Karin Fischer: Es war eine Ausstellung mit moderner und zeitgenössischer Kunst, die da im März 2007 in Moskau stattgefunden hatte, im Sacharow-Zentrum, das ohnehin eher von oppositionell eingestellten Freidenkern als von orthodoxen Christen besucht wird. Trotzdem wurden Andrej Jerofejew, damals noch Kurator für zeitgenössische Kunst in der Tretjakow-Galerie und sein Ko-Kurator Juri Samodurow angeklagt: Sie hatten unter dem Titel "Verbotene Kunst" Werke auch namhafter Künstler wie Ilja Kabakow gezeigt, sicherlich auch, um zu provozieren beziehungsweise ein Tabu zu brechen, denn es ging um Werke, die orthodoxe Christen als blasphemisch, also als Gotteslästerung empfinden könnten. Frage an Uli Hufen: Was war da beispielsweise denn zu sehen?
Uli Hufen: Die Ausstellung war so konzipiert, dass man hineinkam in den Raum und da war eine weiße Wand, und in der weißen Wand sah man dann Gucklöcher und durch diese Gucklöcher konnte man diese somit noch mal extra sozusagen betonten Werke sehen. Und es drehte sich eigentlich um drei Themen, die sozusagen den Zorn der orthodoxen Ankläger hervorgerufen haben: Das eine ist der nackte Körper – dabei muss es nicht unbedingt um Prostitution gehen –, das zweite ist die russische Vulgärsprache Mat und das dritte ist jegliche Art von religiöser Symbolik. Wenn man ein Beispiel nennen will: Es gibt da zum Beispiel eine Serie von Kollagen, in denen alte, religiöse Gemälde aus der Renaissance oder aus dem 16., 17., 18. Jahrhundert gezeigt werden, wo Jesus Christus zu sehen ist und der Kopf ist durch Micky Maus ersetzt.
Fischer: Sie haben den Prozess aktuell und jedenfalls von Ferne verfolgt. Was ist Ihr Eindruck?
Hufen: Es ist eine große Farce eigentlich und ich habe auch das Gefühl, im Grunde weiß das jeder. Die Untersuchungen haben 2007 angefangen, seit einem Jahr laufen die Verhandlungen. Es war wie in einem Kinofilm ausstaffiert. Da waren also unglaublich viele alte Müttchen mit Kopftüchern und sozusagen als dekorative, orthodoxe Christen aufgeboten – man geht wahrscheinlich nicht zu weit, wenn man vermutet, dass sie von irgendwem dorthin bestellt worden sind –, dazu dann natürlich die Anklagten und ihre Verteidiger, die dort sozusagen die westlich orientierte, progressive Moskauer Mittelschicht repräsentieren. Und diese beiden Kräfte treffen dort aufeinander und müssen vor Gericht miteinander etwas austragen, was natürlich vor Gericht nicht gelöst werden kann.
Fischer: Nun ist man sich darüber im Klaren, dass diese Ausstellung so viel Öffentlichkeit nur bekommen hat, weil gläubige Orthodoxe gemeinsam mit Nationalisten diese Klage angezettelt haben. Eine Verurteilung der beiden aber würde doch die Rückkehr der Zensur, mindestens der Selbstzensur in Russland bedeuten. Das vermuten jedenfalls Beobachter. Wie steht es denn derzeit dort mit der Freiheit der Kunst?
Hufen: Diese Art von Prozessen nach Paragraf 282, Anstiftung zur religiösen Zwietracht oder zu Hass auf Religionen, hat es schon seit zehn Jahren immer mal wieder gegeben. Es ist aber nie jemand verurteilt worden. Auch gegen Juri Samodurow gab es schon einen Prozess wegen einer Ausstellung, da wurden auch drei Jahre Haft verlangt, so wie jetzt gerade, und das endete aber mit einer Geldstrafe, die dazu noch, wenn ich mich recht erinnere, sehr gering war, also eher symbolisch.
