Dienstag, 07. Mai 2024

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"Es ist ein klein wenig die Tür geöffnet worden"

Im Konflikt um die Region Südossetien hat Werner Hoyer, stellvertretender FDP-Fraktionschef im Bundestag, mehr diplomatisches Geschick gefordert. Es sei nicht förderlich, wenn verbal aufgerüstet würde. Moskau, Tiflis und Washington sollten mehr Zurückhaltung zeigen. Etwas beruhigend sei, dass Präsident Medwedew einen deeskalierenden Schritt gemacht habe, betonte Hoyer.

Werner Hoyer im Gespräch mit Dirk Müller | 12.08.2008
    Müller: Im Irak und auch in Afghanistan war und ist es seither das Problem. Zumindest in den vergangenen Jahren ist kritische Berichterstattung möglich. Welche Informationen sind verlässlich? Was stimmt? Was ist lanciert? Was ist manipuliert? - Genauso die Situation nun im Kaukasus. Wie weit sind die russischen Truppen vorgestoßen? Wie haben die georgischen Soldaten in Süd-Ossetien, in Abchasien reagiert? Was macht die Diplomatie?
    Die USA sind klipp und klar ein Verbündeter Georgiens. Doch wie substanziell oder auch materiell ist dieses Bündnis? Vielleicht doch nur diplomatischer Natur? Washington fordert von Moskau definitiv einen sofortigen Waffenstillstand.
    Bei uns am Telefon ist jetzt Werner Hoyer, stellvertretender FDP-Fraktionschef im Bundestag. Guten Tag!

    Hoyer: Guten Tag, Herr Müller!

    Müller: Herr Hoyer, ist Russland immer noch imperialistisch?

    Hoyer: Die Frage kann man so nicht beantworten. Jedenfalls gibt es beunruhigende Entwicklungen in der russischen Politik, die auch sehr deutlich geworden sind in der Überreaktion Russlands auf die Aktionen des georgischen Staatspräsidenten. Aber ich glaube, das ist jetzt nicht die Zeit, rhetorisch noch weiter aufzurüsten, sondern es ist höchste Zeit, dass nicht nur vor Ort, was die Waffen angeht, sondern auch was die Sprache angeht, abgerüstet wird. Und da macht das, was wir aus Moskau, aus Tiflis und jetzt auch aus Washington hören, doch große Sorgen.

    Müller: Herr Hoyer, aber warum ist die Frage nicht zu beantworten?

    Hoyer: Ich glaube, dass dieses Vorführen einzelner Konfliktparteien nicht besonders klug ist, denn imperialistisches Gehabe und Verfolgen auch zum Beispiel von Energieinteressen und anderen strategischen Interessen, das ist etwas, was nicht auf Russland begrenzt werden kann, sondern darin sind andere, die sich jetzt sehr aufregen, auch nicht schlecht. Und wenn man zu einem Ergebnis kommen will, nämlich möglichst schnell der Diplomatie wieder eine Chance zu geben, dann hat eine solche rhetorische Aufrüstung wenig Sinn.

    Müller: Herr Hoyer, Sie sagen, wir wollen das jetzt nicht beantworten, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Auf der anderen Seite hat es in den vergangenen Jahren gerade ja auch bei uns, in der deutschen Politik, eine heftige Auseinandersetzung darum gegeben, darüber gegeben, wie man mit Moskau verfährt, mit welchen Ansätzen man versucht, Russland-Politik aus Berliner Sicht zu betreiben. War das falsch?

    Hoyer: Nein. Diese Frage, wie gehen wir mit Russland um, müssen wir uns ständig stellen. Vielleicht haben wir in den 90er Jahren, Anfang dieses Jahrzehnts auch nicht alles richtig gemacht. Das kann ja durchaus sein. Jedenfalls ist Russland ein wichtiger Partner, der möglichst eingebunden werden muss und der daran erinnert werden muss, welche Prinzipien dabei zu berücksichtigen sind.

