung nur ein kleines Spektrum der Gesellschaft wieder.

    Koldehoff: Der ägyptische Staatspräsident hat sich heute auch ganz unmissverständlich dazu geäußert und gesagt, so etwas geht selbstverständlich überhaupt nicht, ist absolut indiskutabel. Gibt es andere Gruppen, die das jenseits des Internets, jenseits der sozialen Netzwerke auch laut tun?

    Winkler: Ja ich denke, was wir hier beobachten ist auch, dass sich im islamischen Diskurs, hinter den verschiedenen Gruppen auch die Positionen ausdifferenzieren, und das wird jetzt auch noch ein längerer Prozess sein. So habe ich heute auch im Internet gesehen, dass vor der Botschaft wohl auch ein radikaler Prediger aufgetreten ist, der dann von einer Frau in Kopftuch in die Schranken gewiesen worden ist vor der ganzen Öffentlichkeit, weil er dazu aufgerufen hatte, dass man jetzt dann auch eben die Bibel verbrennen könnte. Das heißt, es gibt auch sozusagen innerhalb der islamischen Positionen ganz unterschiedliche Gruppen und es gibt eben auch einen Widerstand gegen diese radikalen Positionen.

    Koldehoff: Wagen Sie da schon so etwas wie eine Prognose, wie dieser Diskurs ausgehen könnte?

    Winkler: Oh! Mit Prognosen wäre ich da ganz vorsichtig. Aber ich denke, dass es zu einer weiteren Ausdifferenzierung kommen wird, und zwar auch deshalb, weil früher im System Mubarak gab es ja quasi nur den Staat, der sich selber nicht als islamischer Staat, aber als Staat, in dem der Islam respektiert wird, gesehen hat, und dann quasi eine islamische Opposition. Jetzt, wo diese islamische Opposition selbst in Gestalt der Muslimbrüder den Präsidenten stellt, jetzt differenzieren sich natürlich die Positionen aus, sowohl rechts als auch links davon. Ich denke, dieser pragmatische politische Prozess wird weitergehen.

    Koldehoff: Sie sind im Goethe-Institut in Kairo der Koordinator für die Projekte der sogenannten Transformationsprozesse. Das heißt, Sie versuchen, den Wandel ein wenig zu begleiten - zu beeinflussen wäre wahrscheinlich zu stark gesagt. Welche Möglichkeiten haben Sie denn überhaupt, mit rationalen Vernunftargumenten gegen einen solchen irrationalen Prozess, wie er da offenbar gerade stattfindet, anzusteuern?

    Winkler: Genau. "Zu begleiten" ist das richtige Wort. Deutschland hat ja mit Ägypten und mit Tunesien eine sogenannte Transformationspartnerschaft vereinbart und Gelder bereitgestellt, um diese Prozesse zu begleiten. Natürlich ist unser Einfluss da sicher bescheiden. Auf der anderen Seite darf man auch nicht übersehen, dass gerade solche Deutschland-Aufenthalte und solche Qualifizierungsmaßnahmen und vor allem auch die Begegnung dann mit anderen Menschen, dass das ja wirklich zu nachhaltigen Kontakten führt, die teilweise auch ganze Biographien verändern können. Von daher ist das vielleicht ein kleiner Tropfen auf den Stein, aber ein stetiger.

    Koldehoff: ... , sagt und hofft Stefan Winkler, Goethe-Institut Kairo, zu den neuen gewalttätigen Protesten in Teilen der arabischen Welt.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.