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"Es ist nicht der typische Püppchenklang"

"Die Rothenberger-Platten sind ein perfektes Anschauungsmaterial, wie man stimmlich und sprachlich extreme Partien bewältigt," meint Musikexperte Thomas Voigt. Eine unverwechselbare Farbe und eine extrem gute Textverständlichkeit hätten sie ausgezeichnet.

Thomas Voigt im Gespräch mit Christoph Schmitz |
    Christoph Schmitz: "Letzte Rose" singt Anneliese Rothenberger aus Friedrich von Flotows Oper "Martha". Ihre silberne Stimme wird auf Schallplatten, Bändern und CDs weiterleben, die Sängerin jedoch ist heute gestorben. Anneliese Rothenberger ist 83 Jahre alt geworden. Wir erinnern in diese Sendung an diese große, deutsche Sopranistin.

    Die Sopranistin Anneliese Rothenberger wurde 1943 in Mannheim geboren, vom Stadttheater Koblenz schaffte sie es gleich an die Hamburger Staatsoper, 1957 ging sie nach Wien, nach einem ersten Gastauftritt bei den Edinburgh-Festspielen kamen die großen, internationalen Engagements – in New York und Mailand etwa. Einem Millionenpublikum wurde sie mit ihrer Fernsehsendung "Anneliese Rothenberger gibt sich die Ehre" bekannt und durch zahlreiche Musikfilme.

    Thomas Voigt im Studio – Sie haben mit der Sängerin, die sich ja vor fast 30 Jahren schon von der Bühne verabschiedet hat, vor wenigen Tagen noch in der Schweiz telefoniert. Worüber haben Sie da gesprochen und wie war Ihr Zustand?

    Thomas Voigt: Ich wollte einfach hören, wie es ihr geht, und sie sagte, sehr schlecht, ich muss wahrscheinlich demnächst ins Krankenhaus, hat aber dann nicht gesagt, was es genau ist, sondern nur, wir sprechen dann wieder in zehn Tagen oder so.

    Schmitz: Sie haben ein langjähriges, gutes Verhältnis, enges Verhältnis, gemeinsame Arbeiten, gemeinsame Filme.

    Voigt: Ja, wir haben uns 20 Jahre gekannt und die letzten Jahre waren wir, kann man schon sagen, befreundet. Wir haben verschiedene Filme, TV-Dokumentationen zusammen gemacht über Lisa della Casa und Robert Stolz. Ich war bei ihrem letzten Gesangswettbewerb auf der Insel Mainau mit in der Jury und wir haben regelmäßig telefoniert, uns auch mal außer der Reihe besucht, auch wenn es nichts Berufliches gab, und es war ein sehr herzlicher Kontakt, ja.

    Schmitz: Und dieses Telefonat war eines dieser regelmäßigen Telefonate zur Künstlerin, Herr Voigt. Was hat den Rothenbergers Sound, den Sopran, ausgezeichnet?

    Voigt: Ja, eine ganz individuelle Farbe, eine unverwechselbare – man hört ein paar Takte und weiß sofort, das kann nur sie sein –, eine extrem gute Textverständlichkeit, dann dazu eine immense Entwicklung von der Soubrette, muss man ja sagen, die sie war in Hamburg in den ersten Jahren, bis zur lyrischen Koloratursängerin, also bis zur Constanze in Mozarts "Entführung", was ja wirklich ein Hammer ist, wie wir alle wissen, mit diesen drei immens schweren Arien, und sogar bis zur Lulu in Alban Bergs Oper. Da wollte sie eben auch ihrem Fernsehimage, wie sie mal gesagt hat, eins verpassen und sagen, ich bin nicht nur diese Fernsehfrau, sondern ich kann auch noch was ganz anderes, und hat mit der Lulu sozusagen ihr Image dann korrigiert.

    Schmitz: Sie sagten, ein unverwechselbarer Klang, den man gleich erkennt. Was ist es denn, können Sie das beschreiben?

    Voigt: Es ist nicht der typische Püppchenklang, sondern der hat viel Charakter. Ihr Sopranklang hat viel Charakter, auch in den sogenannten harmlosen Koloraturpartien wie zum Beispiel Oscar im "Maskenball". Es hat eine ganz spezifische Farbe, wo man sagt, aha, das ist also nicht nur einfach so eine Trällerpartie, sondern die hat Substanz. Und auch bei ihren berühmtesten Partien – das war die Sophie im "Rosenkavalier" und der Zdenka in "Arabella" – hat man eben diesen ganz spezifischen Silberklang gehört; am berühmtesten vielleicht ihre Phrase in der berühmten Rosenübergabe: "Ist wie ein Gruß vom Himmel".

    Musikeinspielung

    Anneliese Rothenberg als Sophie – das war so eine ihrer Paraderollen, sie ist auch in einem Film unter Herbert von Karajan von den Salzburger Festspielen darin dokumentiert. Die andere Partie, genauso im Fernsehen aufgezeichnet: die Zdenka in "Arabella". In diesen Rollen war sie Weltklasse und auch als Pamina in der "Zauberflöte" und als Susanna im "Figaro".

    Voigt: Und wie würden Sie ihre Künstlerpersönlichkeit allgemein beschreiben, nicht nur auf ihre Stimme bezogen?

    Schmitz: Unglaublich professionell. Wir haben ja mehrere Signierstunden mal habe ich mit ihr erlebt, unter anderem bei Beck in München, und das war eine irre Schlange, es hat Stunden gedauert, und sie hat noch bei ... Es kamen dann immer die gleichen Leute wieder mit neuen Fotos und neuen Fragen, und sie hat dann noch beim elften und zwölften Mal gesagt, selbstverständlich, für wen soll das Foto diesmal sein, wie heißt sie mit Vornamen, und so weiter, und hat das also mit einer taffen Professionalität gemacht – das fand ich einfach nur bewundernswert.

    Voigt: Zum Schluss noch ein Wort zu ihr als Musikpädagogin: Sie haben gesagt, dass sie ja auf der Insel Mainau einen Opernsänger-Nachwuchswettbewerb begründet hat, sie war in der Jury. Hat sie gewirkt auf nachfolgende Soprangenerationen?

    Schmitz: Ich würde sagen, nicht ... Sie ist nicht genug vom Nachwuchs gehört worden, sonst hätte man vielleicht ein paar ihrer Tugenden heute bei der jungen Generation auch mal mitbekommen. Ich kann nur sagen: Die Rothenberger-Platten sind ein perfektes Anschauungsmaterial, wie man stimmlich und sprachlich extreme Partien bewältigt.

    Voigt: Bis hierher, Thomas Voigt, schon einmal vielen Dank für diesen Nachruf auf die heute verstorbene Sopranistin Anneliese Rothenberger.