Dirk Müller: Geklagt haben neun Parlamentarier, eine Klage gegen die neue Abgeordnetenregelung, wonach jeder seine Nebeneinkünfte öffentlich machen muss. Die Richter in Karlsruhe haben am Vormittag entschieden. Jeder Abgeordnete muss in Zukunft seine Nebenverdienste bekannt geben.
Bei uns am Telefon begrüße ich nun den Politikwissenschaftler und Parteienforscher Oscar Gabriel von der Universität Stuttgart. Guten Tag!
Oscar Gabriel: Guten Tag!
Müller: Herr Gabriel, hätten Sie auch so entschieden?
Gabriel: Ich hätte mich für die Abweisung der Klage ausgesprochen und folge weitgehend den Argumenten, die die vier Richter vorgebracht haben, die sich für die Abweisung der Klage ausgesprochen haben. Wir haben faktisch bereits den Berufspolitiker und dem ist Rechnung zu tragen bei der Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse des Abgeordnetenmandates.
Müller: Werden Parlamentarier jetzt glaubwürdiger?
Gabriel: Die Glaubwürdigkeit hängt ja nicht ausschließlich von der Abhängigkeit von bestimmten Interessengruppen ab und die Gruppe, die durch das Urteil betroffen ist, wird vermutlich nur einen relativ kleinen Ausschnitt aus der Gesamtheit der Bundestagsabgeordneten ausmachen, so dass ich denke, wir haben hier zwei ganz unterschiedliche Sachverhalte, die man würdigen muss: Auf der einen Seite das von Ihnen angesprochene Glaubwürdigkeitsproblem, das nicht nur von der Interessenbindung abhängt, sondern auch vom Handeln in parlamentarischen Kontexten, und wir haben den zweiten Sachverhalt, auf den das Urteil zielt, nämlich das transparent machen von Abhängigkeitsverhältnissen der Abgeordneten.
Müller: Und das heißt wir können das jetzt besser beurteilen, ob jemand bei bestimmten Entscheidungen unabhängig votiert hat?
Gabriel: Das kann man letztlich natürlich auch nicht beurteilen, weil man ja nicht davon ausgehen kann, dass das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten automatischer Reflex ihrer Einkommenslage und ihrer Interessenbindungen ist. Aber es kommt mehr Transparenz in das parlamentarische Verfahren. Man weiß, für welche Interessen der Abgeordnete steht, und kann bestimmte Entscheidungen, wenn sie dann einmal gefallen sind, vor diesem Hintergrund auch besser beurteilen.
Müller: Ist das denn generell in Ordnung, dass ein Abgeordneter über Interessen verfügt beziehungsweise die verfolgt, die nicht im Gemeininteresse sind?
Gabriel: Ich denke es ist in einer pluralistischen Demokratie ganz unrealistisch, davon auszugehen, dass jemand, der sich für ein politisches Amt zur Verfügung stellt, es ausschließlich aus gemeinwohlorientierten Motiven macht. Es ist ein ganz normales Verfahren in einer parlamentarischen Demokratie, dass Abgeordnete über Verbandsstrukturen eingebunden sind und dass Verbände über das Inside-Lobbying - so bezeichnen wir das - versuchen, im parlamentarischen Entscheidungsprozess ihre Interessen zur Geltung zu bringen. Das ist kein pathologischer Zustand, sondern das ist ein ganz normaler Prozess in einer parlamentarischen Demokratie und aus diesem Grunde bin ich auch sehr dezidiert der Auffassung, dass diese Verbindungen transparent sein müssen.
Müller: Wenn Interessensgruppen legitimerweise mitmischen im politischen Prozess - das ist ja auch so festgehalten und Sie sagen ja auch, im Grunde ist das so gewollt -, besteht nicht die Gefahr, dass derjenige, der besser Lobby-Arbeit macht, auch mehr bekommt?
Gabriel: Diese Gefahr besteht ja immer. Das ist verhältnismäßig unabhängig von Publikationspflichten oder dem nicht vorhanden sein von Publikationspflichten. Nur es wird jetzt einfacher, das Verhalten von Abgeordneten in bestimmten Entscheidungsprozessen zu beurteilen.
Müller: Also jemand, der beispielsweise mit dabei ist in größeren Stromkonzernen, Aufsichtsrat RWE, das ist vollkommen legitim, dass der im Bundestag dann auch entsprechend mit dabei ist und entscheidet?
Gabriel: Es gibt derzeit keine rechtliche Handhabe gegen diese Dinge und ich halte das auch für politisch nicht sinnvoll, dass man Vertreter bestimmter Interessengruppen per se aus dem politischen Entscheidungsprozess ausschließt. Wo wollen Sie da die Grenze ziehen? Man würde ja dann auch zu der Konsequenz kommen müssen, dass beispielsweise Vertreter des DGB, die sehr zahlreich im Bundestag vertreten sind, nicht mehr bei parlamentarischen Entscheidungen mitwirken könnten.
Müller: Das heißt es gibt gar keine andere Lösung, als das weiterhin so zu akzeptieren wie es ist?
