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"Es ist kein Buch der Antworten"

Tomas Sedlacek war ein enger Mitarbeiter des verstorbenen tschechischen Präsidenten Vaclav Havel. Kurz vor seinem Tod hat er das Vorwort zur deutschen Ausgabe des Buches "Die Ökonomie von Gut und Böse" geschrieben. Sedlacek ist von Haus aus Ökonom, aber er interessiert sich für weit mehr als nackte Zahlen.

Von Stefan Maas |
    Tomas Sedlacek ist anders. Anders zumindest als man sich den Chefvolkswirt der größten tschechischen Bank vorstellen würde, einen, der den ehemaligen Präsidenten Vaclav Havel während seiner Amtszeit in Wirtschaftsfragen beraten hat, Mitglied im nationalen Wirtschaftsrat ist und an der Prager Karls-Universität lehrt, wenn er nicht gerade einen seiner vielen Medienauftritte absolviert oder auf Werbetour ist für sein Buch. Die Haare unbändig und rot, die Stimme laut, das Lachen noch lauter - wirkt der 35-Jährige eher wie ein Student denn wie ein Ökonom. Und doch passt der Eindruck. Denn auch Sedlaceks Buch "Die Ökonomie von Gut und Böse" ist anders. Anders zumindest als das Wort Ökonomie im Titel vermuten lässt. Tomas Sedlacek:

    "I don't think it's a book of answers of what to do, but I hope it is a book of places where answers may be found."

    Es sei kein Buch der Antworten, was zu tun sei, sagt der Autor, aber er hoffe, dass es ein Buch der Orte sei, an denen sich Antworten finden lassen. Und an diese Orte nimmt Sedlacek seine Leser, die keine ökonomische Vorbildung brauchen, mit. Es ist eine wilde Reise, die vom Vorderen Orient bis ins Europa der Aufklärung geht und noch weiter bis heute. Es ist eine Reise durch die Geschichte der menschlichen Gesellschaft. Denn hier sind seiner Meinung nach die Grundlagen für unser heutiges Verständnis von Ökonomie zu finden. Auch wenn sich heutige Ökonomen nicht immer daran erinnern oder erinnern wollen, weil es ihre Wissenschaft viel weniger exakt erscheinen lässt, wenn sich deren Wurzeln auf religiöse Texte und alte Mythen wie das babylonische Gilgamesch-Epos zurückverfolgen lassen. Und doch, schreibt Sedlacek:

    Unsere modernen, auf strikten Modellen basierenden ökonomischen Theorien sind nichts anderes als Nacherzählungen dieser Metageschichten in einer anderen Sprache. Daher müssen wir die Geschichte von Anfang an kennen - wer nur Ökonom ist, wird nämlich nie ein guter Ökonom sein.

    Diesen Gedanken ist frei nach John Stuart Mill formuliert, doch bevor sich der Autor auch mit seinen Ideen auseinandersetzt, nimmt er seine Leser noch viel weiter mit zurück in die Geschichte. In Zeiten, als die Ökonomie noch keine Religion war und Analysten ihre Priester, in denen sich aber sehr wohl die Religion mit wirtschaftlichen Fragen auseinandergesetzt hat:

    "Ich frage die Leute immer, erinnern sie sich an den ältesten beschriebenen Konjunkturzyklus der Menschheitsgeschichte? Denn sie alle kennen ihn, sie bringen es nur nicht damit in Verbindung. Und manchmal raten es die Leute, manchmal auch nicht. Er steht im Alten Testament. Buch Genesis, Kapitel 41. Es ist die Geschichte vom Pharao und seinem Traum von den sieben fetten und sieben mageren Kühen. Und Joseph interpretiert diesen Traum. Herzlichen Glückwunsch Pharao, das war gerade die erste makroökonomische Vorhersage für die kommenden 14 Jahre. Und so solltest du vorgehen."

    Spare in guten Zeiten, dann hast du für die schlechten. Das ist der Rat den Joseph dem Pharao gibt und der sich bis heute in der Wirtschaftslehre wieder findet. Zum Beispiel in Keynes antizyklischer Fiskalpolitik. Sedlacek setzt sich im ersten Teil seines Buches intensiv mit den Gedanken zu wirtschaftlichen Fragen auseinander, die in seiner Lesart sowohl in den jüdischen als auch den christlichen Texten eine wichtige Rolle spielen.

