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Es ist ein "Streit um das Wesen der Republik"

Im Jahre 1988 begannen in Polen die Verhandlungen zwischen der Führung der Arbeiterpartei PZPR und der demokratischen Opposition. Ziel war die Organisation eines friedlichen Übergangs vom sozialistischen Staat zu einer demokratischen Republik. 20 Jahre herrscht weiter Uneinigkeit über den Erfolg.

Von Martin Sander |
    "Es war die Quadratur des Kreises, einfach die Quadratur des Kreises."

    ... konstatiert Adam Michnik im Rückblick auf den Runden Tisch in Polen vor 20 Jahren. Nach einem acht Wochen währenden Verhandlungsmarathon zwischen kommunistischen Machthabern und kurz zuvor noch im Untergrund kämpfenden Vertretern der "Solidarność" leitete man gemeinsam den Umsturz in Osteuropa ein.

    "Es schien doch ein Ding der Unmöglichkeit, in einem kommunistischen System sowjetischen Typs und einer führenden Rolle der Partei, diese Diktatur auseinander zu montieren. Aber unser ganzes Denken war darauf gerichtet, das Unmögliche möglich zu machen."

    Adam Michnik, Solidarność-Vorkämpfer mit zahlreichen Aufenthalten in kommunistischen Gefängnissen, heute Herausgeber der liberalen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza", hielt sich mit der Würdigung der historischen Leistung zum 20. Jahrestag nicht lange auf. Kein Wunder, sorgt der Runde Tisch doch auch aktuell immer wieder für heftigen Streit. Denn ein beträchtlicher Teil von Polens Nationalkonservativen, zum großen Teil ebenfalls ehemalige "Solidarność"-Aktivisten, ganz zu schweigen von der extremen Rechten des Landes, betrachten den historischen Kompromiss zwischen kommunistischer Regierung und den eher liberalen "Solidarność"-Führern als eine Art Volksverrat.

    "Ich habe das Gefühl, dieses polnische Gezeter ist unsterblich. Und das Besondere des Runden Tisches besteht gerade darin, dass es sich hier um einen kurzen Augenblick in unserer Geschichte handelt, in dem das Gezeter durch einen Dialog ersetzt wurde."

    Es ist ein Dialog, der vielen nicht mehr gefällt. Laut einer aktuellen Meinungsumfrage schätzt zwar eine Mehrheit von 56 Prozent aller Polen die politischen Auswirkungen des Runden Tisches positiv ein. Doch die Zahl der Gegner nimmt zu. Zu den zentralen Vorwürfen gehört die Behauptung, durch die Abmachungen am Runden Tisch hätten die Kommunisten - als Preis für die Abgabe der diktatorischen Macht - die Schlüsselpositionen in der Wirtschaft und das Staatsvermögen errungen. Außerdem fehle es bis heute an einer kritischen Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit einschließlich ihrer Geheimdienste.

    Ein wirkungsmächtiger Mythos der Gegenwart sagt, am Runden Tisch, vor allem aber in den Vorverhandlungen zum Runden Tisch im Warschauer Vorort Magdalenka, hätten die Verhandlungspartner die Macht in Polen unter sich aufgeteilt.

    "Es gab keine geheimen Abmachungen in Magdalenka oder am Runden Tisch ... "

    ... versichert Tadeusz Mazowiecki, damals Solidarność-Berater, der im Sommer 1989 zum ersten nicht kommunistischen Ministerpräsidenten der polnischen Nachkriegsgeschichte avancierte. Mazowiecki war derjenige, der damals die Losung ausgab, unter die kommunistische Vergangenheit solle man einen – so wörtlich – dicken Strich ziehen.

    "Als ich damals vom "dicken Strich" sprach, habe ich nicht gemeint, man solle auf die Bestrafung von Tätern verzichten. Leider ist diese für die Gesellschaft so bedeutende Aufarbeitung nur im Schneckentempo vorangekommen. Aus der Notwendigkeit einer rechtsstaatlichen Beweisführung heraus ist das zu verstehen, aber in Bezug auf die gesellschaftliche Wirkung war es sehr schlecht."

    Die Nationalkonservativen der Brüder Kaczyński stellen zwar die historische Bedeutung des Runden Tisches insgesamt nicht immer in Abrede, greifen aber die von ihm hervorgebrachte demokratische Kultur in scharfen Tönen an. Den Mängeln der derzeitigen Demokratie setzten sie das Modell einer neuen Republik entgegen, antikommunistisch, antiliberal, zentralistisch und autoritär. Adam Michnik, leidenschaftlicher Verfechter des historischen Kompromisses am Runden Tisch, warnt davor mit einer Analogie aus der deutschen Geschichte:

    "Die Weimarer Demokratie ist zugrunde gegangen, weil sie niemand in Schutz nehmen wollte. Die Weimarer Demokratie ist zugrunde gegangen, weil unterschiedlichste politische Kräfte der Ansicht waren, das demokratische System gehöre in den Mülleimer. Und die Trennungslinie, die heute durch Polen, aber auch durch andere Länder geht, besteht nicht in einem Streit über diese oder jene Wirtschaftspolitik, der konstruktiv sein kann. Es ist vielmehr ein Streit um das Wesen der Republik."