    Auf der anderen Seite erkenne ich gerade in dem, was Herr Remme aus Washington berichtet hat, dass diese Georgien-Frage gegenwärtig offensichtlich zu einer zentralen strategischen Frage im amerikanischen Wahlkampf zu werden droht, und dafür ist dann dieser Konflikt im Kaukasus denn doch zu gefährlich und zu wichtig für uns, als dass wir das zulassen sollten.

    Müller: Aber haben wir da eine andere Wahl, beziehungsweise aus Sicht Washingtons: haben die Vereinigten Staaten eine andere Wahl, als ganz klar zu sagen, "so geht das nicht, hört auf"?

    Hoyer: Ja. Wir sind ja auch der Auffassung, dass das, was Russland gemacht hat, nicht akzeptabel ist. Das ist ja keine Frage. Umgekehrt ist ja die Frage, ob das, was Saakaschwili gemacht hat, besonders klug gewesen ist. Also das gehört da zusammen. Es ist davor zu warnen, dass Deutschland, dass Europa hier Partei bezieht in dieser Frage. Dann werden wir nicht in der Lage sein, mäßigend einzuwirken und zum Schluss eine diplomatische Lösung überhaupt wieder erst zu ermöglichen.

    Müller: Sie haben viel Erfahrung mit Diplomatie in Ihren Jahren als Staatsminister im Auswärtigen Amt. Nun hört man allgemein - die Laien tun das; wir tun das auch, die Journalisten -, dass man keinen vorverurteilen darf, dass man, wie Sie es gerade auch gesagt haben, keine Partei ergreifen darf. Also es geht, wenn ich das richtig verstanden habe, darum, hinzufahren und zu sagen, zunächst einmal Waffenruhe, Stopp der Kämpfe und dann irgendwann gehen wir dann in die Bewertung?

    Hoyer: Wir sind ja nicht neu in dieser Kaukasus-Auseinandersetzung, sondern das geht jetzt seit vielen Jahren, im Grunde spätestens seit dem Auseinanderfallen der Sowjetunion. Und es ist in dieser gesamten Zeit eine unvorstellbare Sturheit aller Beteiligten zu beobachten. Das wird man nicht aufbrechen können durch möglichst lautes internationales Beklagen, sondern nur durch eine Überzeugungsarbeit, die dazu führt, dass man Vertrauensbildung und Zusammenarbeit wieder eine Chance gibt. Davon sind wir meilenweit entfernt. Durch die Entscheidung von Präsident Medwedew heute Morgen, bei der ich noch nicht weiß, welche innerrussischen Konflikte möglicherweise dahinter stehen, ist wieder ein ganz klein wenig die Tür geöffnet worden. Es ist der erste Hoffnungsschimmer seit langer Zeit. Deswegen sollte man das jetzt möglichst nicht zerreden.

    Müller: Kann, Herr Hoyer, eine solche Nation, kann Russland ein Freund Deutschlands sein?

    Hoyer: Wir müssen dazu kommen. Aber ich habe immer davor gewarnt, sofort die ganz großen Begriffe wie "strategische Partnerschaft" hochzuziehen, wenn man sich nicht verständigen kann über gemeinsame Ziele und Werte, die zu beachten sind, auf dem Weg zur Erreichung dieser Ziele. Deswegen wäre ich da sehr vorsichtig. Aber es wäre natürlich sehr schön. Es wäre für uns ein ganz wichtiges Ziel, mit Russland ein Verhältnis aufzubauen und zu einem Gleichklang zu kommen von grundsätzlichen Überzeugungen, die dann eine solche Freundschaft ermöglicht, denn die Freundschaft zwischen dem russischen Volk und dem deutschen Volk, die ist möglich. Ob die zwischen der Politik beider Länder auch möglich ist, das ist noch zu bewerten.

    Müller: Herr Hoyer, dann bleiben wir bei der Politik. Glauben Sie, dass Russland, dass der Kreml und dass das Führungspersonal, das aktuelle in Russland friedensfähig ist?