Fischer: Wenn der Staatsanwalt nun drei Jahre Straflager fordert, dann wird klar mit einer Verurteilung zu rechnen sein. Das jedenfalls sagt Silke Jerofejewa, die Frau des Angeklagten. Was bedeutet das für die Kunstszene in Moskau?
Hufen: Also, wenn sie wirklich zu Gefängnisstrafen verurteilt werden würden, dann wäre das natürlich furchtbar für die Kunstszene und auch eine Riesenblamage für den russischen Staat und für Moskau und für Petersburg, die sich als Kunststädte präsentieren. In Moskau hat erst im letzten Jahr eine riesige neue Halle für moderne Kunst eröffnet. Also, es gibt in Moskau moderne Kunst, es gibt immer Ausstellungen, es gibt jederzeit ganz viel zu sehen. Dass dieser Prozess stattgefunden hat, ist nicht unbedingt ein Ausdruck der generellen Situation rund um die moderne Kunst. Aber wenn jetzt eine Verurteilung stattfinden würde, würde das natürlich Druck ausüben auf Künstler, die überlegen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen: Religion, Prostitution, nackte Körper. Man würde sich das sicherlich noch mal überlegen, ob der Aufwand den Nutzen rechtfertigt.
Fischer: Es sind aber auch zunehmend Eingriffe vonseiten der Beamten zu verzeichnen, Übergriffe auf die Kunst, die man so ein bisschen landläufig mit der Regentschaft von Putin in Verbindung brachte.
Hufen: Es gibt immer wieder Fälle, wo irgendwelche Beamten glauben, eingreifen zu müssen in die Freiheit der Kunst und sich damit versuchen zu profilieren. Russland ist eine Mediengesellschaft wie unsere auch, Künstler profitieren vom Skandal, Politiker profitieren vom Skandal, Journalisten verdienen Geld mit der Berichterstattung. Das muss man im Kopf haben, auch bei diesem Prozess. Das steckt dahinter. Andererseits fördert der russische Staat die moderne Kunst. Ohne den russischen Staat gäbe es in Russland überhaupt keine moderne Kunst. Viel, das russische Kino, das russische Theater und so weiter – der russische Staat hat überall seine Hände drin und fördert das, und gleichzeitig, ein anderer Teil desselben Staates bekämpft es. So muss man sich das vorstellen.
Fischer: Herzlichen Dank, Uli Hufen, für diese Einschätzungen und die Hintergründe des Prozesses. Ein Moskauer Staatsanwalt hat drei Jahre Straflager für den Kurator Andrej Jerofejew gefordert.
Uli Hufen: Die Ausstellung war so konzipiert, dass man hineinkam in den Raum und da war eine weiße Wand, und in der weißen Wand sah man dann Gucklöcher und durch diese Gucklöcher konnte man diese somit noch mal extra sozusagen betonten Werke sehen. Und es drehte sich eigentlich um drei Themen, die sozusagen den Zorn der orthodoxen Ankläger hervorgerufen haben: Das eine ist der nackte Körper – dabei muss es nicht unbedingt um Prostitution gehen –, das zweite ist die russische Vulgärsprache Mat und das dritte ist jegliche Art von religiöser Symbolik. Wenn man ein Beispiel nennen will: Es gibt da zum Beispiel eine Serie von Kollagen, in denen alte, religiöse Gemälde aus der Renaissance oder aus dem 16., 17., 18. Jahrhundert gezeigt werden, wo Jesus Christus zu sehen ist und der Kopf ist durch Micky Maus ersetzt.
Fischer: Sie haben den Prozess aktuell und jedenfalls von Ferne verfolgt. Was ist Ihr Eindruck?
Hufen: Es ist eine große Farce eigentlich und ich habe auch das Gefühl, im Grunde weiß das jeder. Die Untersuchungen haben 2007 angefangen, seit einem Jahr laufen die Verhandlungen. Es war wie in einem Kinofilm ausstaffiert. Da waren also unglaublich viele alte Müttchen mit Kopftüchern und sozusagen als dekorative, orthodoxe Christen aufgeboten – man geht wahrscheinlich nicht zu weit, wenn man vermutet, dass sie von irgendwem dorthin bestellt worden sind –, dazu dann natürlich die Anklagten und ihre Verteidiger, die dort sozusagen die westlich orientierte, progressive Moskauer Mittelschicht repräsentieren. Und diese beiden Kräfte treffen dort aufeinander und müssen vor Gericht miteinander etwas austragen, was natürlich vor Gericht nicht gelöst werden kann.
