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"Es ist kein Kitsch"

"Abenteuerroman, wunderbare Sprache, Anklänge vom historischen Roman". Bärbel Flat vom Verlag Kiepenheuer & Witsch ist begeistert von Jean-Marie Gustave Le Clézio. Sie ist die deutsche Lektorin des 1940 in Nizza geborene Schriftstellers, der in diesem Jahr den Literaturnobelpreis erhielt und für seine Gefühligkeit, sein Umweltbewusstsein und seine besondere Sprachmelodie bekannt ist.

Bärbel Flat im Gespräch mit Karin Lückert |
    Karin Lückert: Die Nachrichtenagentur Agence France Press hatte schon am 3. Oktober gemeldet, dass Le Clézio diesmal ganz oben auf der Liste der Stockholmer Akademie stehe. Normalerweise führen solche Meldungen zum Gegenteil. Der Betreffende kriegt den Preis nicht. Diesmal scheint es aber ein entente zwischen Paris und Stockholm gegeben zu haben. Le Clézio war heute früh schon als Gast beim französischen Radiosender France Inter eingeladen. Und obwohl Le Clézio ein bisschen zu bremsen versuchte, sprach der Moderator so, als ob es völlig klar wäre, dass der Preis vier Stunden später an Le Clézio ginge. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hat Jean-Marie Gustave Le Clézio gewissermaßen für Deutschland entdeckt. Die Frage geht an die Lektorin Bärbel Flat. Waren Sie überrascht von der Erklärung der Akademie?

    Bärbel Flat: Ja, denn zum einen kann man schon mal sagen, in einer deutschen Zeitung, soweit ich das verfolgen konnte, hat nichts davon gestanden, dass er unter den potenziellen Kandidaten ist. "Die Zeit" hat heute zum Beispiel eine Umfrage unter Autoren gemacht, wer ist ihr Lieblingskandidat. Und das liegt sicherlich daran, dass dieser Autor bei uns so gut wie nicht wahrgenommen worden ist.

    Lückert: Woran liegt das?

    Flat: Das frage ich mich auch immer. Ich habe Mitte der 80er Jahre auf einer Reise nach Paris ein Buch von ihm empfohlen bekommen, das lange nach der Nouveau-Roman-Phase entstanden ist, nämlich "Der Goldsucher", "Le chercheur d'or". Und das habe ich im Zug auf der Rückfahrt gelesen, ich war hin und weg von der Lektüre, Abenteuerroman, wunderbare Sprache, leichter, spielt auf Mauritius, Anklänge von einem historischen Roman. Ein ideales Buch, und es hatte auch einen ganz großen Erfolg. Ich meine, man ist dann glücklich und sagt, so, es hat geknallt. Und danach war eigentlich nichts mehr.

    Lückert: Lag es daran, dass er über andere Themen geschrieben hat?

    Flat: Nein. Die Themen haben sich nicht geändert. Es ist Afrika, es ist wieder Mauritius. Ich glaube, es liegt zum einen daran, wenn Sie die Erklärung der Akademie nehmen, die haben da so einen witzigen Klappentextausdruck gebraucht, mit ekstatischem Irgendwas. Er hat etwas in seiner Sprache und in der Darstellung seiner Figuren, dass er vielleicht für deutsche Leser, die auch stark von der amerikanischen Literatur geprägt sind, fremd ist. Es ist nicht, ich würde es nicht als exotisch bezeichnen, aber vielleicht eine Gefühligkeit, die uns nicht immer angenehm erscheint.

    Lückert: Das heißt, Buchmarkt, wirtschaftlich gesagt, verkaufen sich seine Bücher in Deutschland eher schlecht?

    Flat: Die letzten schlecht, ja.

    Lückert: Sie haben ihn kennengelernt.

    Flat: Ja.

    Lückert: Wie ist er als Mensch? Magischer Wanderer zwischen den Welten, so in der Realität?

    Flat: Wenn man seine Bücher liest, und wenn man den letzten Roman nimmt, "Revolution", der stark autobiografisch geprägt ist, er hält es allerdings auch relativ stumm oder still, so ist er eigentlich noch sehr zurückgenommen im Vergleich zu seinen Figuren. Ich glaube, er schützt sich auch.

    Lückert: Spielt er eine Rolle im französischen Literaturbetrieb, oder ist er da auch sehr zurückgezogen?

    Flat: Er lebt ja nicht in Paris. Der lebt an der Côte d’Azur in Nizza und zum Teil in Neumexiko, in den USA. Er ist, ich würde sagen, sobald er erscheint, sicherlich eine wichtige Figur im französischen Literaturbetrieb. Und wenn er ein Buch schreibt, steht es sofort auf Platz eins der Bestsellerliste.

    Lückert: Uli Wittmann hat es ins Deutsche, viele Bücher, übertragen.

    Flat: Bis auf den "Goldsucher" alle, die bei uns erschienen sind.

    Lückert: Sicher auch nicht gerade eine leichte Aufgabe, diese Sprache?

    Flat: Ja, er hat das, finde ich, sehr, sehr gut geschafft. Er hat diese Melodiösität der Sprache sehr gut ins Deutsche rübergekriegt und hat auch vermieden, und das sage ich jetzt ganz bewusst, weil es dem Autor auch vorgeworfen wird, dass es Kitsch wird, ich finde, es ist kein Kitsch.

    Lückert: Man hat ihm ja auch vielleicht vorgeworfen, so ein bisschen so ein zivilisationsmüder, ein fast grüner, umweltbewegter Schriftsteller zu sein.

    Flat: Ja, das ist eben von Frankreich her gesehen natürlich naheliegend. Demnach hätte er ja eher hier ankommen müssen, wenn Sie die grüne Seite von ihm nehmen. Aber er hat natürlich in seinem Werk sehr eindrucksvolle Naturbeschreibungen. Und es gibt eine gewisse Wehmut über das, was kaputt gegangen ist. Aber ich würde sagen, der ist kein militanter Grüner oder so was.

    Lückert: Was ist das für Sie, das Besondere an ihm?

    Flat: Für mich ist es die Sprache. Für mich ist es die Sprache und dann ist es auch etwas, und das sind auch meine eigenen, schon ganz frühen Lesegefühle gewesen, das ist auch ein bisschen dieser Abenteuerroman. Und das ist ein bisschen dieses Ferne, was man ja auch beim Lesen oft entwickelt. Man braucht ja nur an Stevenson zu denken. Das, finde ich, ist alles für mich ganz wichtig gewesen und dazu auch, weil ich viel in Frankreich war und in Frankreich gelebt habe, und es war eigentlich der wichtigste französische Autor, den ich außer Nathalie Sarraute, die nun Nouveau Roman verkörpert, betreut habe.

    Lückert: Bärbel Flat, Lektorin des frisch gekürten Nobelpreisträgers Jean-Marie Gustave Le Clézio beim Verlag Kiepenheuer & Witsch war das.