    Die Bibel und die Ökonomie sind viel enger miteinander verwoben, als man annehmen würde. 19 der 30 Gleichnisse und Beispiele Jesu im neuen Testament haben einen wirtschaftlichen oder sozialen Kontext: die Gleichnisse von der verlorenen Drachme, vom klugen Verwalter, von den Arbeitern im Weinberg und viele andere.

    Auch den Fragen, lohnt es sich - auch wirtschaftlich - Gutes zu tun - und bringt nicht auch das Böse die Entwicklung einer Gesellschaft voran oder muss der Mensch zu seinem eigenen Wohle zum Guten notfalls gezwungen werden - widmet Sedlacek viele Seiten. Ausführlich seziert er die Ideen der griechischen Philosophen, setzt sich mit den Schriften Thomas von Aquins ebenso auseinander wie mit denen von Hobbes, Hume, Mandeville, um nur ein paar Namen zu nennen. Und stellt dabei nicht nur fest, dass für Adam Smith die Moral ein zentraler Aspekt der Ökonomie gewesen ist. Sondern auch, dass die Idee der unsichtbaren Hand, nach der - kurz gesagt - der Einzelne, der nach persönlichem Reichtum strebt, durchaus zum Wohlstand der Gesellschaft beiträgt - schon vor Smith bekannt war, wie dieser Vers des griechischen Dichters Aristophanes zeigt:

    Laut einer Legende aus alter Zeit werden all unsere törichten Pläne und eitlen Dünkel auf das Gemeinwohl hingeordnet.

    Im zweiten Teil des Buches geht es einmal um die Gier, die Unersättlichkeit, um die Frage wann wir uns dem Wachstum um seiner selbst willen verschrieben haben, und im wahrsten Sinne eine Krise bekommen, wenn dieser Mechanismus ins Stocken gerät. Tomas Sedlacek:

    "Wir sind uns nicht ganz sicher, wohin wir gehen, aber wir kompensieren das, indem wir immer schneller laufen. Das ist falsch. Wenn man seinen Weg verloren hat, dann sollte man stoppen und nicht noch schneller fahren. Es gibt zwei Wege zu laufen. Entweder läuft man auf ein Ziel zu. Oder man läuft, um des Laufen Willens. Das heißt: Jogging. Das ist okay, aber man joggt immer im Kreis herum. Und wenn man immer im Kreis läuft, sollte man sich nicht wundern, wenn man nirgendwo ankommt."

    Außerdem spürt Sedlacek dem Zeitpunkt nach, an dem die Mathematik in der Ökonomie die Oberhand über Moral und Menschenverstand gewonnen hat. Daraus leitet er zwei Forderungen ab: an uns alle: Wachstum um seiner selbst Willen kritisch zu betrachten. Und an die Mitglieder seiner Zunft: ihren Blick von den blanken Zahlen und Modellen zu heben - denn sie erklären die Welt viel zu mechanistisch - und sich wieder mehr den Menschen zuzuwenden. Diese Schlussfolgerungen sind für einen Moment lang eine Enttäuschung, eigentlich hätte man sich nach so einem grandiosen ersten Akt mehr gewünscht. Oder zumindest einen Hinweis, wie sich die neu gewonnenen Erkenntnisse praktisch umsetzen ließen, denn da bleibt der Autor vage. Doch kaum ist das Buch zugeklappt, kommen schon Zweifel am Zweifel. Hat der Autor nicht selbst gesagt, es ist kein Buch der Antworten. Ist nicht der eigentliche Wert dieses Buches, dass es den Blick weitet? Dass es sich dem Thema Ökonomie auf eine ganz ungewöhnliche Weise aus einer ganz unerwarteten Richtung nähert? Altbekanntes neu entdecken lässt? Auch wenn man über manche Thesen und Schlussfolgerungen trefflich streiten kann - aber vor allem, dass es trotz manchmal anstrengender Wiederholung, ein furioses Leseabenteuer ist. Und Sedlacek, ein höchst kreativer Erzähler, dem man gerne folgt an alle die Orte, an denen die Antworten liegen könnten.

    Tomas Sedlacek
    Die Ökonomie von Gut und Böse. Carl Hanser Verlag, 448 Seiten, 24,90 Euro

    ISBN: 978-3-446-42823-2