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"Es ist eine Verurteilung zur Unbeweglichkeit"

Der Präsident der Berliner Akademie der Künste, Adolf Muschg, hat heute seinen Rücktritt erklärt und diesen Schritt mit Differenzen mit dem Senat der Akademie begründet. Nicht Kommunikationsprobleme, sondern Strukturprobleme seien der Grund für seine Entscheidung gewesen, so Muschg. Gleichzeitig warnte er davor, den dringenden Reformbedarf weiter durch die Aufrechterhaltung eines 5-Sparten-Betriebs zu blockieren.

    Wolfgang Stenke: Am Telefon ist jetzt Adolf Muschg, Schriftsteller und ehemaliger Präsident der Akademie der Künste in Berlin, muss man ja jetzt wohl sagen. Herr Muschg, Sie haben das Gespräch mit Udo Zimmermann mitgehört. Wie sieht Ihre Version des Konflikts aus?

    Muschg: Ja ich fürchte, es sind ein paar falsche Fronten aufgerichtet worden. Herr Zimmermann spricht von einem Kommunikationsproblem. Nein, Herr Zimmermann, es ist ein Strukturproblem in der Akademie. Und das hat gute historische Gründe. Natürlich ist die Akademie zusammengewachsen aus den einzelnen Kunstabteilungen, die hintereinander, zum Teil im Jahrhundertabstand, zusammengekommen sind.

    Der Urgedanke der Akademie war aber, dass sich Leute aus verschiedenen Künsten treffen, begegnen, das war im 18. Jahrhundert sozusagen der Reiz, dass man da eben als Musiker auch einmal einen Baumeister traf. In der heutigen Situation ist es so, dass die, gerade die Zweihäusigkeit Pariser Platz - Hanseatenweg, bedeutet, dass das Haus ein Konzept für sich selber haben muss. Und ich habe als Präsident vorgeschlagen, dass wir diesen 5-Sparten-Betrieb, der jetzt im neuen Satzungsentwurf, den Herr Zimmermann unterstützt hat im Gegenentwurf des Senats, zementiert werden sollte, der 5-Sparten-Betrieb, dass er abgelöst werden muss durch ein neues Selbstverständnis der Akademie. Da wäre ich mit Herrn Zimmermann ja noch so gerne einig gewesen, wenn er diesen Gedanken tatsächlich verfochten hätte.

    Meine Idee war: Die Akademie kann es sich nicht leisten, sozusagen weiter zu fahren als Gemischtwarenladen wie bisher; sie braucht einen klaren Schwerpunkt, jedes Jahr, in dem alle, zu dem alle Künste zusammenwirken. Sie braucht zweitens für den kulturpolitischen Auftrag ein eigenes Instrument, zu dem wieder alle Sektionen zusammenwirken; und sie hat dann weiter den klassischen Auftrag des Mitgliederkontaktes. Diese drei Dinge sind gewissermaßen die neuen Sparten der Akademie. Und ich bin damit nicht auf ein großes Echo gestoßen. Es kam dann einfach dazu, dass man in der neuen Satzung die alten Grenzen, die Sektionsgrenzen - wo eine Hand nicht weiß, was die andere tut -, dass man sie fortsetzen will. Und das ist - witzig finde ich, dass Herr Zimmermann seine Position als progressiv betrachtet. Ich glaube, es ist ein Urteil, eine Verurteilung zur Unbeweglichkeit. Und wir reden jetzt nicht von internen Verwaltungsinterna zur Besserungsfähigkeit. Es gibt den Reformbedarf der Akademie unendlich lange. Und ich bin angetreten, um ihn einmal erfüllen zu helfen. Und gerade Herr ...

    Stenke: Stichwort "Dilettantismus" und "Reformbedarf": Sie haben in einer Äußerung den Dilettantismus der Arbeit der Akademie beklagt. Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

    Muschg: Ja, zum Beispiel den Neubau am Pariser Platz. Ich möchte fast sagen, das ist das klassische Beispiel. Da hat die Akademie gewissermaßen ihre Gesamtverantwortung an die Sektion Baukunst abgetreten. Die Sektion Baukunst hat ihre Verantwortung abgetreten an einen einzelnen Architekten. Und über den jahrelangen Fassadenstreit und der ganzen baugeschichtlichen Misere ist eigentlich vergessen gegangen, was dieser Bau soll, wozu er dienen soll, was wir von ihm wollen, wofür wir ihn brauchen - also all das, was Herr Zimmermann völlig zu Recht anmahnt, was aber die Akademie in Jahren nicht vertreten hat, weil es an dieser Kommunikation unter den Sektionen gefehlt hat, weil es kein Konzept gab für die Akademie. Und jetzt stehen wir vor einem Bau, den wir nur begrenzt brauchen können. Und das ist eigentlich völlig lächerlich.

    Stenke: Wenn wir auf inhaltliche Dinge zu sprechen kommen, wo lägen denn die Themen, die nach Ihrer Ansicht vorrangig behandelt werden müssten?

    Muschg: Ein Thema, das ich der Akademie vorgeschlagen habe, war der Zusammenhang von Glaube und Kunst, also ich habe "Kult und Kultur" gesagt. Ein anderes Thema, das ich der Akademie vorgeschlagen habe, ist der Missbrauch, der mit dem Begriff "Identität" betrieben wird. Also ein im Zusammenhang mit dem europäischen Zusammenschluss enorm wichtiges Thema. Das sind alles Dinge, wofür die Abteilungen ihre, zum Teil auf Jahre hinaus programmierten Pläne hätten flexibel gestalten müssen und sagen: Wir packen jetzt zu, jetzt ist das aktuell und wir raufen uns zusammen in gemeinsamer Diskussion, dass wir da etwas auf die Beine stellen, was Signalwirkung hat, auch in der Öffentlichkeit, was die Akademie präsent macht. Und genau daran hat es gefehlt, und es deutet darauf hin ...

    Stenke: Jetzt muss ich leider mal zupacken, Herr Muschg, die Zeit läuft uns ein bisschen weg. Ich muss Sie jetzt leider abwürgen, ganz brutal. Tut mir Leid, ich bedanke mich für das Gespräch.