Ursula Welter: Alpe d'Huez … Wir sprechen mit einem, der da hinaufgefahren ist, ohne ein Profi zu sein. Max Küng ist Publizist, Autor der Züricher Tagesanzeigers und der ZEIT. Ich habe ihn gefragt, warum er das getan hat?
Max Küng: Die Gründe waren eigentlich, weil mich der Sport schon immer fasziniert hat. Ich habe wahnsinnig gerne immer Tour de France im Fernsehen gekuckt, tagelang, stundenlang, eigentlich die ganzen Übertragungen.
Welter: Schon als Kind?
Küng: Schon als Kind. Ich mag mich erinnern an Beat Breu, der Schweizer Bergfloh nannte man ihn, heute ist er Besitzer eines Bordells, aber das ist eine andere Geschichte, wie der auf grandiose Art und Weise bei Alpe d'Huez gewonnen hat. Das ist eine ganz lebhafte Kindheitserinnerung und natürlich Fahrradfahren hat viel mit Kindheit zu tun, weil Fahrradfahren die Freiheit in der Kindheit auch ist.
Welter: Und das Motiv vielleicht auch für Sie dann als Erwachsener den Berg zu bezwingen, war es das?
Küng: Ich dachte, ich muss etwas tun, für mich sowieso. Man wird älter und man wird ein bisschen dicker dann auch mit der Zeit. Und ich wollte einfach auch erfahren, wie sich das anfühlt, also ich wollte nicht nur am Fernsehen immer gucken, wie das ausschaut, sondern ich wollte wirklich erfahren, wie sich das anfühlt und dann habe ich mich einer langen Trainings- und Vorbereitungsphase unterzogen und habe das Projekt in Angriff genommen.
Welter: Wie muss man sich vorbereiten, wenn man auf 1.850 Meter hoch will mit dem Fahrrad?
Küng: Eines der ersten Dinge, was ich gemacht habe, ist, ich ging zu einer Ernährungsberaterin und ließ mir erklären, wie ich mich ernähren muss. Denn ich wusste, die Ernährung ist auch ein Schlüssel zum Erfolg.
Welter: Helden essen anders.
Küng: Helden essen definitiv anders. Wie man heute weiß, essen die auch Dinge, die man nicht essen sollte.
Welter: Aber das stand damals für Sie nicht zur Debatte. Was haben Sie gegessen, was durften Sie auf gar keinen Fall essen?
Küng: Alkohol war tabu, also ich trank wirklich ein halbes Jahr keinen Alkohol. Ich ordnete alles diesem Ziel unter. Was auch schön war, weil das ist dann quasi wie so eine komische Art von Religion, in der man sich dann befindet, weil man macht ja alles für diesen heiligen Zweck. Kein Alkohol, viel Fisch, komplexe Kohlenhydrate, wenig rotes Fleisch und natürlich keine Schokolade, kein Zucker, keine Nachspeisen.
Welter: Von komplexen Kohlenhydraten wusste man 1903, als es losging mit der Tour, sicher noch nichts. Ich glaube, da wurde sogar noch geraucht.
Küng: Da wurde gerne eine geraucht vor dem Start, vor der Etappe, weil man auch dachte, das mache die Lunge frei.
Welter: 21 Kehren sind es, Herr Küng. Was begegnet einem im Sommer auf dem Weg in einen Wintersportort wie Alpe d'Huez?
Küng: Es ist keine schöne Fahrt. Also aus landschaftlichen Gründen sollte man das nicht machen, weil es ja kein Pass ist. Also es ist nicht irgendwie, dass man da auf einer schönen Passtrasse hochfährt, auf einen verlassenen Pass und dann wieder herunterfahren kann, sondern man fährt, wie Sie gesagt haben, zu einem Wintersportort, der ausgesprochen hässliche ist. Im Sommer wird natürlich dort oben gebaut, das heißt, es sind ständig dann Lastwagen mit Erdbewegungsmaschinen drauf unterwegs, die Straße wird ständig geflickt und es ist einfach viel zu heiß.
Welter: Und es stehen sehr viele Tafeln herum, die beschriftet sind. Was bedeutet das für eine, der sich da hinaufquält?
Küng: Jede Kehre ist einem Sieger der Etappe gewidmet und ich glaube, es war Kehre 14, die Beat Breu, dem einstigen Bergfloh der Schweiz, gewidmet ist.
