Katrin Michaelsen: Die Region um die Stadt Osch gilt schon lange als Pulverfass. Umso schwieriger gestaltet sich nun die Suche nach den Urhebern der Ausschreitungen. Ich habe vor dieser Sendung mit Uwe Halbach gesprochen - dem Zentralasien-Experten der Stiftung Wissenschaft und Politik – und ihn zunächst gefragt, wen er hinter den Gewalttaten vermutet?
Uwe Halbach: Es gibt Hinweise auf verschiedene Personenkategorien, auf Drahtzieher. Wir haben also einmal ein Bild elementarer Gewalt, wo man nicht mehr ausmachen kann, wieweit das unter Regie steht, wieweit das organisiert ist, und dann gibt es aber auch immer wieder die Hinweise darauf, dass da jemand Regie führt, dass da Drahtzieher sind; in Bischkek sind sogenannte Provokateure verhaftet worden, die damit in Verbindung gebracht werden, und es sind vor allem drei Personenkreise, die hier genannt werden: Das ist einmal die Familie des gestürzten Präsidenten, weniger der Präsident selbst, Kurmanbek Bakijew, sondern sein Sohn Maxim, der mit Verwandten korrespondiert, angeblich korrespondiert hat über die Lage in dem Land – da ist ein Telefongespräch präsentiert, auf YouTube präsentiert worden, da war die Rede, man müsse gewisse Halsabschneider mobilisieren, also Gewaltakteure mobilisieren, um die jetzige Regierung zu schwächen. Inwieweit nun wirklich das Auswirkungen auf die Situation in den Südprovinzen hatte, sei dahingestellt.
Der zweite Personenkreis sind lokale Regierungsbeamte aus dem Süden, die von dem alten Regime aufgestellt worden sind aus der Klientel Bakijews, die dann von der Interimsregierung abgesetzt worden sind und die jetzt um ihre Machtposition kämpfen. Und dann gibt es noch einen anderen Personenkreis, der genannt wird, nämlich kriminelle Autoritäten, die mit der alten Regierung teilweise eng verbändelt waren. Da werden legendäre Namen genannt wie der Schwarze Aibek, der jetzt vor Kurzem getötet wurde auch in Schießereien … Das sind so die Drahtzieher, die Akteure, die hier genannt werden, aber ein ganz klares Bild, ein beweisbares Bild existiert in dieser Situation natürlich nicht.
Michaelsen: Wem nützt denn der Konflikt am allermeisten von diesen drei Gruppen?
Halbach: Na ja schon dem Ancien Régime, dem gestürzten Regime und seinen Verbindungsleuten, besonders im Süden des Landes. Insofern wird natürlich immer wieder darauf hingewiesen, dass dieser Personenkreis dahinter steht, das hat zunächst einmal die Interimsregierung behauptet, was noch nicht unbedingt dann unbedingt ernst zu nehmen ist, das kann natürlich auch eine Schutzbehauptung sein, weil die Regierung nicht in der Lage ist, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Also Korrespondenten vor Ort berichten, dass aus der Bevölkerung diese Hinweise kommen, und zwar sowohl aus der usbekischen als auch aus der kirgisischen Bevölkerung, also aus den beiden Bevölkerungsteilen, die hier aneinandergeraten sind.
Michaelsen: Sie haben die usbekischen Bevölkerungsteile angesprochen. Nur 14 Prozent der Bevölkerung Kirgistan ist usbekisch, ein Großteil von ihnen lebt im Süden des Landes. Geht es womöglich auch darum, die Usbeken aus der Region zu vertreiben?
Halbach: Ob das der Plan ist, sei mal dahingestellt. Im Effekt läuft es jetzt im Moment tatsächlich darauf hinaus, denn die UNO berichtet von 400.000 Flüchtlingen vor allem im Süden des Landes. Das ist eine ganz erhebliche Zahl und wenn das überwiegend usbekische Flüchtlinge sind, dann wäre es in der Tat ein Großteil, schon ein großer Teil der in diesem Landesteil Kirgistans lebenden usbekischen Minderheit. Ob nun wirklich die Absicht dahintersteckt, diese usbekische Gemeinde zu vertreiben, darüber kann ich noch keine gesicherten Aussagen machen. Aber es ist natürlich so, dass zwischen Kirgisen und Usbeken seit Langem gewisse Spannungen bestehen.
