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"Es ist einfach die Dichte der Mannschaft"

Nach Ansicht des Fußballexperten Philipp Köster wird der FC Bayern auch in dieser Saison wieder den Ton angeben. Bei den Münchenern seien auch noch die Ersatzspieler fähig, die Meisterschaft zu gewinnen. Der Chefredakteur des Fußball-Magazins "11 Freunde" glaubt aber auch, dass die Vereine FC Schalke, VfB Stuttgart und Herta BSC ganz oben mitspielen.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Und über den deutschen Fußball im WM-Jahr möchte ich jetzt sprechen mit dem Chefredakteur des Fußball-Magazins "11 Freunde", Philipp Köster. Herr Köster, ist die Schale tatsächlich schon vergeben? Machen die Bayern in diesem Jahr erneut das Rennen?

    Philipp Köster: Na, wenn man die Bundesliga-Kapitäne hört, wenn man die Trainer hört, dann gibt es nur einen einzigen möglichen deutschen Meister, und das ist der FC Bayern. Aber ich glaube, man hat gesehen, der FC Schalke ist auf jeden Fall vorne dabei. Der VfB Stuttgart hat sich auch viel vorgenommen. Vielleicht ist ja Herta BSC auch als Überraschungsmannschaft dabei. Ich glaube, immer dann, wenn man große Langeweile prognostiziert hat und gesagt hat: Der FC Bayern macht es auf jeden Fall, dann wurde es am Ende doch noch zumindest ein bisschen spannend. Und meine Hoffnung ist schon, dass zumindest der FC Schalke das Rennen spannend macht.

    Heinlein: Im Vergleich zu Schalke oder Stuttgart war die Einkaufspolitik der Bayern ja eher zurückhaltend. Warum wird Bayern dennoch als der große Favorit gehandelt?

    Köster: Es ist einfach die Dichte der Mannschaft. Dort ist sicherlich auch noch mal die Ersatzbank auch noch fähig, die Meisterschaft zu gewinnen. Es ist einfach so, dass Felix Magath natürlich auch mit dem Rückenwind von Pokalsieg und Meisterschaft die Mannschaft auch motivieren kann. Es ist ja das große Ziel, auch endlich europäisch wieder was zu reißen, in der Champions League nicht frühzeitig wieder auszuscheiden. Diese Mannschaft hat einfach noch viel vor, und sie hat auch in der letzten Saison gezeigt, dass sie einfach noch nicht am Ende ihrer Entwicklung ist – insofern sind sie der logische Favorit.

    Heinlein: Auch der einzige deutsche Weltstar, Herr Köster, kickt bei den Bayern: Michael Ballack. Derzeit läuft ein Vertragspoker um die Verlängerung des Vertrages. Sollte der deutsche Kapitän der Nationalmannschaft ins Ausland abwandern, wäre dies für Sie ein Zeichen für die fehlende Konkurrenzfähigkeit deutscher Vereine im Vergleich mit Italien, Spanien oder England?

    Köster: Einerseits ist es ja so: Wenn Michael Ballack mit Manchester United verhandelt, dann verhandelt er mit dem größten Club überhaupt und da ist sicherlich auch eine Mannschaft wie Juventus Turin oder der AC Mailand nicht wirklich konkurrenzfähig. Andererseits ist es natürlich so, dass fast kein einziger deutscher Spieler im Ausland spielt – vielleicht bis auf Jens Lehmann, der bei Arsenal London doch eine gute Partie gespielt hat. Es ist einfach so, dass Michael Ballack sich selber entscheiden muss, ob er noch mal diesen Schritt wagen will, ob er irgendwie sein ganzes Leben, sein ganzes Fußballleben in Deutschland gespielt haben will. Das ist eine persönliche Entscheidung. Ich glaube, von dort auf die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Mannschaften insgesamt zu schließen, ist wahrscheinlich ein bisschen kurzsichtig.

    Heinlein: Sind deutsche Spieler nicht gut genug für die europäischen Top-Vereine?

