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"Es ist immer noch besser, großspurig zu sein"

Mit Großstadtfilmen wie "Rocker" wurde die Regielegende Klaus Lemke berühmt als Polemiker wider das deutsche Autorenkino - und als einer seiner letzten echten Vertreter. Gerade steht er wieder hinter der Kamera. In Berlin, einer Stadt, die laut Lemke "allergisch auf sich selber ist".

Von Rüdiger Suchsland | 15.08.2012
    "Hier hängen vier Seiten, bunt beschrieben. Jeden Tag, wenn ich hier so verzweifelt zurückkomme in mein Labor, schreibe ich auf, was ich gedreht habe in einem ganz kurzen Wort und wenn eine Seite voll ist, dann sind das auch zehn Minuten Film. Jetzt hab ich vier Seiten und bin ungefähr bei 40 Minuten Film - bei dem allerkritischsten Moment, bei dem Moment wo ich gewöhnlich von drei Filmen zwei abbreche. Dieser Moment war vor zwei Tagen."

    Berlin Mitte im Hochsommer, ein Hinterhaus in der Torstraße, eine Wohnung, drei Zimmer, Küche, Bad. Karg eingerichtet ist sie für zwei Monate für den Bewohner Klaus Lemke.

    "Andere Leute haben andere Sorgen
    Andere Leute haben's immer leichter
    Andere Leute haben andere Frauen
    Andere Leute sind auch schon gestorben"

    Allein mit Musikvideos wie dem Clip "Andere Leute" des Berliner Undergroundstars "Malakoff Kowalski" war Klaus Lemke einige Jahre lang auf Filmfestivals wie den Oberhausener Kurzfilmtagen vertreten.

    Lemke, eine deutsche Regielegende, berühmt als Polemiker wider das deutsche Autorenkino und zugleich einer seiner letzten echten Vertreter, war in den späten Sechziger Jahren einer der Helden jener "Münchner Gruppe" von Regisseuren, zu denen auch Rudolf Thome gehörte, die zwar Autorenfilmer sein wollten, aber ganz andere, als die Regisseure, die sich vom Oberhausener Manifest ausgehend inzwischen zum "Neuen Deutschen Film" formiert hatten.
    Für sie war Hollywood kein Feind, auch Frankreich liebte man, und empfand dagegen Fassbinder als gekünstelt, Straub und Kluge als didaktische und allzustrenge Asketen und Werner Herzog einfach als Barbar.

    Lemke drehte Großstadtfilme, schmutzig und direkt, anarchistische Momentaufnahmen, und ihm gelangen dabei Werke wie "48 Stunden bis Acapulco", "Rocker" und "Sylvie", die im Rückblick nach 40 Jahren mehr vom damaligen Westdeutschland erzählen, als so mancher weit bekanntere Film der Konkurrenten.

    Noch Anfang der 80er kam fast jedes Jahr ein Lemke Film ins Kino, und der Regisseur war an der Seite von Fassbinder im Wettbewerb großer Festivals wie dem um den Goldenen Löwen von Venedig vertreten.

    Dann wurde es stiller um ihn, aber Lemke drehte unverdrossen weiter seine Filme, die vor allem im Fernsehen zu sehen waren. Zuletzt wurde Lemke mit seinen Filmen wieder regelmäßiger Gast auf Festivals wie der Viennale und den Hofer Filmtagen.

    Und in diesem Frühjahr kam dann mit "Berlin für Helden" wieder ein Lemke-Film in die deutschen Kinos, nach 16 Jahren - ein urbanes Melo um vier junge Menschen, die in der Hauptstadt in den Tag hinein leben und ihr Glück suchen. Die Jungs – Männer möchte man sie nicht nennen – tragen Lederjacken zur Sonnenbrille, und machen überhaupt auf James Dean: Flotte Sprüche, weiches Herz. Die Frauen sind zupackender, tougher, und haben vor der Kamera oft auch weniger an.

    Jetzt dreht Lemke schon wieder, und wieder, obwohl er eigentlich in München und Hamburg lebt, in Berlin. Sein neuer Film trägt den Titel: "Berlin, Texas" - eine Anspielung natürlich auf Wim Wenders modernen Klassiker "Paris, Texas" das letzte Werk des "Neuen Deutschen Films"

    "Es hält doch auch die Erinnerung an die schöne Musik und an die tolle Kinski hält das ein bisschen am Leben. Immerhin bin ich mit Wim aufgewachsen aber mit seiner Philosophie, mit dieser Veredelungsfilmphilosophie und seiner falschen Anbetung des amerikanischen Kinos und auch dieser bürgerlichen Unwissenheit aus der er kommt, hat er den meisten Leuten, die jetzt beim Film sind, das Leben ein bisschen verdorben."

    "Berlin, Texas" wird, wie sein Vorgänger, ein Berlin-Film.
    Berlin ist für Lemke nach wie vor ein wilder, unerforschter Ort.