    Hoyer: Das wird man sehr genau analysieren müssen. Ich habe eben schon angedeutet, dass ich mir nicht so ganz darüber im Klaren bin, wie gegenwärtig die Positionen innerhalb der verschiedenen Akteure im Kreml verteilt sind. Ich fand es sehr auffällig, dass Präsident Medwedew heute einen deeskalierenden Schritt gemacht hat, gleichzeitig aber auch eine Drohkulisse aufgebaut hat. Die Rhetorik, die von Ministerpräsident Putin gekommen ist, sah gestern etwas anders aus. Das werden die Kreml-Astrologen jetzt auseinanderpflücken müssen, wie das einzuschätzen ist.

    Müller: Nun haben wir, Herr Hoyer, auch noch das Beispiel Tschetschenien ja nun vor Augen und auch noch im Ohr. Wir haben - zugegeben auch die Medien - nicht mehr so viel darüber berichtet in den vergangenen Monaten, vielleicht sogar in den vergangenen Jahren. Es hat andere Konflikte gegeben, die dort in den Vordergrund gerückt sind. Einige bissige Kommentatoren haben behauptet, ganz gleich wer Russland regiert und ganz gleich welches System Russland hat, das ist egal; Russland bleibt expansionsorientiert.

    Hoyer: Ja. Umso wichtiger ist es ja dann, Überzeugungsarbeit in Russland zu leisten. Das tut man nicht dadurch, dass man jetzt wieder sozusagen den großen Gegner aufbaut, wie das in der amerikanischen Innenpolitik gegenwärtig instrumentell missbraucht wird.

    Müller: Sind wir erpressbar, weil wir zu wenig Gas haben?

    Hoyer: Ganz sicherlich! Die Frage der deutschen Energiepolitik und der notwendigen Diversifizierung unserer Energiequellen und Energiearten ist ein ganz entscheidender Punkt und bisher, wie ich finde, ein Schwachpunkt in der deutschen Energie- und Außenpolitik.

    Müller: Wer hat konkret die Fehler gemacht in Deutschland?

    Hoyer: Ich glaube, die Fehler in der deutschen Energiepolitik sind darin zu suchen, dass wir zu wenig nach Herkunftsländern, also regionalen Quellen, als auch nach Energiearten diversifizieren. Die Nuklearpolitik hat dazu geführt, dass wir noch stärker abhängig geworden sind von fossilen Energieträgern und im Bereich der neuen Energien noch nicht weit genug voran gekommen sind. Deswegen werden sich die Bundesregierungen der letzten zehn Jahre das wohl schon anheften lassen müssen.

    Müller: Wenn wir von dem reinen energiepolitischen Ansatz einmal weggehen und gehen auf die Gesamtpolitik, war Gerhard Schröders Schmusekurs gegenüber Wladimir Putin im Endeffekt fatal?

    Hoyer: Gerhard Schröder hat sozusagen die Balance zwischen Interessenpolitik und wertegebundener Politik einseitig zu Gunsten der Interessenpolitik aufgelöst. Das hat uns Glaubwürdigkeit gekostet. Das heißt aber nun nicht umgekehrt, dass man gut beraten ist, sich auf das demonstrative Reduzieren auf Wertepolitik zu beschränken, sondern man muss die eigenen Interessen ja auch im Sinne haben.

    Müller: Dann macht die Kanzlerin es richtig oder falsch?

    Hoyer: Ob das alles richtig oder alles falsch ist, vermag ich nicht zu bewerten. Ich kann nur sagen, dass die Bundeskanzlerin in der ganz konkreten Situation eine große Chance hat. Sie hat aufgrund auch ihrer Haltung im Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel in Bukarest die ernsthafte Chance, in Russland zumindest mal gehört zu werden und unsere klare Position, auch was die Überreaktion Russlands in Georgien angeht, wahrgenommen zu werden. Damit hat sie auch aufgrund der Tatsache, dass sie schon mehrfach Präsident Medwedew getroffen hat und, ich glaube, eine Kommunikationsbasis aufgebaut hat, eine große Verantwortung und ich bin sicher, dass sie die nutzen wird. Es zeigt sich jetzt, wie richtig sie gelegen hat, als sie im Hinblick auf den NATO-Gipfel eine sehr zurückhaltende Position im Hinblick auf den Beitritt Georgiens zur NATO eingenommen hat.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Werner Hoyer, stellvertretender FDP-Fraktionschef im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Hoyer: Vielen Dank!