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Es knirscht im Gebiss

Etwa jeder fünfte Bundesbürger knirscht mit den Zähnen. Nachhaltige Schäden an Kiefergelenk und Zähnen sind wahrscheinlich. So wie Probleme und Stress auf den Magen schlagen können, arbeiten viele Menschen ihre seelischen Konflikte im Gebiss ab. An der Universitätszahnklinik Münster, wo die Psychosomatik Tradition hat, ist jetzt bundesweit die einzige Professur für Psychosomatik in der Zahnheilkunde eingerichtet worden.

Von Claudia Ullrich-Schiwon |
    Professor Stephan Doering, Humanmediziner und Psychoanalytiker, der bisher an der Universität Innsbruck gelehrt hat, brachte für "Knirscher" und Patienten, die zu stark ihre Zähne zusammenbeißen eine bekannte, jedoch wenig genutzte aber wirksame Methode mit:die Biofeedback-Behandlung.

    " Ich kann total anspannen, wie andere ihren Bizeps oder so. Der ist total ausgeprägt dieser Muskel und macht mir beim Zahnarzt immense Probleme."

    Zehn Uhr morgens, Universitätszahnklinik Münster. Die 36-jährige Patientin sitzt vor einem Computerbildschirm, auf dem eine Kurve ihr anzeigt, ob sie den Kiefer anspannt oder ob sie ihn locker lässt. Eine Physiotherapeuten hat ihr Übungen gezeigt.

    " Ja, ich denke an irgend etwas Schönes und sage mir, du musst jetzt wieder runterfahren. Das funktioniert, dass man dann ruhig wird, sich selbst beruhigt. "

    Und wenn es ihr länger als eine Minute gelingt, loszulassen, gibt es eine akustische Belohnung.

    Sobald die Patientin wieder ihren Kiefer wieder anspannt bricht die Musik abrupt ab. Wie das genau funktioniert, erklärt Stephan Doering:

    " Es wird eine kleine Elektrode, wie beim EKG, auf die Wange, den Kaumuskel aufgeklebt und über ein Kabel bekommt der Computer die Signale gemeldet, die durch die Anspannung des Muskels entstehen. Der Computer rechnet das in eine Anspannungskurve um. Das wird auf dem Bildschirm sichtbar. "

    Seit zwei Monaten kommt die Patientin regelmäßig in die Zahnklinik. Ihr Problem, sie kann den Mund nicht weit aufmachen. Durch die Doppelbelastung: Beruf und Familie hat sie jahrelang ihre Gesichtsmuskulatur angespannt. Wenn sie nicht behandelt würde, bekäme sie erhebliche Kiefer- und Zahnprobleme.

    Ihre Therapie ruhe auf drei Säulen, sagt Professor Doering, nachdem er mit ihr ein langes Eingangsgespräch über ihre Schmerzen aber auch über ihre Lebenssituation geführt hat. Einmal pro Woche macht sie Entspannungsübungen mit einer Physiotherapeuten, sitzt am Biofeedback-Gerät und ist an einen niedergelassenen Psychotherapeuten überwiesen worden. Der Fortschritt sei deutlich so Professor Doering und die Physiotherapeuten. Aber:

    " Man weiß, dass es wirkt, aber man weiß noch nicht welche Kombination und welche Rolle die Physiotherapie dabei spielt. Wie viel Psychotherapie gut ist oder nicht gut ist und für welchen Patienten. All das sind Fragen, die wir jetzt erforschen werden. "

    Wenn auch nach vorsichtigen Schätzungen rund 70 Prozent der Menschen zumindest phasenweise die Zähne exzessiv zusammenbeißen, knirscht etwa jeder Fünfte. Und irgendwann schädigt das die Zahnsubstanz und das wiederum führt zu Zahnschmerzen.

    Viele Patienten, die jetzt in der Zahnklinik behandelt werden, haben eine Zahnarzt-Odyssee hinter sich. So auch eine 55-Jährige, die seit frühester Jugend knirscht und dadurch bereits einen Schneidezahn verloren hat.

    " Die Zahnärzte, die ich, bevor ich in die Klinik kam, kennen gelernt habe, haben dieses Thema nicht angesprochen und haben mir auch gesagt, dass es eine ursächliche Behandlung überhaupt nicht geben würde für das Zähneknirschen."

    Das wird sich jetzt zumindest bei den in Münster ausgebildeten Zahnärzten ändern. Professor Doering:

    " Das Problem liegt sicherlich auch in der Ausbildungsverordnung, die bislang noch überhaupt keine Kurse im Bereich Psychosomatik oder Gesprächsführung für Zahnärzte vorsieht. Bislang haben Studenten das Studium absolviert, ohne davon ein Wort zu hören."

    " In Münster bieten wir inzwischen ein Praktikum und eine Vorlesung an. Aber das Ziel ist natürlich, dass das für ganz Deutschland verpflichtend wird und dass es möglich sein wird für die Zahnärzte, ein zahnärztliches Gespräch auch zu verrechnen."

    In Österreich, wo Professor Doering bislang als Humanmediziner an der Universitätszahnklinik gelehrt hat, gibt es die Disziplin-übergreifende Lehre schon lange. Und damit die Studenten der Zahnmedizin an allen deutschen Universitäten schnellstmöglich für das Gebiet der Psychosomatik sensibilisiert werden, schlägt Doering das Österreichische Ausbildungsmodell vor:

    " Ob es dafür immer eine Professur haben muss, ist eine andere Frage. Es wäre sicherlich auch denkbar, dass die Universitätsprofessoren für Psychosomatik und Psychotherapie diesen Teil der Lehre übernehmen. Wichtig ist nur, das es überhaupt geschieht."