    Köster: Der Eindruck könnte entstehen, wenn man sieht, wie um holländische, italienische, spanische und südamerikanische Spieler gebuhlt wird. Da ist es sicherlich so, dass wir in den letzten Jahren sehr, sehr viel versäumt haben, gerade was die Technikausbildung und die taktische Ausbildung der deutschen Spieler angeht. Das merkt man jetzt natürlich. Aber ich glaube, das wird sich in wenigen Jahren schon wieder gegeben haben. Es wachsen jetzt sehr, sehr viel versprechende junge Spieler heran und ich glaube, in fünf, sechs Jahren werden wir nicht mehr darüber reden, dass deutsche Spieler nicht im Ausland spielen.

    Heinlein: Es fehlen nicht nur die deutschen Top-Stars – auch die internationale Elite kickt ja eher bei Chelsea, Real oder Milan. Wieso können Bayern und Schalke im internationalen Vergleich bei der Einkaufspolitik nicht mithalten? Liegt es an der schwachen deutschen Wirtschaft oder wird hierzulande, bei den deutschen Vereinen, einfach nur solider gewirtschaftet?

    Köster: Wir haben das große Problem – das ist anders als in Italien und vor allen Dingen in England -, dass wir hier in Deutschland nicht so große Fernseh-Erlöse für die Vereine haben. Natürlich stehen dem FC Chelsea durch seinen russischen Mäzen, aber auch anderen englischen und italienischen Vereinen ganz andere Geldmittel zur Verfügung, einfach durch die Erlöse aus dem Pay-TV. Das ist natürlich ein strukturelles Problem der deutschen Vereine, was sie jetzt versuchen, auch einfach durch die Verlagerung von Fußball ins Pay-TV ein bisschen abzuhelfen. Aber momentan gibt es einfach strukturelle Nachteile. Wir können einfach nicht mit diesen schon horrenden Ablösesummen – 15, 17, 20 Millionen, was da teilweise gezahlt wird – mithalten, die einfach in England gezahlt werden. Das ist momentan sicherlich so. Andererseits verleitet es die deutschen Vereine natürlich auch, nicht ganz so Harakiri-Wirtschaft zu betreiben, wie es oft gerade italienische Vereine tun, die ja unfassbar überschuldet sind. Insofern kann man fast ein bisschen froh sein, dass wir einfach durch weniger Geld ein bisschen zu unserem Glück gezwungen werden.

    Heinlein: Müssen diese Rahmenbedingungen, die Sie gerade geschildert haben, sich ändern, damit deutsche Vereine im internationalen Vergleich dann wieder mithalten können?

    Köster: Die deutsche Fußballliga drängt natürlich darauf. Und die Vereine drängen darauf, weil sie natürlich mehr Geld erlösen wollen. Nur die Frage ist: Wie viel verändert sich dadurch für den Fan? Es ist ja so: Wenn immer mehr Spiele ins Pay-TV abwandern, wenn plötzlich Spiele um 12 Uhr, um 15 Uhr, um 15 Uhr 30 und um 18 Uhr angepfiffen werden, ist das dem Fan überhaupt noch zumutbar? Und ich befürchte einfach, dass die Nachteile einer solchen Verlagerung ins Pay-TV – die natürlich mehr Geld bringen würde – dann sich doch sehr nachteilig für den Fan auswirken würden.

    Heinlein: Wäre es aber nicht gerade in diesem WM-Jahr hier in Deutschland wichtig gewesen, dass mehr internationale Top-Stars wie ein Milan Baros nach Schalke geht?

    Köster: Milan Baros hätte ja auch von Schalke nur verpflichtet werden können wirklich für ein unglaubliches finanzielles Engagement. Und da war es schon ganz richtig, dass der FC Schalke gesagt hat: Das machen wir nicht mit, diesen Wahnsinn. Ich glaube, dass die Bundesliga trotz allem boomt, die Vorfreude ist groß – man merkt das ja auch an diesen neuen Rekorden bei den Käufen von Dauerkarten, man merkt das einfach an der ganzen Vorfreude auf die Saison. Ich glaube, wir werden keine großen Probleme haben, hier in Deutschland eine große Vorfreude hervorzurufen. Da braucht es nicht allzu viele große italienische Top-Stars. Und ein paar immerhin, mit Roy Makaay und anderen, haben wir ja auch hier in Deutschland.