Welter: Ging es Ihnen da noch gut?
Küng: Bei Kehre 14 ging es mir noch sehr gut.
Welter: Und wie oft haben Sie ans Aufgeben gedacht? Oder haben Sie das Denken dann irgendwann einstellten müssen?
Küng: Es ist sehr entscheidend, dass man versucht nicht zu denken. Das ist nicht so einfach, aber es ist auch eine schöne Erkenntnis, dass man es kann, nicht denken. Es war ein qualvoller Aufstieg, das stimmt. Und mehrmals dachte ich, es wäre ja so einfach abzusteigen, man muss einfach nur anhalten und dann kann man in den Schatten sitzen und Vögel beobachten und frisches Wasser trinken.
Welter: Aber so einfach war das nicht?
Küng: Ich musste einmal anhalten, musste einmal eine Banane essen und musste fünf Minuten Pause machen, weil es war einfach zu heiß.
Welter: Was passiert mit dem Körper, Herr Küng?
Küng: Also man spürt sicher seinen Körper wie man ihn vorher nie gespürt hat. Wenn der Puls gegen die 190 geht, das ist schon eine Erfahrung, die ich jetzt so noch nie gemacht habe. Und danach fühlt es sich sehr gut an.
Welter: Hatten Sie auf Ihrem Weg nach oben Publikum, hilfreiches Publikum?
Küng: Ja, das ist sonderbar beim Fahrradfahren, jetzt nicht nur in Frankreich, sondern auch wenn ich in den Schweizer Bergen unterwegs war, gibt es immer wieder, seien es holländische Touristen in Campingbussen oder Passanten am Straßenrand, die einen anfeuern, als sei man wirklich in einem sportlichen Wettbewerb. Und das tut sogar sehr gut.
Welter: Verzeihen Sie, dass ich Sie das frage, aber hat Sie auch jemand überholt?
Küng: Ja, das passiert. Und das Schlimmste ist, es gibt so eine Spezies von Fahrradfahrern, so Hobbyrennfahrern, die sind ziemlich alt und manchmal sind sie auch ein bisschen dick, aber weil die einfach das schon 20, 30 oder 40 Jahre lang machen, haben die einfach die Muskeln und die lassen dann auch einen relativ jungen Menschen wie mich am Berg einfach stehen. Und manchmal ist es schon ein bisschen bedrückend, wenn man dann nicht hinterherkommt, auch wenn man es versucht.
Welter: Und dann als Sie oben waren, in Alpe d'Huez?
Küng: Dann fuhr ich wieder runter.
Welter: Waren aber zunächst zufrieden, auch wenn es keinen Scheck gab für Sie, kein Podest?
Küng: Ja, also wie gesagt, Alpe d'Huez ist nicht schön, aber es gibt ein Diplom für einen Euro, das kann man kaufen. Da wir dann mit Unterschrift bestätigt vom Bürgermeister von Alpe d'Huez, dass man den Aufstieg geschafft hat.
Welter: Welche Nummer trägt Ihr Diplom, wissen Sie das noch?
Küng: Ich weiß es noch ganz genau, es hängt hier gerahmt an der Wand. Es ist die Nummer 1952. Zufälligerweise auch eine Jahreszahl, und zwar in dem Jahr als man das erste Mal überhaupt nach Alpe d'Huez hochfuhr.
Welter: Wenn Sie jetzt Herr Küng einen wie Floyd Landis sehen, der andere unter diesen extremen Bedingungen auch noch überholt und dem Peloton davon fährt, was empfinden Sie dann?
Küng: Ich muss sagen, leider konnte ich dieses Jahr die Tour nicht so verfolgen, weil ich einen anderen Extremsport betreibe. Ich bin kürzlich Vater geworden. Aber es ist eine großartige Tour und wie Floyd Landis das gemacht hat, das ist einfach großartig.
Welter: Und was die Landschaften angeht, durch die diese Tour ja geht und Strecken wie diese. Ist das auch etwas ganz besonderes und war das für Sie etwas ganz besonders?
Küng: Das Schöne am Fahrradfahren und das, was natürlich süchtig macht, ist diese Freiheit, sich so einfach und so leicht durch die Natur zu bewegen. Ich glaube, das ist der Schlüssel zur Fahrradsucht.