Gabriel: Wenn sie nicht zu einem Parlament kommen wollen, das wir ja in der Tendenz schon haben, das im Grunde nur noch aus Beamten besteht, denke ich ist es eine sinnvolle Konstruktion, dass man einen wichtigen Teil des politischen Willensbildungsprozesses in Deutschland nicht aus der parlamentarischen Repräsentation ausschließt.
Müller: Sind Anwälte besser als Beamte?
Gabriel: Das kann man so nicht sagen. Die Abgeordneten haben ja ganz unterschiedliche Aufgaben im Parlament zu erfüllen. Wir haben in Deutschland so eine typische Mischung aus Redeparlament und Arbeitsparlament und die Stärken der Beamten liegen dort, wo es um die Rolle des Bundestages als Arbeitsparlament geht, also vor allen Dingen im Gesetzgebungsprozess. Da kennen sie sich im Regelfall aus, sehr detailliert und sind in der Lage, das sehr professionell zu machen.
Wenn man die andere Seite beleuchtet, der Bundestag als Redeparlament, da gibt es natürlich bestimmte Berufsgruppen, die für diese Funktion eher geeignet sind. Dazu würde ich beispielsweise Anwälte rechnen.
Müller: Herr Gabriel, es gibt ja immer noch viele in der Bevölkerung, viele Bürger, viele Wähler, die sich nach wie vor darüber wundern, wie ein Politiker, der im Bundestag sitzt, dort in Ausschüssen arbeitet, der ja auch im Plenum präsent sein muss, der Auslandsreisen auf der Tagesordnung hat etc. etc., noch Zeit für etwas anderes haben kann.
Gabriel: Es handelt sich ja in vielen Fällen um Pseudobeschäftigungsverhältnisse, die vor allen Dingen die Funktion haben sicherzustellen, dass die Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen im parlamentarischen Entscheidungsprozess zum Zuge kommen. Die arbeiten faktisch nicht mehr in den Unternehmen, für die sie beschäftigt sind.
Müller: Aber sie kriegen Geld dafür!
Gabriel: Sie kriegen Geld dafür, natürlich. Das mag man problematisch finden. Ich denke die Schwierigkeiten treten vor allen Dingen dort auf, wenn es wirkliche Interessenskollisionen gibt zwischen einer hauptberuflichen Tätigkeit in einem Unternehmen auf der einen Seite und dem Abgeordnetenmandat auf der anderen Seite. Dann muss der betreffende Abgeordnete entscheiden, wie er mit seinem Zeitbudget umgeht. In der Bundesrepublik haben wir uns mit guten Gründen für den Berufspolitiker entschieden und das bedeutet, die Priorität muss eigentlich im parlamentarischen Mandat liegen.
Müller: Der Politikwissenschaftler Oscar Gabriel war das. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Stuttgart.
Bei uns am Telefon begrüße ich nun den Politikwissenschaftler und Parteienforscher Oscar Gabriel von der Universität Stuttgart. Guten Tag!
Oscar Gabriel: Guten Tag!
Müller: Herr Gabriel, hätten Sie auch so entschieden?
Gabriel: Ich hätte mich für die Abweisung der Klage ausgesprochen und folge weitgehend den Argumenten, die die vier Richter vorgebracht haben, die sich für die Abweisung der Klage ausgesprochen haben. Wir haben faktisch bereits den Berufspolitiker und dem ist Rechnung zu tragen bei der Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse des Abgeordnetenmandates.
Müller: Werden Parlamentarier jetzt glaubwürdiger?
Gabriel: Die Glaubwürdigkeit hängt ja nicht ausschließlich von der Abhängigkeit von bestimmten Interessengruppen ab und die Gruppe, die durch das Urteil betroffen ist, wird vermutlich nur einen relativ kleinen Ausschnitt aus der Gesamtheit der Bundestagsabgeordneten ausmachen, so dass ich denke, wir haben hier zwei ganz unterschiedliche Sachverhalte, die man würdigen muss: Auf der einen Seite das von Ihnen angesprochene Glaubwürdigkeitsproblem, das nicht nur von der Interessenbindung abhängt, sondern auch vom Handeln in parlamentarischen Kontexten, und wir haben den zweiten Sachverhalt, auf den das Urteil zielt, nämlich das transparent machen von Abhängigkeitsverhältnissen der Abgeordneten.
Müller: Und das heißt wir können das jetzt besser beurteilen, ob jemand bei bestimmten Entscheidungen unabhängig votiert hat?
Gabriel: Das kann man letztlich natürlich auch nicht beurteilen, weil man ja nicht davon ausgehen kann, dass das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten automatischer Reflex ihrer Einkommenslage und ihrer Interessenbindungen ist. Aber es kommt mehr Transparenz in das parlamentarische Verfahren. Man weiß, für welche Interessen der Abgeordnete steht, und kann bestimmte Entscheidungen, wenn sie dann einmal gefallen sind, vor diesem Hintergrund auch besser beurteilen.
Müller: Ist das denn generell in Ordnung, dass ein Abgeordneter über Interessen verfügt beziehungsweise die verfolgt, die nicht im Gemeininteresse sind?