Fischer: Nun ist man sich darüber im Klaren, dass diese Ausstellung so viel Öffentlichkeit nur bekommen hat, weil gläubige Orthodoxe gemeinsam mit Nationalisten diese Klage angezettelt haben. Eine Verurteilung der beiden aber würde doch die Rückkehr der Zensur, mindestens der Selbstzensur in Russland bedeuten. Das vermuten jedenfalls Beobachter. Wie steht es denn derzeit dort mit der Freiheit der Kunst?
Hufen: Diese Art von Prozessen nach Paragraf 282, Anstiftung zur religiösen Zwietracht oder zu Hass auf Religionen, hat es schon seit zehn Jahren immer mal wieder gegeben. Es ist aber nie jemand verurteilt worden. Auch gegen Juri Samodurow gab es schon einen Prozess wegen einer Ausstellung, da wurden auch drei Jahre Haft verlangt, so wie jetzt gerade, und das endete aber mit einer Geldstrafe, die dazu noch, wenn ich mich recht erinnere, sehr gering war, also eher symbolisch.
Fischer: Wenn der Staatsanwalt nun drei Jahre Straflager fordert, dann wird klar mit einer Verurteilung zu rechnen sein. Das jedenfalls sagt Silke Jerofejewa, die Frau des Angeklagten. Was bedeutet das für die Kunstszene in Moskau?
Hufen: Also, wenn sie wirklich zu Gefängnisstrafen verurteilt werden würden, dann wäre das natürlich furchtbar für die Kunstszene und auch eine Riesenblamage für den russischen Staat und für Moskau und für Petersburg, die sich als Kunststädte präsentieren. In Moskau hat erst im letzten Jahr eine riesige neue Halle für moderne Kunst eröffnet. Also, es gibt in Moskau moderne Kunst, es gibt immer Ausstellungen, es gibt jederzeit ganz viel zu sehen. Dass dieser Prozess stattgefunden hat, ist nicht unbedingt ein Ausdruck der generellen Situation rund um die moderne Kunst. Aber wenn jetzt eine Verurteilung stattfinden würde, würde das natürlich Druck ausüben auf Künstler, die überlegen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen: Religion, Prostitution, nackte Körper. Man würde sich das sicherlich noch mal überlegen, ob der Aufwand den Nutzen rechtfertigt.
Fischer: Es sind aber auch zunehmend Eingriffe vonseiten der Beamten zu verzeichnen, Übergriffe auf die Kunst, die man so ein bisschen landläufig mit der Regentschaft von Putin in Verbindung brachte.
Hufen: Es gibt immer wieder Fälle, wo irgendwelche Beamten glauben, eingreifen zu müssen in die Freiheit der Kunst und sich damit versuchen zu profilieren. Russland ist eine Mediengesellschaft wie unsere auch, Künstler profitieren vom Skandal, Politiker profitieren vom Skandal, Journalisten verdienen Geld mit der Berichterstattung. Das muss man im Kopf haben, auch bei diesem Prozess. Das steckt dahinter. Andererseits fördert der russische Staat die moderne Kunst. Ohne den russischen Staat gäbe es in Russland überhaupt keine moderne Kunst. Viel, das russische Kino, das russische Theater und so weiter – der russische Staat hat überall seine Hände drin und fördert das, und gleichzeitig, ein anderer Teil desselben Staates bekämpft es. So muss man sich das vorstellen.
Fischer: Herzlichen Dank, Uli Hufen, für diese Einschätzungen und die Hintergründe des Prozesses. Ein Moskauer Staatsanwalt hat drei Jahre Straflager für den Kurator Andrej Jerofejew gefordert.