Kirgistan hat vor allem zwei grundlegende strukturelle Probleme gezeigt seit dem Beginn seiner Unabhängigkeit: Das ist einmal ein deutlicher Nord-Süd-Gegensatz, eine gewissermaßen Zweiteilung des Landes in die Nordprovinzen und die Südprovinzen; und das ist in den Südprovinzen das Verhältnis zwischen dem kirgisischen Bevölkerungsteil und dem usbekischen Bevölkerungsteil. Und das, was jetzt passiert, diese Pogrome, diese entfesselte Gewalt, das erinnert an Vorfälle aus dem Jahr 1990, wo schon einmal Kirgisen, kirgisische Banden auf Usbeken losgegangen sind – damals wurden auch ungefähr 1000 Todesopfer benannt und damals sind noch sowjetische Sicherheitskräfte, haben interveniert. Im Moment haben wir eben dieses Sicherheitsvakuum in Kirgistan und die Frage, ob die Interimsregierung mit dieser Situation fertig werden kann.
Michaelsen: Warum hält sich denn Usbekistan, der große Nachbarstaat, derzeit zurück?
Halbach: Also zunächst ist es gut so, dass sich Usbekistan zurückhält. Denn wenn Usbekistan hier intervenieren würde mit Waffengewalt, dann wäre in der Tat möglicherweise eine Kriegssituation in diesem Teil Zentralasiens. Also es gibt seit Langem sicherheitspolitische Spannungen zwischen Usbekistan und Kirgistan, es hatte schon in früheren Zeiten den Fall gegeben, dass Usbekistan seine Grenze gegenüber Kirgistan geschlossen hat mit Blick auf die Sicherheitssituation dort in dem Land, und wenn Usbekistan jetzt intervenieren würde in diese Situation ja, wo ja vor allem Usbeken bedrängt werden, das wäre eine sehr riskante Aktion. Aber bislang halten sich ja auch andere Akteure mit Interventionen zurück, sogar die, die von der Regierung ausdrücklich gebeten worden sind zu intervenieren wie etwa Russland. Die EU hat gerade eine Resolution herausgebracht, in der dringlich appelliert wird an westliche Sicherheitsorganisationen, EU, UNO, OSZE, hier etwas zu tun, aber es gibt nirgendwo eine potenzielle Interventionsmacht, die derzeit dabei ist, Sicherheitskräfte bereitzuhalten und nach Kirgistan zu schicken.
Michaelsen: Warum meinen Sie zögert Russland? Nur aus diesen Gründen, die Sie eben geschildert haben, oder gibt es dort auch andere Gründe?
Halbach: Also Russland möchte vor allem nicht einseitig agieren, es möchte nicht als Russland agieren, sondern es möchte im Rahmen der Organisation kollektiver Sicherheitspakt, also im Rahmen dieser Sicherheitsorganisation innerhalb der GUS, der sieben GUS-Staaten angehören, agieren. Wobei aber eben auch in dieser Organisation eine gewisse Zurückhaltung gezeigt wurde. Es gibt Mitgliedstaaten, insbesondere auch Usbekistan war das in der Vergangenheit, die große Bedenken anmelden gegen die Intervention dieser Organisation in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedstaates. Aber heute ist man zumindest soweit, dass man sagt, man will Sicherheitsexperten dorthin schicken, man will Experten für die Bekämpfung von Aufstandssituationen dorthin schicken. Das ist weit unterhalb einer breiter gefächerten Friedenstruppe, aber man will halt signalisieren, dass man etwas tun will.
Michaelsen: Da wären ja auch die USA, deren Nachschub in Afghanistan gefährdet wäre, sollten die Unruhen anhalten. Aber auch die USA halten sich zurück.
Halbach: Ja, auch die halten sich zurück. Sie haben zwar ihre Streitkräfte auf der Militärbasis (sie haben ja eine Militärbasis in Kirgistan, die Basis Manas) in Stellung gebracht, aber zur Sicherung dieses Personals, ihres eigenen Personals. Auch die Russen haben ja eine Militärbasis in Kirgistan, das ist meines Wissens das einzige Land, wo russische und amerikanische Militärbasen nebeneinander bestehen, aber hier haben sich auch beide Seiten zurückgehalten von diesen Basen aus irgendwelche militärische Kräfte in den Süden zu schicken. Was man sagen kann, ist eigentlich doch das, dass diese sehr ernsthafte Situation in Kirgistan im Vorfeld von Afghanistan, im nördlichen Vorfeld von Afghanistan, eigentlich eine Situation ist, wo westliche und eurasische Akteure zusammenarbeiten sollten, denn es ist eine Herausforderung an beide Seiten. Für beide Seiten ist das eine Besorgnis erregende Situation.
