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"Es hat doch letzten Endes die Vernunft obsiegt"

Ulrich Raulff, Direktor des Marburger Literaturarchivs, hat aufregende Tage hinter sich: Ging es doch um eine umstrittene neue Führungsstruktur für sein Haus, das bislang von der Mitgliederversammlung der Deutschen Schiller-Gesellschaft gelenkt wurde. Einem eingetragenen Verein also, der auch Bundesfördermittel verwaltete. Am Samstag nun kam es zur Entscheidung.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Ein Familienbetrieb oder, sagen wir mal, ein familiärer Betrieb war das deutsche Schiller-Museum in Schillers Geburtsort Marbach am Neckar früher; heute ist daraus eine Institution mit über 200 Mitarbeitern erwachsen – eine Institution, die in Gestalt des Deutschen Literaturarchivs zugleich als die zentrale Sammelstelle für Schriftstellernachlässe und alles, was mit Dichtung zu tun hat, fungiert.
    Eine Besonderheit ist allerdings die Tatsache, dass dieses Literaturzentrum in der Provinz zwar staatlich finanziert, aber letztlich von Amateuren regiert wird, nämlich von der Mitgliederversammlung der Deutschen Schiller-Gesellschaft. Nun hatte diese Versammlung gestern über eine Satzungsänderung zu befinden, welche die Macht ein wenig umverteilt, und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hatte dazu einen Trommelwirbel entfacht," der uns die Sitzung mit angehaltenem Atem erwarten ließ. Frage an Ulrich Raulff, den Direktor des Hauses: Hatten Sie wirklich Angst um Ihren Job?

    Ulrich Raulff: Nein, das hatte ich in keinem Augenblick, und ich habe auch in keinem Augenblick an Demission gedacht und es hat auch niemand von uns aus dem Vorstand daran gedacht, den Bettel hinzuschmeißen. Aber wäre das gestern gescheitert, der zweite Versuch, zu einer Satzungsreform zu kommen, wären wir sicher in sehr, sehr schwieriges turbulentes Fahrwasser geraten.

    Müller-Ullrich: Worum geht es denn genau dabei?

    Raulff: Sie haben ja selber gesagt, die Sache hat einen großen Charme, aber sie hat auch einen Sack voll Probleme, wenn ein literarischer Verein, also eine Versammlung von Amateuren die Funktion hat, solche Institute mit über 200 Mitarbeitern, mit einem Jahresbudget von je nachdem, wie man mit Drittmitteln rechnet, um die zehn Millionen und einem geschätzten Gesamtbestand im Wert von 300 Millionen, einen solchen Schatz und solche Institute richtig zu verwalten. Das ist keine kleine Aufgabe und die muss eigentlich professionell erledigt werden. Der Charme ist eben der, dass eine Bürgergesellschaft hier die Trägerschaft übernommen hat, vor langer Zeit schon übernommen hat, und das auch durch viele Jahrzehnte hindurch sehr sorgfältig und gut erledigt hat. Die Probleme liegen eben aber in der engen Verbindung des Vereins mit seinen vereinsdemokratischen Gremien und den Steuerungsinstrumenten der Institute.

    Müller-Ullrich: Diese Bürgergesellschaft, von der Sie sprechen, ist ja eigentlich auch ein stolzes Ding. Das heißt, es ist ja was Schönes, dass da ein gewisser Lokalpatriotismus sich mit einem gewissen Kulturstolz verbindet.

    Raulff: Ja, es ist was Schönes und es ist auch was ganz Einzigartiges, denn eine solche Konstruktion finden sie wahrscheinlich in Deutschland nicht noch einmal und wahrscheinlich über Deutschland hinaus erst recht nicht noch mal. Das ist ja ganz ungewöhnlich, dass eine literarische Gesellschaft gleichzeitig so große und bedeutende Institute mit einer solchen Reputation und auch einer großen Aufgabe trägt.

    Müller-Ullrich: Und was für Menschen sind das, was für Erfahrungen haben Sie mit denen gemacht? So wie man es in der Zeitung las, hatte man ja fast den Eindruck, das sind irgendwie Knallköppe, die dem Raulff ans Leder wollen.

    Raulff: Nein, das kann man so sicher nicht sagen. Aber es gibt doch und gab immer eine Gruppe von entschlossenen Gegnern der Reform und auch entschlossenen Gegnern des Kurses, den wir hier vor einer Reihe von Jahren eingeschlagen haben.

    Müller-Ullrich: Mit welchen Argumenten?

    Raulff: Na ja, die eigentlich alles auf null stellen wollten, die zurück wollten zum Ausgangsregime. Das war das Hauptkriegsziel. Darüber hinaus: Konstruktiv ist nie viel sichtbar geworden. Es gab keine Alternativvorschläge für eine andere Museumsästhetik, es gab auch keine Alternativvorschläge für eine andere Ausrichtung der Forschungseinrichtung.

    Müller-Ullrich: Nun ist es ja gut ausgegangen und eigentlich erwartbar gut, oder? War das ganze Schattenboxen?

    Raulff: Nein! Nein, nein, überhaupt nicht erwartbar. Wir haben am Freitag Nachmittag im engsten Kreis noch mal zusammengesessen und wir waren sehr deprimiert und sehr pessimistisch, was den Ausgang anging, bis in die Veranstaltung hinein selbst.

    Müller-Ullrich: Und woher dann die wunderbare Wendung der Dinge, das novellenhafte?

    Raulff: Das ist schwer zu sagen. Man kann sagen, ja, das gibt es eigentlich nur in literaturaffinen Kreisen. Aber ich glaube, es hat doch letzten Endes die Vernunft obsiegt und diesem Sieg der Vernunft hat sicher die Moderation, die uns der Wissenschaftsrat anempfohlen hatte, sehr geholfen. Die Moderation durch drei sehr erfahrene, sehr kluge, charmante, aber auch zähe Moderatoren, Frau von Welck und die beiden Professoren Janbernd Oebbecke und Wolfgang Riedl, die haben das ganz wunderbar gemacht und auch in Bürgergesprächen die zunächst widerstrebenden und die Skeptiker der Reform einen nach dem anderen eingefangen und dazu gebracht, konstruktiv am Gesamttext mitzuarbeiten.

    Müller-Ullrich: Also kann man sagen, Einsicht hat gesiegt?

    Raulff: Ja, das kann man sagen: in diesem Falle Einsicht und wirklich geschickt geführte, gut geführte, intensiv geführte Diskussionen.

    Müller-Ullrich: Und ich sprach mit einem zufriedenen und vielleicht sogar glücklichen Ulrich Raulff?

    Raulff: So ist es.

    Müller-Ullrich: Dann danke ich für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Deutsches Literaturarchiv Marbach