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"Es gibt wieder Vertrauen in den UN-Klimaschutzprozess"

Klima.- Der Klimagipfel in Cancún ist zu Ende gegangen. Deutschlandfunk-Journalist Georg Ehring war in Mexiko vor Ort und erläutert im Interview mit Uli Blumenthal, wie realistisch die jüngst gesetzten Ziele einzuschätzen sind.

    Uli Blumenthal: Der 16. Weltklimagipfel in Cancún endete mit einer dramatischen Schlussphase und dem Cancún-Agreement. Nach dem gescheiterten Klimagipfel Ende 2009 in Kopenhagen waren die Sorgen und Befürchtungen groß, dass auch die Klimaverhandlungen jetzt in Cancún zu keinen Ergebnissen führen könnten. Georg Ehring von der Redaktion Umwelt und Verbraucher, Sie waren vor Ort für den Deutschlandfunk, was sind das für Ergebnisse, die in diesem Cancún-Agreement vereinbart worden sind?

    Georg Ehring: Einmal ein ganz wichtiges Ergebnis, was nicht direkt im Cancún-Agreement selbst drinsteht: Es gibt wieder Vertrauen in den UN-Klimaschutzprozess. Der wird wider als Hoffnungsträger angesehen. Die Beschädigung dadurch, dass in Kopenhagen nichts herausgekommen ist, die ist schon repariert. Man schaut schon wieder auf den offiziellen Klimaschutzprozess unter dem UN-Dach. Es gab aber auch ganz praktisch einige wichtige Entscheidungen. Sie haben das Zwei-Grad-Ziel angesprochen, das ist eine Marke, an der sich der Klimaschutz künftig messen lassen muss. Es gibt einen Klimaschutzfonds bis zum Jahre 2020, wo jährlich ab 2013 100 Milliarden Dollar eingezahlt werden müssen für die Anpassung an den Klimawandel und für den Klimaschutz in Entwicklungsländern. Es gibt einen Plan zum Schutz der Tropenwälder, die sind ja allein für etwa ein Fünftel der weltweiten Erwärmung verantwortlich und sollen geschützt werden - was eine relativ kostengünstige Variante im Klimaschutz ist. Und es gibt in juristischen Feinheiten ganz viel zur Architektur eines künftigen Klimaabkommens, beispielsweise dass auch die Schwellenländer Verpflichtungen übernehmen, dass sich das an einem business-as-usual-Szenario, also an einem Szenario ohne Klimaschutz misst, wie viel besser das ist als dieses business-as-usual-Szenario, also eine ganze Menge an Grundsatzentscheidungen, die auch teilweise konkrete Folgen haben. Wenn auch die wichtigste Frage natürlich offen geblieben ist: Wer reduziert wie viel?

    Blumenthal: Die ganzen kleinen Schritte, die sie aufgezählt haben: Wie weit helfen sie bei diesem Zwei-Grad-Ziel wirklich, das Ziel zu erreichen? Und: Die Wissenschaft sagt ja eigentlich, zwei Grad, dieses Ziel ist schon lange nicht zu erreichen. Man redet inzwischen von drei oder gar vier Grad Erderwärmung.

    Ehring: Ja, drei oder vier Grad ist aber eigentlich das Szenario ohne Klimaschutz. Und inwieweit das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen ist, ist recht umstritten. Ich habe mit dem stellvertretenden Chef des IPCC gesprochen und der sagte, es sei kostengünstig durchaus noch zu erreichen. Aber Sie sagen es zu Recht: Es gibt auch Gegenstimmen. Das ist vermutlich ein realistisches Ziel, aber man muss noch eine ganze Menge dafür tun.

    Blumenthal: Die große Frage war ja immer: Wie geht es nach 2012, nach Auslaufen des Kyoto-Protokolls weiter? Wie würden Sie es einschätzen? 2011 ist dann der Klimagipfel in Durban: Wird es ein Nachfolgeprojekt geben oder ist Kyoto sozusagen mit 2012 dann ausgelaufen und beendet?

    Ehring: Wie das ganze Nachfolgeprojekt heißt, ist noch nicht klar. Es ist aber jetzt in Cancún beschlossen worden, dass die Annex-1-Staaten, also die Staaten, die das Kyoto-Protokoll ratifiziert haben und da auch Verpflichtungen übernommen haben, neue Zahlen nennen sollen, weitere Verpflichtungen übernehmen sollen. Das kann man als Fortsetzung des Kyoto-Protokolls verstehen, muss es aber nicht unbedingt sein. Denn die Schwellenländer und auch die USA sollen auch Verpflichtungen übernehmen. Die haben das Kyoto-Protokoll ja nicht ratifiziert. Die sollen Verpflichtungen anderer Natur übernehmen. Aber ob das einen rechtlichen Rahmen Kyoto-II bekommt oder einen rechtlichen Rahmen Copenhagen Accord konkretisiert, das ist noch offen. Aber es soll juristisch schon verpflichtende Minderungsziele geben für die Industrieländer und auch für die Schwellenländer. Und wie das alles aussieht, wird in Durban oder möglicherweise auch ein Jahr später erst in Doha entschieden.