Welter: Der Schweizer Publizist Max Küng zur Lust an der Qual, aus Anlass der Tour de France.
Max Küng: Die Gründe waren eigentlich, weil mich der Sport schon immer fasziniert hat. Ich habe wahnsinnig gerne immer Tour de France im Fernsehen gekuckt, tagelang, stundenlang, eigentlich die ganzen Übertragungen.
Welter: Schon als Kind?
Küng: Schon als Kind. Ich mag mich erinnern an Beat Breu, der Schweizer Bergfloh nannte man ihn, heute ist er Besitzer eines Bordells, aber das ist eine andere Geschichte, wie der auf grandiose Art und Weise bei Alpe d'Huez gewonnen hat. Das ist eine ganz lebhafte Kindheitserinnerung und natürlich Fahrradfahren hat viel mit Kindheit zu tun, weil Fahrradfahren die Freiheit in der Kindheit auch ist.
Welter: Und das Motiv vielleicht auch für Sie dann als Erwachsener den Berg zu bezwingen, war es das?
Küng: Ich dachte, ich muss etwas tun, für mich sowieso. Man wird älter und man wird ein bisschen dicker dann auch mit der Zeit. Und ich wollte einfach auch erfahren, wie sich das anfühlt, also ich wollte nicht nur am Fernsehen immer gucken, wie das ausschaut, sondern ich wollte wirklich erfahren, wie sich das anfühlt und dann habe ich mich einer langen Trainings- und Vorbereitungsphase unterzogen und habe das Projekt in Angriff genommen.
Welter: Wie muss man sich vorbereiten, wenn man auf 1.850 Meter hoch will mit dem Fahrrad?
Küng: Eines der ersten Dinge, was ich gemacht habe, ist, ich ging zu einer Ernährungsberaterin und ließ mir erklären, wie ich mich ernähren muss. Denn ich wusste, die Ernährung ist auch ein Schlüssel zum Erfolg.
Welter: Helden essen anders.
Küng: Helden essen definitiv anders. Wie man heute weiß, essen die auch Dinge, die man nicht essen sollte.
Welter: Aber das stand damals für Sie nicht zur Debatte. Was haben Sie gegessen, was durften Sie auf gar keinen Fall essen?
Küng: Alkohol war tabu, also ich trank wirklich ein halbes Jahr keinen Alkohol. Ich ordnete alles diesem Ziel unter. Was auch schön war, weil das ist dann quasi wie so eine komische Art von Religion, in der man sich dann befindet, weil man macht ja alles für diesen heiligen Zweck. Kein Alkohol, viel Fisch, komplexe Kohlenhydrate, wenig rotes Fleisch und natürlich keine Schokolade, kein Zucker, keine Nachspeisen.
Welter: Von komplexen Kohlenhydraten wusste man 1903, als es losging mit der Tour, sicher noch nichts. Ich glaube, da wurde sogar noch geraucht.
Küng: Da wurde gerne eine geraucht vor dem Start, vor der Etappe, weil man auch dachte, das mache die Lunge frei.
Welter: 21 Kehren sind es, Herr Küng. Was begegnet einem im Sommer auf dem Weg in einen Wintersportort wie Alpe d'Huez?
Küng: Es ist keine schöne Fahrt. Also aus landschaftlichen Gründen sollte man das nicht machen, weil es ja kein Pass ist. Also es ist nicht irgendwie, dass man da auf einer schönen Passtrasse hochfährt, auf einen verlassenen Pass und dann wieder herunterfahren kann, sondern man fährt, wie Sie gesagt haben, zu einem Wintersportort, der ausgesprochen hässliche ist. Im Sommer wird natürlich dort oben gebaut, das heißt, es sind ständig dann Lastwagen mit Erdbewegungsmaschinen drauf unterwegs, die Straße wird ständig geflickt und es ist einfach viel zu heiß.
Welter: Und es stehen sehr viele Tafeln herum, die beschriftet sind. Was bedeutet das für eine, der sich da hinaufquält?
Küng: Jede Kehre ist einem Sieger der Etappe gewidmet und ich glaube, es war Kehre 14, die Beat Breu, dem einstigen Bergfloh der Schweiz, gewidmet ist.
Welter: Ging es Ihnen da noch gut?
