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"Es ist wirklich gut gemacht"

Der Film "Das Gelübde" von Dominik Graf dreht sich um die stigmatisierte Nonne Anna Katharina Emmerick, deren Leben von Clemens Brentano aufgezeichnet wurde. Obwohl die mystischen Erfahrungen der Nonne im Mittelpunkt des Film stünden, habe der Film keine mystische oder antiaufklärerische Botschaft, sagte der Literturredakteur Hubert Winkels.

Interview mit Hubert Winkels |
    Dina Netz: Er frequentierte die Dichter der Weimarer Klassik, Wieland, Herder, Goethe und die der Frühromantik Schlegel, Fichte, Tieck. Mit seinem Schwager Achim von Arnim gab er die Volksliedsammlung "Des Knaben Wunderhorn" heraus. Mit ihm zusammen wurde er später zur Heidelberger Romantik gezählt, der Dichter Clemens Brentano. Brentano war katholisch getauft, seine ersten Veröffentlichungen machte er unter den Pseudonym Maria und als Geburtsdatum gab er den 8. Septembern, den katholischen Feiertag von Mariä Geburt. Lange Zeit spielte die Religion dann aber in Brentanos Leben keine größere Rolle. Er führte ein exzentrisches Dichterleben. Aber 1815 kehrte er nach Berlin zurück, und hier begann eine Lebenskrise, die darin kulminierte, dass Brentano 1818 ins Westfälische Dülmen zog. Er wollte die Visionen der stigmatisierten Nonne Anna Katharina Emmerick aufzeichnen. Er blieb dort sechs Jahre bis zu ihrem Tod. Hubert Winkels, mein Kollege aus der Literaturredaktion, was man darüber, was Brentano mit dieser Nonne verbunden hat?

    Hubert Winkel: Nun wissen wir über ihr Leben so gut Bescheid, weil Clemens Brentano jahrelang an ihrem Leidensbett gesessen hat. Und wir kennen die Aufzeichnungen, die er von ihren, Katharina Emmericks, Visionen, gemacht hat. Er hat sie aber, vermischt müsste man denn aber aus philologischer Sicht sagen, mit seinen eigenen Beobachtungen, Betrachtungen, Spekulationen, sodass es ein poetisches Gemisch aus authentischen Zeugnissen, Erfindungen, Phantasie gibt, das alle bisher unbefriedigt gelassen hat, aber vielleicht der Witz an der ganzen Sache ist. Unter anderem hat es den Vatikan und den Papst immer unbefriedigt gelassen, was den schon seit 150 Jahren laufenden Seligsprechungsprozess jener stigmatisierten Nonne betrifft, Anna Katharina Emmerick. Sie ist nämlich erst von Papst Johannes Paul II. vor 15 Jahren schätzungsweise selig gesprochen worden unter ausdrücklichem Hinweis, dass man sich dabei nicht auf die Aufzeichnungen von Clemens Brentano beruft, eben wegen dieses Zwitterstatus dieser Aufzeichnungen.

    Netz: Was erfährt man denn jetzt aus den Aufzeichnungen darüber, was genau Brentano und diese Nonnen verbunden hat?

    Winkel: Über die Beziehung erfährt man natürlich nicht in dem Sinne, dass der Schreiber eine Beziehungsgeschichte, wie man modern sagen würde, reflektiert hätte. Sondern er will den Visionen der Anna Katharina Emmerick folgen. Sie hat tatsächlich Einsichten in das Leben Jesu. Nicht nur vollzieht sie das Leiden Jesu nach, sondern sie sieht Jesus auch mit seinen Jüngern, vor allen Dingen in letzten Tagen seines Lebens in der Wüste. Sie sieht Teile seiner Passion in einer Eindringlichkeit, wie sie in der Bibel nicht dokumentiert ist. Die schönste Geschichte ist eigentlich die, dass die Aufzeichnungen von Clemens Brentano über diese Nonne, die wir hier in Deutschland kaum kennen, großen Erfolg in verschiedenen Teilen der Welt haben, richtige, die jahrzehntelange Bestseller sind, um die sich Gläubige gruppieren. Unter anderem Mel Gibsons "Passion of Christ", der legendäre Film, beruht zu größten Teilen auf den Visionen der Nonne Emmerick.

    Netz: Herr Winkels Anlass für dieses Gespräch jetzt ist ein Film "Das Gelübde", den Dominik Graf gedreht hat über diese Begegnung. Was hat nun den Regisseur interessiert an diesem Aufeinandertreffen von Dichter und Nonne?

    Winkel: Was ihn nicht interessiert hat, ist dieses mystische Wabern, dieses pathetische Kontaktaufnehmen mit dem Heiligen über ein Medium und hat ein eigentlich modernes Arsenal an Mitteln benutzt von sehr auffallend, ein sehr schnelles Sprechen, eine sehr heutige Diktion mit moderne Musik, mit schnellen Zooms, plötzlichen Szenenwechseln. Er vermeidet dieses klassische mystische Geraune des Films, was eben so seltsam ist, weil der Gegenstand des Films genau diese mystische Erfahrung ist. Und da wollte er offenbar gegensteuern. Aber warum? Was ist die Absicht?

    Das ist nicht klar. Der hat keine Botschaft nachher. Er hat auch keine katholische Botschaft, keine mystische Botschaft, keine antiaufklärerische Botschaft. Es gibt gar keine Botschaft, würde ich sagen. Aber es wird schon klar, dass das Selbstverhältnis der Nonne im Kern sexueller Natur ist und dass auch das Begehren des Clemens Brentano, der sie aufzeichnet, um es mal so auszudrücken grammatisch, auch sexueller Natur ist. Das wird direkt thematisiert, es wird auch im Bild gezeigt. Und es ist ein durch und durch sexualisiertes Verhältnis, das dominant ist. Nicht so aufdringlich, wie es vielleicht klingt, wenn man es jetzt so deutlich sagt wie ich.

    Netz: Ja, das klingt fast so ein bisschen so, als würde diese Geschichte ein bisschen missbraucht.

    Winkel: Es geht, glaube ich, darum, dass man die Plausibilität des Films selber anerkennen muss. Und dadurch, dass er geschickt hintergründig nicht plakativ arbeitet eigentlich, finde ich, kann man das akzeptieren.

    Netz: Noch mal kurz zusammengefasst, fanden Sie das irgendwie ein stimmiges Konzept, diese Begegnung zu verfilmen?

    Winkel: Ja, es war in sich wirklich stimmig, man konnte es gut sehen. Er ist ein guter Handwerker, es ist wirklich gut gemacht. Es gibt sozusagen keine aufklärerische Botschaft, die wir direkt entnehmen können. Aber er ist so dezidiert modern, dass er unter dem Gesichtspunkt von Gender- und Sexualitätsfragen auch solche obskuren Kapitel der Kulturgeschichte darstellen und zugänglich machen kann. Und ich finde, das ist schon eine Leistung.
    Netz: Hubert Winkels über "Das Gelübde" von Dominik Graf.