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"Es gibt keine eindeutige Strategie bei der SPD"

Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler an der Freien Universität, sieht die Aussagen des SPD-Bundesvorsitzenden Franz Müntefering zu möglichen rot-roten Koalitionen in den Ländern als den Versuch, die Machtoptionen seiner Partei zu verbessern. Müntefering verfolge nun eher die Strategie einer pragmatischen Kooperation.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Es ist so etwas wie die Gretchenfrage in der SPD. Wie hältst du es mit der Linken? Die Linke erzielt auch im Westen einen Erfolg nach dem anderen bei den Wahlen. Im Moment ist sie als fünfte Partei eine feste Größe im deutschen Parteiensystem. Der frühere SPD-Chef Kurt Beck hatte anfänglich den westlichen Landesverbänden Koalitionen und Bündnisse mit der Linken untersagen wollen. Dann hob er ja bekanntlich das Verbot für Hessen überraschend auf und der Eklat war perfekt. Franz Müntefering geht jetzt einen Schritt weiter. Er empfiehlt geradezu Bündnisse mit der Linken als eine mögliche Machtoption.
    In Berlin begrüße ich Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler an der Freien Universität. Guten Tag, Herr Neugebauer.

    Gero Neugebauer: Guten Tag, Herr Meurer.

    Meurer: Halten Sie das auch für einen Strategiewechsel, den Franz Müntefering in Sachen Kooperation mit der Linken jetzt vornimmt?

    Neugebauer: Ja, und zwar deshalb, weil er zwar vorher schon, letztes Jahr im August bereits, Beck widersprochen hat, als er darauf hinwies, über Koalitionen mit der Linken sollten die Landesverbände auch im Westen entscheiden. Aber da hat er nicht so eine offensive Aussage gemacht, wie er es diesmal macht, und er hat auch diesmal ganz klar darauf hingewiesen, worum es ihm geht, nämlich auch über die Ministerpräsidenten Politik im Bund machen zu können.

    Meurer: Wie klug ist dieses Vorgehen von Franz Müntefering Ihrer Ansicht nach?

    Neugebauer: Das Fünf-Parteien-System bietet mehrere Optionen. Wenn die SPD ihre Option, nämlich eine Koalition mit der Linkspartei - und Müntefering redet nur über Koalitionen; über unverbindliche Tolerierungen würde er sich nie äußern wollen, höchstens negativ -, wenn die SPD so etwas macht, dann nimmt sie der Union wiederum eine Option. Das heißt, sie verbessert in diesem Spiel um Machtmöglichkeiten ihre Perspektive, und Müntefering betont ganz klar die Machtperspektive.

    Meurer: Er spricht aber auch selbst davon, dass es schadet. Das Zitat lautet ja, "wenn es uns gelingt, mehr sozialdemokratische Ministerpräsidenten zu stellen, würde uns das helfen, mehr als es schadet". Wie groß wäre der Schaden von Koalitionen mit der Linken, weil man sich dann moralisch angreifbar macht?

    Neugebauer: Zum einen ganz klar nur unter sozialdemokratischer Führung und zum anderen: Die CSU hat in ihrem Landtagswahlkampf versucht, eine Kampagne gegen die Linkspartei zu führen. Das Allenspach-Institut hat der Unionsfraktionsspitze erklärt, mit Antikommunismus lockt man keinen zusätzlichen Wähler mehr, man bestätigt nur Vorbehalte bei denen, die ohnehin nicht Sozialdemokratie wählen. Das heißt, das ist kein Kampfmittel. Und je mehr die Linke auch durch die Medien sozusagen für die Öffentlichkeit bekannt wird, auch was ihre internen Probleme und Schwierigkeiten insbesondere in den westlichen Landesverbänden angeht, umso schneller verliert sie auch den Status einer außergewöhnlichen Partei und wird zu einer normalen. Das ist in der Tat ein Gewöhnungsprozess, den man feststellen kann.

    Meurer: Wäre es nicht auch eine Option, weiter darauf zu setzen, die Linke unter die fünf Prozent im Westen zu drücken? Gibt man das jetzt auf?

    Neugebauer: Es gibt keine eindeutige Strategie bei der SPD. Sie ist immer noch dabei in manchen Ländern, auch Thorsten Schäfer-Gümbel in Hessen hat das so formuliert, sich vielleicht auszugrenzen. Aber es ist auf der anderen Seite, was Müntefering macht, eher die Strategie einer pragmatischen Kooperation, noch weiter gegen jene, die meinen, man könne sie wieder irgendeinmal integrieren. Also es ist keine eindeutige Strategie, aber Münteferings Aussage macht deutlicher, was die SPD mit der Linken will, und gleichzeitig erleichtert er auch der SPD die Diskussion in der Öffentlichkeit.

    Meurer: Dem Zitat von Müntefering kann man ja auch entnehmen, es geht darum, dass ein Sozialdemokrat oder dass Sozialdemokraten Ministerpräsident werden. Das heißt, ist das eine Absage daran, dass die SPD auch mal Juniorpartner der Linken sein könnte?