Gabriel: Ich denke es ist in einer pluralistischen Demokratie ganz unrealistisch, davon auszugehen, dass jemand, der sich für ein politisches Amt zur Verfügung stellt, es ausschließlich aus gemeinwohlorientierten Motiven macht. Es ist ein ganz normales Verfahren in einer parlamentarischen Demokratie, dass Abgeordnete über Verbandsstrukturen eingebunden sind und dass Verbände über das Inside-Lobbying - so bezeichnen wir das - versuchen, im parlamentarischen Entscheidungsprozess ihre Interessen zur Geltung zu bringen. Das ist kein pathologischer Zustand, sondern das ist ein ganz normaler Prozess in einer parlamentarischen Demokratie und aus diesem Grunde bin ich auch sehr dezidiert der Auffassung, dass diese Verbindungen transparent sein müssen.
Müller: Wenn Interessensgruppen legitimerweise mitmischen im politischen Prozess - das ist ja auch so festgehalten und Sie sagen ja auch, im Grunde ist das so gewollt -, besteht nicht die Gefahr, dass derjenige, der besser Lobby-Arbeit macht, auch mehr bekommt?
Gabriel: Diese Gefahr besteht ja immer. Das ist verhältnismäßig unabhängig von Publikationspflichten oder dem nicht vorhanden sein von Publikationspflichten. Nur es wird jetzt einfacher, das Verhalten von Abgeordneten in bestimmten Entscheidungsprozessen zu beurteilen.
Müller: Also jemand, der beispielsweise mit dabei ist in größeren Stromkonzernen, Aufsichtsrat RWE, das ist vollkommen legitim, dass der im Bundestag dann auch entsprechend mit dabei ist und entscheidet?
Gabriel: Es gibt derzeit keine rechtliche Handhabe gegen diese Dinge und ich halte das auch für politisch nicht sinnvoll, dass man Vertreter bestimmter Interessengruppen per se aus dem politischen Entscheidungsprozess ausschließt. Wo wollen Sie da die Grenze ziehen? Man würde ja dann auch zu der Konsequenz kommen müssen, dass beispielsweise Vertreter des DGB, die sehr zahlreich im Bundestag vertreten sind, nicht mehr bei parlamentarischen Entscheidungen mitwirken könnten.
Müller: Das heißt es gibt gar keine andere Lösung, als das weiterhin so zu akzeptieren wie es ist?
Gabriel: Wenn sie nicht zu einem Parlament kommen wollen, das wir ja in der Tendenz schon haben, das im Grunde nur noch aus Beamten besteht, denke ich ist es eine sinnvolle Konstruktion, dass man einen wichtigen Teil des politischen Willensbildungsprozesses in Deutschland nicht aus der parlamentarischen Repräsentation ausschließt.
Müller: Sind Anwälte besser als Beamte?
Gabriel: Das kann man so nicht sagen. Die Abgeordneten haben ja ganz unterschiedliche Aufgaben im Parlament zu erfüllen. Wir haben in Deutschland so eine typische Mischung aus Redeparlament und Arbeitsparlament und die Stärken der Beamten liegen dort, wo es um die Rolle des Bundestages als Arbeitsparlament geht, also vor allen Dingen im Gesetzgebungsprozess. Da kennen sie sich im Regelfall aus, sehr detailliert und sind in der Lage, das sehr professionell zu machen.
Wenn man die andere Seite beleuchtet, der Bundestag als Redeparlament, da gibt es natürlich bestimmte Berufsgruppen, die für diese Funktion eher geeignet sind. Dazu würde ich beispielsweise Anwälte rechnen.
Müller: Herr Gabriel, es gibt ja immer noch viele in der Bevölkerung, viele Bürger, viele Wähler, die sich nach wie vor darüber wundern, wie ein Politiker, der im Bundestag sitzt, dort in Ausschüssen arbeitet, der ja auch im Plenum präsent sein muss, der Auslandsreisen auf der Tagesordnung hat etc. etc., noch Zeit für etwas anderes haben kann.
Gabriel: Es handelt sich ja in vielen Fällen um Pseudobeschäftigungsverhältnisse, die vor allen Dingen die Funktion haben sicherzustellen, dass die Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen im parlamentarischen Entscheidungsprozess zum Zuge kommen. Die arbeiten faktisch nicht mehr in den Unternehmen, für die sie beschäftigt sind.
Müller: Aber sie kriegen Geld dafür!
Gabriel: Sie kriegen Geld dafür, natürlich. Das mag man problematisch finden. Ich denke die Schwierigkeiten treten vor allen Dingen dort auf, wenn es wirkliche Interessenskollisionen gibt zwischen einer hauptberuflichen Tätigkeit in einem Unternehmen auf der einen Seite und dem Abgeordnetenmandat auf der anderen Seite. Dann muss der betreffende Abgeordnete entscheiden, wie er mit seinem Zeitbudget umgeht. In der Bundesrepublik haben wir uns mit guten Gründen für den Berufspolitiker entschieden und das bedeutet, die Priorität muss eigentlich im parlamentarischen Mandat liegen.
Müller: Der Politikwissenschaftler Oscar Gabriel war das. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Stuttgart.