Archiv


"Es ist kein Rechtsstaat, der dort entsteht"

Noch immer würden Konflikte mit Gewalt gelöst, so Gerhart Baum. Das zeigten die jüngsten Vorfälle in der Grenzregion Abyei, wo es im Juni zu ethnischen Säuberungen gekommen sei. Mit dem Vorsitz im UN-Sicherheitsrat sei es Aufgabe der Bundesregierung, diese Gewalttaten aufzuklären.

Gerhart Baum im Gespräch mit Christian Bremkamp |
    Christian Bremkamp: Verbunden bin ich jetzt mit Gerhart Baum. Der frühere Innenminister der Bundesrepublik war im Anschluss an seine deutsche Politikkarriere für die Vereinten Nationen tätig, unter anderem als UNO-Beauftragter für die Menschenrechte im Sudan. Guten Morgen, Herr Baum!

    Gerhart Baum: Guten Morgen!

    Bremkamp: Der Südsudan feiert heute seine Unabhängigkeit – feiern Sie im Geiste mit?

    Baum: Ja, es ist ein wichtiger Schritt nach vorn, und ich kann die Freude durchaus verstehen. Der Südsudan hat gelitten unter einem fürchterlichen Bürgerkrieg, jahrzehntelang, und hat gelitten unter der Dominanz von Khartum, also von Nordsudan, und dem haben sie sich entzogen. Das löst aber, wie Sie schon gesagt haben, nicht die Probleme, das Miteinander zwischen Nord und Süd. Die Grenzziehung ist unklar, die Aufteilung der Bodenschätze ist unklar, also es gibt wirklich eine ganze Serie von Problemen zu lösen. Das Land ist im Umbruch, und dass das jetzt friedlich so weitergeht, das möchte ich bezweifeln. Im Juni ist etwas Fürchterliches passiert, in den Nuba-Bergen, in der Provinz Abyei und in der Provinz Blauer Nil hat eine ethnische Säuberung stattgefunden, Zehntausende von Menschen sind vertrieben worden, in Abyei ist alles niedergebrannt worden. Im Grunde hat Nordsudan dasselbe Verfahren angewandt, was es schon gegenüber Darfur praktiziert hat. Und das ist eine ganz böse Entwicklung, auch wenn es jetzt ein Friedensabkommen gibt. Ich plädiere dafür und erwarte, dass unsere Regierung, die ja jetzt den Vorsitz im Sicherheitsrat hat, diese Vorgänge im Juni einbezieht in das Mandat des Internationalen Strafgerichtshofs, der ja ein Mandat hat, die Vorgänge in Darfur zu untersuchen. Also das trübt das Bild, das durch die Freude gekennzeichnet ist, die wir eben gehört haben.

    Bremkamp: Herr Baum, gab es denn keine andere Lösung, hätte man sich nicht auf eine Autonomielösung einigen können?

    Baum: Ja, das hätte man machen können, wenn Vernunft die Politik beherrscht hätte, das ist aber nicht der Fall gewesen. Das Land krankt darunter, insbesondere der Nordsudan, der ganz instabil ist, dass ein Miteinander der Ethnien und der Regionen, also Autonomie nicht gewährleistet ist, und das Land krankt daran, dass man jahrzehntelang Konflikte mit Gewalt ausgetragen hat. Und Gewalt ist auch nicht zu Ende, auch nicht im Süden zu Ende. Es gibt unterschiedliche militärische Gruppierungen, Milizen, hoch gerüstet. Der Nordsudan ist hoch gerüstet durch die Chinesen, er ist in einer wirtschaftlichen Krise, hohe Inflation, Auslandsschulden – das alles deutet nicht auf Stabilität hin. Und im Süden liegt der größte Teil des Öls, wie will man das friedlich lösen? Das muss man friedlich lösen, das geht nur durch Druck von außen. Ich habe ja jahrelang dafür plädiert, dass man stärkeren politischen Druck ausübt auf beide Seiten, vor allen Dingen auch auf den Nordsudan, um ein friedliches Miteinander zu erreichen. Vor allen Dingen müssen die Konflikte beendet werden, der Konflikt in Darfur muss beendet werden. Über zwei Millionen Flüchtlinge, einige Hunderttausende von Toten und jetzt im Juni wieder ein gleiches Verfahren in anderen Provinzen – so geht das nicht weiter.

    Bremkamp: Beobachter sprechen ja auch von einem Experiment mit vielen Risiken, einige haben Sie davon gerade angesprochen. Ein weiteres, auch der Südsudan ist ja ein sehr heterogenes Gebilde – glauben Sie, dass es die Menschen dort schaffen werden, eine gemeinsame Identität herauszubilden?

    Baum: Das ist durchaus möglich. Sie müssen sich nur respektieren in ihrer unterschiedlichen Stammeszugehörigkeit. Also das sehe ich doch als eine Chance an, obwohl viele Probleme auch dort ungelöst sind. Es ist kein Rechtsstaat, der dort entsteht, es herrscht Korruption. Der Nordsudan ist auch kein Rechtsstaat, er will sich jetzt konstituieren als Scharia-Staat, wir haben zu befürchten eine Unterdrückung der Christen. Ich glaube, um auf Ihre Frage zurückzukommen, der Süden hat eine Chance, aus dieser Freude und aus dieser Hoffnung etwas zu machen. Dass er bitterarm ist, ist ja nicht sein eigenes Verschulden, sondern er wurde eben jahrzehntelang von der Zentralregierung vernachlässigt.