Uwe Halbach: Es gibt Hinweise auf verschiedene Personenkategorien, auf Drahtzieher. Wir haben also einmal ein Bild elementarer Gewalt, wo man nicht mehr ausmachen kann, wieweit das unter Regie steht, wieweit das organisiert ist, und dann gibt es aber auch immer wieder die Hinweise darauf, dass da jemand Regie führt, dass da Drahtzieher sind; in Bischkek sind sogenannte Provokateure verhaftet worden, die damit in Verbindung gebracht werden, und es sind vor allem drei Personenkreise, die hier genannt werden: Das ist einmal die Familie des gestürzten Präsidenten, weniger der Präsident selbst, Kurmanbek Bakijew, sondern sein Sohn Maxim, der mit Verwandten korrespondiert, angeblich korrespondiert hat über die Lage in dem Land – da ist ein Telefongespräch präsentiert, auf YouTube präsentiert worden, da war die Rede, man müsse gewisse Halsabschneider mobilisieren, also Gewaltakteure mobilisieren, um die jetzige Regierung zu schwächen. Inwieweit nun wirklich das Auswirkungen auf die Situation in den Südprovinzen hatte, sei dahingestellt.
Der zweite Personenkreis sind lokale Regierungsbeamte aus dem Süden, die von dem alten Regime aufgestellt worden sind aus der Klientel Bakijews, die dann von der Interimsregierung abgesetzt worden sind und die jetzt um ihre Machtposition kämpfen. Und dann gibt es noch einen anderen Personenkreis, der genannt wird, nämlich kriminelle Autoritäten, die mit der alten Regierung teilweise eng verbändelt waren. Da werden legendäre Namen genannt wie der Schwarze Aibek, der jetzt vor Kurzem getötet wurde auch in Schießereien … Das sind so die Drahtzieher, die Akteure, die hier genannt werden, aber ein ganz klares Bild, ein beweisbares Bild existiert in dieser Situation natürlich nicht.
Michaelsen: Wem nützt denn der Konflikt am allermeisten von diesen drei Gruppen?
Halbach: Na ja schon dem Ancien Régime, dem gestürzten Regime und seinen Verbindungsleuten, besonders im Süden des Landes. Insofern wird natürlich immer wieder darauf hingewiesen, dass dieser Personenkreis dahinter steht, das hat zunächst einmal die Interimsregierung behauptet, was noch nicht unbedingt dann unbedingt ernst zu nehmen ist, das kann natürlich auch eine Schutzbehauptung sein, weil die Regierung nicht in der Lage ist, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Also Korrespondenten vor Ort berichten, dass aus der Bevölkerung diese Hinweise kommen, und zwar sowohl aus der usbekischen als auch aus der kirgisischen Bevölkerung, also aus den beiden Bevölkerungsteilen, die hier aneinandergeraten sind.
Michaelsen: Sie haben die usbekischen Bevölkerungsteile angesprochen. Nur 14 Prozent der Bevölkerung Kirgistan ist usbekisch, ein Großteil von ihnen lebt im Süden des Landes. Geht es womöglich auch darum, die Usbeken aus der Region zu vertreiben?
Halbach: Ob das der Plan ist, sei mal dahingestellt. Im Effekt läuft es jetzt im Moment tatsächlich darauf hinaus, denn die UNO berichtet von 400.000 Flüchtlingen vor allem im Süden des Landes. Das ist eine ganz erhebliche Zahl und wenn das überwiegend usbekische Flüchtlinge sind, dann wäre es in der Tat ein Großteil, schon ein großer Teil der in diesem Landesteil Kirgistans lebenden usbekischen Minderheit. Ob nun wirklich die Absicht dahintersteckt, diese usbekische Gemeinde zu vertreiben, darüber kann ich noch keine gesicherten Aussagen machen. Aber es ist natürlich so, dass zwischen Kirgisen und Usbeken seit Langem gewisse Spannungen bestehen.