    Blumenthal: Wie haben Sie es vor Ort erlebt als Reporter bei diesem Weltklimagipfel in Cancún, wie ist die Dynamik dieser nationalen zwischenstaatlichen Prozesse eigentlich einzuordnen im Vergleich zu dieser riesen UN-Aktivität? Also wird man eher lokale kleine Schritte machen oder wird es diese große Gipfelatmosphäre die nächsten Jahre auch weiter geben?

    Ehring: Das muss sich ineinander verzahnen. Die Organisation German Watch, eine Nicht-Regierungs-Organisation, hat einen Index aufgestellt über die klimapolitische Aktivität der großen Akteure. Und sie hat da festgestellt, dass in der Tat die nationale Klimapolitik und regionale Klimapolitik an Dynamik die zwischenstaatliche im großen UN-Prozess überholt hat. Aber man braucht auch aus wirtschaftlichem Interesse Obergrenzen, die verbindlich festgeschrieben sind, auch im UN-Rahmen. Und wenn einzelne Bündnisse jetzt vorpreschen, die EU leider noch nicht, dann setzt das die Möglichkeit, auch im internationalen Prozess ehrgeizigere Ziele künftig festzusetzen. Und danach müssen sich dann die Staaten am Ende richten.

    Blumenthal: Eine Möglichkeit, ein Mittel, ein Weg, um diese ganzen Treibhausgasemissionen zu reduzieren, ist ja auch der internationale Emissionshandel. Wie wird es bei dem weitergehen ohne ein Kyoto-Protokoll ohne verbindliche weltweite Absprachen?

    Ehring: Dass es verbindliche weltweite Absprachen nicht geben wird, ist ja durchaus noch nicht ausgemacht, aber es funktioniert auch auf regionaler Basis. Die Europäische Union hat ihre eigenen verbindlichen Ziele festgelegt und daran den Emissionshandel ausgerichtet. Andere machen das auch, Neuseeland hat es zum Beispiel angefangen, China interessiert sich dafür. Es gibt ein Projekt, Emissionshandelsinstrumente auch in Dritte-Welt-Ländern einzuführen - das stößt auf lebhaftes Interesse, das ist nicht unbedingt auf ein Kyoto-II angewiesen, dieser Prozess.

    Blumenthal: Lassen Sie mich noch zur Rolle von Bolivien kommen. Wie haben Sie es empfunden? Ist Bolivien der große Spiel- oder zumindest Spaßverderber in Sachen Gipfelerfolg? Denn die sagen ja, die Beschlüsse, die in Cancún getroffen wurden, helfen dem Klima nicht wirklich.

    Ehring: Bolivien hat da in der Sache wahrscheinlich in einigen Punkten sogar Recht. Man muss sagen, dass zum Beispiel einige Inselstaaten beim Erreichen des Zwei-Grad-Ziels wahrscheinlich trotzdem untergehen werden. Das haben die Bolivianer auch gesagt. Das Problem bei Bolivien ist, dass sie Maximalforderungen gemacht haben, bei denen selbst die Inselstaaten, die vom Untergang bedroht sind, nicht mitgekommen sind. Die Bolivianer preschen also soweit vor, ohne Rücksicht darauf, was in der Weltgemeinschaft konsensfähig ist. Und das kann auch nicht der Weg sein.

    Blumenthal: In einem Kommentar zu Cancún habe ich gelesen, die USA würden ihren ökologischen Sputnik-Schock erleben. Wie ist diese Positionierung von Ihnen wahrgenommen worden - USA/China: Wer treibt wen und wer treibt wen an?

    Ehring: Die Chinesen sind Antreiber im Klimaschutzprozess, die haben sich sehr konstruktiv geäußert und haben auch eine eigene Erneuerbare-Energien-Industrie, die das vorantreibt. Die USA waren eher Bremser. Man hat den Eindruck, die Regierung will, aber sie darf nicht, weil der Kongress das nicht mitmacht. In den USA ist Klimaschutz derzeit sehr unpopulär. Aber Unternehmen aus den USA sind durchaus aktiv, auch bei erneuerbaren Energien international, First Solar zum Beispiel, US-Unternehmen, weltweit mit führend bei Solaranlagen oder General Electric bei der Windkraft sehr aktiv, die wissen durchaus, dass die Stunde geschlagen hat.

    Blumenthal: Mein Kollege Georg Ehring von der Redaktion Umwelt und Verbraucher zu den Ergebnissen des Weltklimagipfels in Cancún, der am Wochenende zu Ende gegangen ist.