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Es ist "ein Vermeidungsdenkmal"

Das neue zentrale Ehrenmal der Bundeswehr ist nach Ansicht des Publizisten und Historikers Michael Jeismann Ausdruck einer politischen Verlegenheit. Es handele sich um ein berufsständisches Denkmal, das die Frage nach der Legitimation der Auslandseinsätze ausklammere.

Michael Jeismann im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 08.09.2009
    Stefan Koldehoff: Glücklich ist das zufällige zeitliche Zusammentreffen zweier Ereignisse, die unmittelbar nichts miteinander zu tun haben, am heutigen Tage sicher nicht. Heute Morgen hat die Bundeskanzlerin im Parlament eine lückenlose Aufklärung des von der Bundeswehr verantworteten Luftangriffs in Afghanistan angekündigt, bei dem auch Zivilisten ums Leben gekommen sind, und heute Abend wird in Berlin im Beisein des Bundespräsidenten eine 41 Meter lange, 10 Meter hohe, bronzeverzierte Gedenkstätte für mehr als 2600 deutsche Soldaten eingeweiht, die seit Gründung der Bundeswehr, Michael Jeismann, ja was eigentlich, gestorben, ums Leben gekommen, verunglückt, gefallen sind?

    Michael Jeismann: Ja, sie sind in jedem Fall ums Leben gekommen, und es wird allerhöchste Zeit, dass ein Denkmal errichtet wird, dass die Bevölkerung dies zur Kenntnis nimmt und sich überlegt, was da eigentlich geschieht.

    Koldehoff: Sie haben sich als Journalist und als Historiker intensiv mit dem Thema Erinnerung und Gedenken in Deutschland befasst. Um was wird Ihrer Einschätzung nach die Bundesrepublik künftig an diesem neuen Ort trauern?

    Jeismann: Da beginnen wir schon bei der Problematik des Ganzen. Ich fürchte eben, die Bundesrepublik wird allenfalls staatsmännisch, wenn überhaupt, dort trauern. Ich glaube aber, wir müssen noch mal uns den Ort und das Konzept dieses Denkmals angucken. Die Inschrift des Denkmals lautet: Den Toten unserer Bundeswehr für Frieden, Recht und Freiheit.

    So. Wo steht dieses Denkmal? Es steht nicht auf einem öffentlichen Platz, sondern es steht beim Verteidigungsministerium, es ist sozusagen vom Ort her ein berufsständisches Denkmal. Aber die Inschrift verweist auf einen viel allgemeineren Anspruch, nämlich für Frieden, Recht und Freiheit, also für das, was die Bundesrepublik doch auch von mir aus im Hindukusch verteidigen will. Dann muss man sich fragen, warum steht denn das jetzt so eingeschränkt, im wörtlichen Sinne, nur beim Verteidigungsministerium? Das ist die erste Frage.

    Koldehoff: Das spricht doch eigentlich dafür, dass wir ein neues Verhältnis zwischen der Republik und ihrer Armee brauchen oder nicht? Man konnte bis vor einigen Jahren durchaus den Eindruck haben, zur Bundeswehr geht man, um den Führerschein zu machen und das Falten von Oberhemden zu lernen.

    Jeismann: Ja, genau. Wer beides noch nicht konnte, der hatte die Chance, das da noch mal nachzuholen. Ja, absolut. Also wir haben jetzt hier, ich weiß nicht, so eine Art goldenen Käfig. Gold ist immer das Zeichen für den Sieg.

    Koldehoff: Na ja, und die Frage ist ja tatsächlich auch, ob ein Mahnmal für tote Soldaten tatsächlich noch vom Sieg kündet. Thomas Steinfeld schreibt heute in der "Süddeutschen Zeitung": Dem verunglückten, ja selbst dem erschossenen Polizisten, für den es einen solchen Erinnerungsort nicht gibt, fehlt das Pathos, das der Krieg mit sich bringt, weil im Krieg das Opfer gewollt ist. Hat ein Ehrenmal für tote Soldaten demnach so was wie eine sinnstiftende Funktion?

    Jeismann: Ja, da gibt es eine ganz klare Chronologie. Es hatte mal eine sinnstiftende Funktion, dann hatte es eine sinnfordernde Funktion, vor allen Dingen nach dem Ersten Weltkrieg, und danach hatte es allenfalls nach dem Zweiten eine sinnsuchende Funktion, wenn überhaupt, wenn es nicht reine Pietät war. Aber was wir hier haben, ist eben ganz ehrlich, das Denkmal ist Ausdruck einer Verlegenheit, einer politischen Verlegenheit, und als solcher zunächst mal zu würdigen und interessant, aber es enthebt uns nicht der Aufgabe, noch einmal genau drüber nachzudenken, was wir eigentlich mit den Auslandseinsätzen wollen, wie wir die Toten überhaupt legitimieren können und wie sich die gesamte Republik dazu verhält. Das wird hier eben ausdrücklich vermieden. Insofern ist es, leider muss man das sagen, ein Vermeidungsdenkmal. Und im Übrigen, eins ist noch unbedingt zu sagen: Wir dürfen bitte nicht nur an die Toten denken, sondern an all die, die kriegstraumatisiert aus diesen Auslandseinsätzen nach Hause zurückkommen und nicht mehr in ihr normales Leben finden und leider, ich glaube bis heute, sehr, sehr wenig Unterstützung finden vonseiten der Bundeswehr.

    Koldehoff: Der Publizist und Historiker Michael Jeismann, vielen Dank, zum Ehrenmal der Bundeswehr, das heute Abend in Berlin eingeweiht wird.