    Heinlein: Aber die Kinder auf den Bolzplätzen, die kicken ja eher mit einem Beckham- oder einem Ronaldinho-Trikot als mit einem Hinkel oder Brdaric.

    Köster: Das stimmt natürlich und man wird sicherlich irgendwann einmal die Gretchenfrage stellen wollen: Wie halten wir es mit der Konkurrenzfähigkeit? Ich denke, es ist irgendwann eine ganz zwangsläufige Entwicklung, dass wir sagen: Wir wollen mit den ganz großen Ligen mithalten. Es gab ja früher einmal dieses Diktum von der deutschen Bundesliga als stärksten Liga der Welt – davon redet schon inzwischen seit zehn Jahren niemand mehr. Ich glaube, wir müssen uns fragen: Wollen wir das? Wollen wir mit den ganz großen Clubs, mit den ganz großen Ligen mithalten? Diese Frage kann eigentlich nur mit Ja beantwortet werden. Aber dann befürchte ich zum anderen strukturelle Einschnitte, was einfach sich dann sehr, sehr negativ für die Fans auswirken müsste, die dann nicht mehr nachmittags um halb vier am Samstag, sondern schon mittags um zwölf, wenn eigentlich das Mittagessen auf dem Tisch steht, dann sich schon in die Stadien bewegen müssen. Ich bin da selber nicht ganz sicher, was da der richtige, der Königsweg ist.

    Heinlein: Stichwort: Fans, Herr Köster. In den neuen Stadien gibt es ja immer weniger Stehplätze, dafür umso mehr VIP-Loungen. Verändert dies die Atmosphäre und die Fan-Kultur in den Stadien in der Bundesliga?

    Köster: Das hat sich schon verändert seit Beginn der 90er Jahre, als das Privatfernsehen den Fußball entdeckt hat und der Fußball so ein bisschen gemerkt hat, wie viel Geld er eigentlich mit sich verdienen kann. Es ist einfach so gewesen, dass sich viele Leute, die früher in die Stadien gegangen sind, zurückgezogen haben. Es sind neue Leute ins Stadion gekommen, auch durchaus betuchtere Leute. Und das hat sich natürlich sehr, sehr negativ auf die Stimmung ausgewirkt, weil sehr, sehr viele Leute ins Stadion kommen, um sich unterhalten zu lassen. Die Leute, die selber sagen: Wir sind der zwölfte Mann, wir sind ein Akteur, wir wollen selber das Spiel mit beeinflussen, die sind immer weniger geworden. Und wenn man so die Stimmung aus den 80er Jahren und den 90er Jahren mit heute vergleicht, dann ist das schon wirklich ein Quantensprung ins Negative. Es ist sehr, sehr schade, aber glaube ich auch einfach auch eine Konsequenz daraus, dass man den Fußball immer mehr zu einem Showbetrieb umgestaltet hat.

    Heinlein: War Fußball früher schöner?

    Köster: Ich will da gar nicht so klebrig nostalgisch werden. Der Fußball war sicherlich früher nicht schöner, wenn man sich die Spielzüge angeschaut hat. Aber er war sicherlich ein bisschen ehrlicher und er war vor allen Dingen leidenschaftlich – sowohl auf den Rängen als auch auf dem Spielfeld. Wenn man sich allein anschaut, wie die Spieler heute jubeln, da ist sehr, sehr viel Inszenierung dabei. Ich bilde mir ein, doch früher einfach ein bisschen ehrlicheren, natürlicheren Jubel gesehen zu haben. Und das gilt für die Leute auf den Rängen genauso. Da wird sehr, sehr viel nur noch darauf reagiert, was der Stadionsprecher macht oder was die Stadionmusik macht. Da ist gar nicht so viel Aktion mehr da, dass man sagt: Wir denken uns jetzt selber mal was aus. Das ist natürlich sehr schade. Ich für mich, als jemand, der in den 80er Jahren Fußball-sozialisiert worden ist, auch eine sehr bedauerliche Entwicklung.