Küng: Bei Kehre 14 ging es mir noch sehr gut.
Welter: Und wie oft haben Sie ans Aufgeben gedacht? Oder haben Sie das Denken dann irgendwann einstellten müssen?
Küng: Es ist sehr entscheidend, dass man versucht nicht zu denken. Das ist nicht so einfach, aber es ist auch eine schöne Erkenntnis, dass man es kann, nicht denken. Es war ein qualvoller Aufstieg, das stimmt. Und mehrmals dachte ich, es wäre ja so einfach abzusteigen, man muss einfach nur anhalten und dann kann man in den Schatten sitzen und Vögel beobachten und frisches Wasser trinken.
Welter: Aber so einfach war das nicht?
Küng: Ich musste einmal anhalten, musste einmal eine Banane essen und musste fünf Minuten Pause machen, weil es war einfach zu heiß.
Welter: Was passiert mit dem Körper, Herr Küng?
Küng: Also man spürt sicher seinen Körper wie man ihn vorher nie gespürt hat. Wenn der Puls gegen die 190 geht, das ist schon eine Erfahrung, die ich jetzt so noch nie gemacht habe. Und danach fühlt es sich sehr gut an.
Welter: Hatten Sie auf Ihrem Weg nach oben Publikum, hilfreiches Publikum?
Küng: Ja, das ist sonderbar beim Fahrradfahren, jetzt nicht nur in Frankreich, sondern auch wenn ich in den Schweizer Bergen unterwegs war, gibt es immer wieder, seien es holländische Touristen in Campingbussen oder Passanten am Straßenrand, die einen anfeuern, als sei man wirklich in einem sportlichen Wettbewerb. Und das tut sogar sehr gut.
Welter: Verzeihen Sie, dass ich Sie das frage, aber hat Sie auch jemand überholt?
Küng: Ja, das passiert. Und das Schlimmste ist, es gibt so eine Spezies von Fahrradfahrern, so Hobbyrennfahrern, die sind ziemlich alt und manchmal sind sie auch ein bisschen dick, aber weil die einfach das schon 20, 30 oder 40 Jahre lang machen, haben die einfach die Muskeln und die lassen dann auch einen relativ jungen Menschen wie mich am Berg einfach stehen. Und manchmal ist es schon ein bisschen bedrückend, wenn man dann nicht hinterherkommt, auch wenn man es versucht.
Welter: Und dann als Sie oben waren, in Alpe d'Huez?
Küng: Dann fuhr ich wieder runter.
Welter: Waren aber zunächst zufrieden, auch wenn es keinen Scheck gab für Sie, kein Podest?
Küng: Ja, also wie gesagt, Alpe d'Huez ist nicht schön, aber es gibt ein Diplom für einen Euro, das kann man kaufen. Da wir dann mit Unterschrift bestätigt vom Bürgermeister von Alpe d'Huez, dass man den Aufstieg geschafft hat.
Welter: Welche Nummer trägt Ihr Diplom, wissen Sie das noch?
Küng: Ich weiß es noch ganz genau, es hängt hier gerahmt an der Wand. Es ist die Nummer 1952. Zufälligerweise auch eine Jahreszahl, und zwar in dem Jahr als man das erste Mal überhaupt nach Alpe d'Huez hochfuhr.
Welter: Wenn Sie jetzt Herr Küng einen wie Floyd Landis sehen, der andere unter diesen extremen Bedingungen auch noch überholt und dem Peloton davon fährt, was empfinden Sie dann?
Küng: Ich muss sagen, leider konnte ich dieses Jahr die Tour nicht so verfolgen, weil ich einen anderen Extremsport betreibe. Ich bin kürzlich Vater geworden. Aber es ist eine großartige Tour und wie Floyd Landis das gemacht hat, das ist einfach großartig.
Welter: Und was die Landschaften angeht, durch die diese Tour ja geht und Strecken wie diese. Ist das auch etwas ganz besonderes und war das für Sie etwas ganz besonders?
Küng: Das Schöne am Fahrradfahren und das, was natürlich süchtig macht, ist diese Freiheit, sich so einfach und so leicht durch die Natur zu bewegen. Ich glaube, das ist der Schlüssel zur Fahrradsucht.
Welter: Der Schweizer Publizist Max Küng zur Lust an der Qual, aus Anlass der Tour de France.