    Neugebauer: Bisher ja. Dabei haben wir ja die komische Situation, dass in ostdeutschen Bundesländern und möglicherweise auch im Saarland die SPD zahlenmäßig schwächer ist als die Linke, dass sie weniger Stimmen bekommt und tatsächlich nur die Nummer 2 wird. Nun hat dieses fluide Fünf-Parteien-System mit wechselnden Möglichkeiten in der Tat einigen Charme. Wir denken immer bisher an Mehrheitsparteien, wir denken auch noch in ideologischen Grenzen. Wenn sich das auflösen sollte, wenn in der Tat mal auch zum Normalfall wie in anderen westeuropäischen Ländern gehört, dass eine kleinere Partei den Ministerpräsidenten stellt, dann könnte sich die SPD auch auf so etwas einlassen. Aber zurzeit sind sowohl die politischen Eliten mehrheitlich als auch die Stimmung in der Öffentlichkeit dagegen, dass eine kleinere Partei den Ministerpräsidenten stellt und die größere Partei, in diesem Fall die Linke, würde auch ihren Anhängern deutlich machen, sie setzt nicht so sehr auf die Machtoption.

    Meurer: In der Hauptsache ist es doch die größere Partei, die dann nein sagt. Nehmen wir Thüringen. Wenn die Linke da stärker wird und wenn die über ihren Schatten springt, an der Öffentlichkeit wird es vermutlich nicht scheitern, dass dann der kleinere den Ministerpräsidenten stellt.

    Neugebauer: Herr Ramelow hat das schon zurückgenommen. Herr Ramelow hat dieses Angebot gemacht. Er wäre auch bereit, Juniorpartner unter einem SPD-Ministerpräsidenten zu sein, also unter Herrn Matschie, hat das dann aber zurückgezogen, weil ihm deutlich gemacht worden ist, es geht auch für die Linke im gegenwärtigen Zusammenhang darum, ihren Machtanspruch zu demonstrieren und dann auch den Ministerpräsidenten zu stellen, denn die begreifen das Rezept von Müntefering auch. Nur als Ministerpräsident kann jemand über den Bundesrat Politik auf Bundesebene machen, und das ist immer noch eines der wesentlichen Ziele der Linken.

    Meurer: In den 90er Jahren hatte in Ostdeutschland Reinhard Höppner geradezu Verblüffung ausgelöst, als er mit dem Modell der Tolerierung durch die Linke oder damals PdS ankam. Wenn wir in die Zukunft blicken, gibt es Modelle wie Rotation des Ministerpräsidenten oder ähnliches, was man sich vorstellen kann?

    Neugebauer: Ja, durchaus. Das kann man sich durchaus vorstellen. Aber es ist dann schon ein Stückchen Änderung der politischen Kultur in der Bundesrepublik Deutschland und es bedarf eines Gewöhnungsprozesses. Aber vorstellbar ist das durchaus.

    Meurer: Wer soll der SPD im Bundestagswahlkampf glauben, dass ihre Koalitionsaussagen nur für die Landesebene gelten, aber nicht für die Bundestagswahl?

    Neugebauer: Das müssen die Wähler Herrn Müntefering glauben, und wenn die SPD klug genug ist, macht sie auch deutlich, warum es auf der Bundesebene nicht geht. Dort gibt es Unvereinbarkeiten beispielsweise in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch in Fragen bestimmter Konzeptionen. Die Linke sagt noch "Hartz IV weg". Das ist ein Teilstück der modernen SPD. Wenn die Linke klug wäre, würde sie sagen, vielleicht doch einen anderen Vorschlag. Umgekehrt könnte auch die Sozialdemokratie der Linken sagen, Rente mit 67 bleibt, aber vielleicht diskutieren wir mal andere Wege, dass man mit geringeren Verlusten früher in Rente gehen kann. Die Parteien müssen aufeinander zugehen. Aber noch hat auch Müntefering in diesem Punkt Recht. Die gegenwärtigen Eliten in der Sozialdemokratie sind mehrheitlich nicht bereit, mit Lafontaine zu reden - nicht nur, weil er sie selbst sozusagen im Stich gelassen hat, sondern weil auch im gegenwärtigen Wahlkampf Lafontaine besonders scharf auf die SPD einschlägt, und das verletzt die Loyalität gegenüber der Partei. Da kriegt er keine Zustimmung.

    Meurer: Und wenn Lafontaine von der Linken sozusagen in die zweite Reihe zurückgezogen würde, würden Sie dafür die Hand ins Feuer legen, dass ein SPD-Parteitag nach der Bundestagswahl sich nicht für rot/rot entscheidet statt für Juniorrolle in der Großen Koalition?

    Neugebauer: Nein. Da würde ich keine Hand ins Feuer legen, sondern dann gibt es eine neue Geschäftsgrundlage und dann wird neu verhandelt. Dann gibt es sicherlich auf diese und jene Position auch Rabatt.

    Meurer: Das war Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler an der FU Berlin, zu den Überlegungen des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering zu rot/roten Koalitionen und Bündnissen. Schönen Dank, Herr Neugebauer. Auf Wiederhören!

    Neugebauer: Auf Wiederhören, Herr Meurer.