    Bremkamp: Hat denn die Regierung dieses neuen Landes irgendeinen Fahrplan für die Zukunft?

    Baum: Ja, teilweise schon, aber die Strukturen, die ein Staat braucht, sind noch lange nicht ausgebildet – Bildungsstrukturen, Verwaltungsstrukturen, Justizstrukturen. Der Präsident Salva Kiir ist ein Mann des Ausgleichs, dem traue ich einiges zu, aber es gibt unterschiedliche Interessen und auch ein gewisser Hochmut der Macht, der jetzt da ausbricht bei den Eliten im Südsudan. Das alles muss überwunden werden, und wir müssen von außen helfen. Das Friedensabkommen von 2005, auf dem dieser ganze Vorgang beruht, also auch die Unabhängigkeit, war das Beste, was dem Land passieren konnte, aber die Friedensabkommen waren nur möglich durch Hilfe von außen, durch Vermittlung. Und das muss weitergehen. Der Südsudan lebt zum Beispiel weitgehend von humanitärer Hilfe, Darfur lebt von humanitärer Hilfe von außen, also da ist noch eine Menge zu tun.

    Bremkamp: Und vor genau diesem Hintergrund hat der Bundestag gestern beschlossen, sich auch weiterhin an einer UNO-Mission im Südsudan zu beteiligen, genauer gesagt die Bundeswehr. Wird das als Unterstützung reichen oder sind nicht eigentlich ganz andere Hilfen gefragt, auch über die klassische Entwicklungshilfe hinaus?

    Baum: Ja, klassische Entwicklungshilfe und Entwicklung von Strukturen, die Kirchen sind sehr aktiv, andere Organisationen, Hilfsorganisationen, Berater, das alles ist jetzt notwendig, um die Unabhängigkeit zu einem Erfolg zu machen. Das wird lange dauern, und die Einflussnahme von außen ist ganz wichtig. Eine Schlüsselrolle spielt China. China hat sich sehr engagiert im Sudan und wird jetzt auch umgehen müssen mit dem neuen Staat Südsudan, und China hat Nordsudan aufgerüstet, trägt also Verantwortung. Also hier hat China eine Schlüsselrolle, man wird sehen, wie China von dieser Rolle Gebrauch macht.

    Bremkamp: Wie sind denn die Motive Chinas zu deuten? Geht es da um Öl?

    Baum: Öl.

    Bremkamp: Öl, ja.

    Baum: Öl. China ist ja in Afrika überall tätig, und hier sind es Ölinteressen, aber vernünftigerweise muss man ja davon ausgehen, dass China ein Interesse haben muss an einem stabilisierten Land, und beide Teile müssen stabilisiert sein. Beide Teile sind jetzt auch aufeinander angewiesen, wenn es um die Ölförderung geht und die Ölverarbeitung. Das Öl wird zum größten Teil im Süden gefördert, läuft in einer Pipeline durch den Norden nach Port Sudan, also beide brauchen einander, und wenn sie das nicht einsehen, dann wird das schwierig werden.

    Bremkamp: Sind denn da neue Konflikte vorprogrammiert, wenn es ums Öl geht?

    Baum: Ja. Also zum Beispiel, was ich vorhin erwähnt habe, die Provinz Abyei, deren Zugehörigkeit offengeblieben ist, ob sie zum Norden oder zum Süden gehört, eine der umgekehrten Grenzfragen, diese Provinz ist praktisch niedergebrannt worden im Juni. Der Norden wollte auf diese Weise sicherstellen, dass kein Votum zugunsten des Südens stattfindet. Das ist ein eklatantes Beispiel der Konfliktträchtigkeit der ganzen Region.

    Bremkamp: Herr Baum, jetzt haben wir eine ganze Menge Negativbeispiele aufgeführt, was zeichnet den Sudan, den Südsudan denn vielleicht im positiven Sinne aus, was macht da Hoffnung?

    Baum: Also im Ganzen, das ganze Land, ich rede jetzt noch von Nord- und Südsudan, ist ein wunderbares Land mit Menschen, die offen auf Fremde zugehen. Das Land hat Bodenschätze, ist auch reich an Natur. Der Südsudan hat acht Millionen Einwohner jetzt – Sie müssen sich vorstellen, er ist so groß wie zweimal die Iberische Halbinsel. Da gibt es enorme Entwicklungschancen, wenn man sich über den Egoismus und den Machthunger der Politiker hinwegsetzt. Und der Staatspräsident des Nordsudan wird ja mit internationalem Haftbefehl durch den Internationalen Strafgerichtshof gesucht, und hier muss also auch eine Änderung herbeigeführt werden. Der Sudan muss mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenarbeiten und darf sich nicht abwenden, wie das bisher geschehen ist.

    Bremkamp: Der frühere UNO-Beauftragte für den Sudan Gerhart Rudolf Baum war das. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Baum: Guten Morgen!

    Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.