Kirgistan hat vor allem zwei grundlegende strukturelle Probleme gezeigt seit dem Beginn seiner Unabhängigkeit: Das ist einmal ein deutlicher Nord-Süd-Gegensatz, eine gewissermaßen Zweiteilung des Landes in die Nordprovinzen und die Südprovinzen; und das ist in den Südprovinzen das Verhältnis zwischen dem kirgisischen Bevölkerungsteil und dem usbekischen Bevölkerungsteil. Und das, was jetzt passiert, diese Pogrome, diese entfesselte Gewalt, das erinnert an Vorfälle aus dem Jahr 1990, wo schon einmal Kirgisen, kirgisische Banden auf Usbeken losgegangen sind – damals wurden auch ungefähr 1000 Todesopfer benannt und damals sind noch sowjetische Sicherheitskräfte, haben interveniert. Im Moment haben wir eben dieses Sicherheitsvakuum in Kirgistan und die Frage, ob die Interimsregierung mit dieser Situation fertig werden kann.
Michaelsen: Warum hält sich denn Usbekistan, der große Nachbarstaat, derzeit zurück?
Halbach: Also zunächst ist es gut so, dass sich Usbekistan zurückhält. Denn wenn Usbekistan hier intervenieren würde mit Waffengewalt, dann wäre in der Tat möglicherweise eine Kriegssituation in diesem Teil Zentralasiens. Also es gibt seit Langem sicherheitspolitische Spannungen zwischen Usbekistan und Kirgistan, es hatte schon in früheren Zeiten den Fall gegeben, dass Usbekistan seine Grenze gegenüber Kirgistan geschlossen hat mit Blick auf die Sicherheitssituation dort in dem Land, und wenn Usbekistan jetzt intervenieren würde in diese Situation ja, wo ja vor allem Usbeken bedrängt werden, das wäre eine sehr riskante Aktion. Aber bislang halten sich ja auch andere Akteure mit Interventionen zurück, sogar die, die von der Regierung ausdrücklich gebeten worden sind zu intervenieren wie etwa Russland. Die EU hat gerade eine Resolution herausgebracht, in der dringlich appelliert wird an westliche Sicherheitsorganisationen, EU, UNO, OSZE, hier etwas zu tun, aber es gibt nirgendwo eine potenzielle Interventionsmacht, die derzeit dabei ist, Sicherheitskräfte bereitzuhalten und nach Kirgistan zu schicken.
Michaelsen: Warum meinen Sie zögert Russland? Nur aus diesen Gründen, die Sie eben geschildert haben, oder gibt es dort auch andere Gründe?
Halbach: Also Russland möchte vor allem nicht einseitig agieren, es möchte nicht als Russland agieren, sondern es möchte im Rahmen der Organisation kollektiver Sicherheitspakt, also im Rahmen dieser Sicherheitsorganisation innerhalb der GUS, der sieben GUS-Staaten angehören, agieren. Wobei aber eben auch in dieser Organisation eine gewisse Zurückhaltung gezeigt wurde. Es gibt Mitgliedstaaten, insbesondere auch Usbekistan war das in der Vergangenheit, die große Bedenken anmelden gegen die Intervention dieser Organisation in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedstaates. Aber heute ist man zumindest soweit, dass man sagt, man will Sicherheitsexperten dorthin schicken, man will Experten für die Bekämpfung von Aufstandssituationen dorthin schicken. Das ist weit unterhalb einer breiter gefächerten Friedenstruppe, aber man will halt signalisieren, dass man etwas tun will.
Michaelsen: Da wären ja auch die USA, deren Nachschub in Afghanistan gefährdet wäre, sollten die Unruhen anhalten. Aber auch die USA halten sich zurück.
Halbach: Ja, auch die halten sich zurück. Sie haben zwar ihre Streitkräfte auf der Militärbasis (sie haben ja eine Militärbasis in Kirgistan, die Basis Manas) in Stellung gebracht, aber zur Sicherung dieses Personals, ihres eigenen Personals. Auch die Russen haben ja eine Militärbasis in Kirgistan, das ist meines Wissens das einzige Land, wo russische und amerikanische Militärbasen nebeneinander bestehen, aber hier haben sich auch beide Seiten zurückgehalten von diesen Basen aus irgendwelche militärische Kräfte in den Süden zu schicken. Was man sagen kann, ist eigentlich doch das, dass diese sehr ernsthafte Situation in Kirgistan im Vorfeld von Afghanistan, im nördlichen Vorfeld von Afghanistan, eigentlich eine Situation ist, wo westliche und eurasische Akteure zusammenarbeiten sollten, denn es ist eine Herausforderung an beide Seiten. Für beide Seiten ist das eine Besorgnis erregende Situation.