    "Ich finde Ostkreuz ist das - wenn irgendwas Texas ist, dann ist es wirklich Ostkreuz. Ostkreuz ist so bösartig, chaotisch, so jenseits von Berlin, als wäre es ganz ganz woanders, als wäre es wirklich Texas. Bei schönem Wetter. Bei schlechtem eigentlich auch. Hier ist ja immer schlechtes Wetter."

    Die deutsche Hauptstadt fasziniert Lemke auch, weil hier die Schwächen der deutschen Gegenwart klarer zutage treten als irgendwo sonst:

    "Ich habe das Gefühl, dass die Stadt im Moment so lebt wie in einem Zeugenschutzprogramm und sich nur nicht outen will, damit sie nicht erwischt wird mit den Lügen vom letzten Jahr - ich habe auch das Gefühl, dass Berlin allergisch auf sich selber ist, und dass Berlin unbedingt raus will aus seiner eigenen Haut.
    Jetzt ist es so, dass man das Gefühl hat, dass Berlin tatsächlich den Hals in der Schlinge hat wie die ganze Bundesrepublik, wie wir alle. Wir leben sicher in einer ganz außergewöhnlichen Situation im Moment."

    Jetzt steht Klaus Lemke in seiner Wohnung in der Torstraße, mit enger Röhrenjeans und weißem T-Shirt und erläutert seine Methode des improvisierten Films, den er ohne Filmförderung dreht, meist mit Laien, denen der eine Pauschale von 50 Euro am Tag zahlt, und nach Verkauf des Films und Abdeckung der Produktionskosten weitere 100 Euro und vor allem ohne irgendwelche Filmfördergelder - eine große Ausnahme in einer sonst von Anfang bis Ende durchgeförderten deutschen Filmlandschaft.

    Er selbst, Autor, Regisseur und Produzent in einem, geht bei dieser Methode ins Risiko:

    "Ohropax ist ganz wichtig. Ich muss vollkommen frisch sei, dann kann ich mich innerhalb von Minuten entscheiden, was wir tagsüber drehen. Wenn das nicht der Fall ist, dann kann ich nicht drehen, dann wird auch nichts gedreht. Ich will mich morgens nicht noch angucken, wenn mir so ein Unsinn einfällt, für den ich mich auch noch selbst schäme. Ich schäme mich für mich selbst und will mich nicht angucken, was mir einfällt. Dann versuche ich das ein bisschen zu glätten und dann fällt mir ein, so gegen zehn Uhr dass ich es genauso drehen muss, wie es mir morgens einfällt, und ich hab auch dann die Kraft das zu tun und mich durchzusetzen gegen mich selbst. Das ist das ganze Ding: Wie man mit sich selbst dealt."

    Klaus Lemke arbeitet ganz gemäß dem klassischen Ansatz des Autorenkinos. Nach dem müssen Filme unbedingt persönlich sein. Ein subjektiver Ausdruck des Charakters des Autors und des Augenblicks ihrer Entstehung.
    Und irgendwann geht es darum, einfach loszulassen, um eine Art Übertragung der Methode der "écriture automatique" aufs Kino:

    "Der Film hat die Chance, dass er sich ab der 40 Minute mir selber erzählt und ich nichts mehr machen muss, als das zu verfilmen, was der Film mir erzählt, was ich dem Film ablese - so wie man ja auch sagt, dass bestimmte Fußballspieler ein Spiel lesen können. Ich versuche dahin zu kommen, dass ich den Film lese, und dann automatisch das Richtige mache. Aber es ist nun mal so, dass von drei Filmen bei zweien, dass der Film an der Mitte stumm wird und nicht mehr weiter erzählt. Und dann brech' ich den Film ab. Denn ich würde genauso vorgehen, wie diese ganzen Drehbuchschreiber und Autoren und würde etwas erfinden, was die Leute langweilt, denn die Leute würden es vorausahnen, was ich vorhabe. Das is ja das ganze Problem: Man weiß ja nach drei Minuten genau, wo der Film hingeht, man weiß genau: wer mit wem - genau das versuche ich zu vermeiden. Es kommt nicht auf das einzelne Bild an, sondern welches Bild auf welches Bild folgt und hier sind Ideen, wie man welches Bild auf welches Bild folgen lassen kann - gewöhnlich geklaut aus anderen Filmen."

    Ein bisschen Größenwahn muss sein, da ist sich der alte Nonkonformist Lemke sicher:

    "Es ist immer noch besser, großspurig zu sein, als wie Papi und Mami zu reden - egal was passiert: Hauptsache man geht nicht konform mit irgendetwas."

    Drehzeit ist für Lemke immer auch eine Zeit der Entsagung. Denn zumindest wenn es um die Dreharbeiten selbst geht, dann wird der Künstler-Hedonist zum Puritaner und Disziplinmenschen:

    "Also während des Drehs: Kein Alkohol, keine Drogen, kein Sex. Auch jeder andere, der das im Film missachtet - Sex innerhalb des Teams: sofort gefeuert. Das sind absolut grundlegende Dinge, ohne die geht alles kaputt. Deswegen sind die Filme auch so schlecht: Nach einer Woche aus reiner Langeweile fickt der Hauptdarsteller die Hauptdarstellerin und danach ist der Film tot."