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"Es ist eigentlich keine Rolle rückwärts"

Sieben Jahre ist es nun her, da hat die damalige nordrhein-westfälische Landesregierung entschieden, die Lehrerausbildung an der Uni Bonn zu schließen. Alle Studierenden, die damals in Bonn fürs Lehramt eingeschrieben waren, konnten zwar noch ihr Staatsexamen machen. Aber neue Erstsemester fürs Lehramt wurden seither nicht mehr angenommen - bis zu der überraschenden Meldung: Ab dem Wintersemester 2011/12 steigt die Uni Bonn wieder in die Lehramtsausbildung ein.

Von Svenja Üing | 14.07.2009
    So richtig verstanden hat der Bonner Anglistik-Professor Uwe Baumann es nie, warum man Bonn, wie er sagt, die Lehramtsausbildung weggenommen hat. Fakt ist: 2002 beschloss die damalige rot-grüne NRW-Landesregierung, dass an der Uni Bonn keine Lehrerinnen und Lehrer mehr ausgebildet werden sollten. Für Uwe Baumann und seine Kollegen hat sich dadurch sehr viel verändert:

    "Das heißt, dass wir unsere gesamten Planungen ohne das Lehramt vornehmen mussten. Was aus meinem Fachverständnis her natürlich bedauerlich ist, weil, sagen wir mal, für einen Anglisten seit hundert Jahren mehr oder weniger die Ausbildung für das höhere Lehramt ganz einfach mit zum Lehrprofil an einer Universität im Fache Englisch dazu gehört."

    Während Bonn aus dem Lehramt ausstieg, beobachtete Uwe Baumann an anderen Hochschulen in Nordrhein-Westfalen, wie viel seine Kollegen zu tun hatten:

    "Man muss sich nur die Standorte angucken, die Lehramt machen. Die laufen zum Teil über, die stöhnen und die haben uns sogar schon unter der Hand gefragt, ob wir nicht dann trotzdem für sie, obwohl das hier nun abgeschafft ist, weiter für sie prüfen wollen und so weiter. Es scheint echt einen Bedarf zu geben und es ist auch klar ersichtlich, dass es in bestimmten Fächern einen immensen Bedarf in den nächsten fünf, zehn, fünfzehn Jahren an Lehrern und Lehrerinnen gibt, den offensichtlich die Standorte, die verblieben sind, nicht decken können."

    Für den Anglisten ist das einer der Gründe, warum seine Uni nun gemeinsam mit der amtierenden schwarz-gelben Landesregierung entschieden hat, in die Lehrerausbildung wieder einzusteigen. Jürgen Fohlmann, Rektor der Uni Bonn, nennt weitere Gründe:

    "Der eine Grund ist pragmatisch. Er betrifft Fächer, deren Berufsziel der Lehrerberuf ist. Das ist die klassische Philologie, Latein und so weiter, es sind die Theologien, denen wir im Grunde genommen ein ganzes Feld von Möglichkeiten nehmen, wenn wir keine Lehrer ausbilden. Der für mich wichtigere Grund ist tiefer gelegt. Es ist der Grund, dass wir bildungspolitisch gefordert sind, möglichst gute Lehrer auszubilden."

    Raus aus der Lehramtsausbildung, rein in die Lehramtsausbildung - so könnte es nach außen wirken. Doch Rektor Jürgen Fohrmann sieht in der Entscheidung keine Rolle rückwärts:

    "Es ist eigentlich keine Rolle rückwärts, sondern wir reagieren auf die veränderten Bedingungen. Das alte Lehramt ist mit dem neuen Lehramt eigentlich nicht mehr vergleichbar. Wir sind durch den Bachelorbetrieb daran gehalten, mit kleinen Gruppen zu operieren, mit 30er-Größen maximal und wir hoffen also da, qualifizierter und genauer ausbilden zu können."

    Zum Wintersemester 2011/12 sollen die ersten Lehramtsstudierenden in Bonn starten, voraussichtlich 350 pro Jahrgang. Insgesamt sollen es im Vollbetrieb später 1750 Studierende sein, die aus 23 Fächern wählen können. Darunter auch so relativ seltene wie Chinesisch und Türkisch sowie Agrar-, Ernährungs- und Haushaltswissenschaften. Nordrhein-Westfalens Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart sieht darin eine Aufwertung des Lehrerausbildung in NRW:

    "Das Land Nordrhein-Westfalen wird auch in den nächsten Jahren zusätzlich Geld in diesen Bereich hinein geben, über 100 Millionen Euro, verteilt aufs Land, um die Fachdidaktiken zu stärken, weil das auch ein Versäumnis der Vergangenheit war. Als die Pädagogischen Hochschulen in die Universitäten seinerseits integriert wurden, sind leider die Didaktiken ein wenig vernachlässigt worden, das müssen wir dringend ändern. Und die Universitäten sind auf dem Weg, das besser machen zu wollen. Das freut uns sehr."

    Mehr und bessere Lehrer für Nordrhein-Westfalen, so der Plan des Wissenschaftsministeriums und der Uni Bonn. Das ist längst nicht die einzige Initiative im bevölkerungsreichsten Bundesland, um dem Lehrermangel entgegenzusteuern. Vor zwei Wochen hat Schulministerin Barbara Sommer einen Hilferuf an 30.000 Teilzeitlehrkräfte geschickt. Das Versprechen seitens der Ministerin: Wer jetzt aufstockt, bekommt eine bessere Vergütung der zusätzlichen Unterrichtsstunden. Und es bewegt sich noch mehr: Nordrhein-Westfalen hat die Verbeamtungsgrenze von 35 auf 40 Jahre hoch gesetzt. Das Land wirbt Seiteneinsteiger für Mangelfächer wie Physik oder Chemie an. Und die Berufskollegs dürfen erstmals Fachhochschulabsolventen als Lehrer einstellen. Auch soll es für ausgebildete Grundschullehrer einfacher werden, sich an anderen Schulformen zu bewerben, sagt Wilhelm Knevels, Leitender Ministerialrat im Schulministerium NRW:

    "Eine Schule der Sekundarstufe 1, also Hauptschule, Realschule, Gesamtschule und auch Gymnasium dürfen auch einen Primarstufenlehrer einstellen, wenn sie ihn für geeignet halten, an der Schule zu unterrichten."

    Und wo früher rigide nur zum nächstmöglichen Termin eingestellt wurde, wirbt das Schulministerium jetzt mit dem so genannten Frühbuchersystem:

    "Wir bieten an, zu den großen Einstellungsterminen nicht nur eine Einstellung zum nächsten Termin, sondern auch schon zum übernächsten Termin."

    Um den Lehrerbedarf in NRW aber komplett abzudecken, sei man auch auf Bewerber aus anderen Bundesländern und darüber hinaus angewiesen, sagt Wilhelm Knevels.

    "Es gibt jetzt die Initiative schon seit einigen Tagen zur Gewinnung von 'native speakern' aus Großbritannien, USA, Neuseeland. Wir wollen das ausweiten auf die französische Sprache und auch noch mal auf Spanisch."

    Wobei die zukünftigen Fremdsprachenlehrer für nordrhein-westfälische Schulen in ein paar Jahren ja auch wieder aus Bonn kommen könnten.