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"Es liegt an der Türkei, Vollmitglied in der EU zu werden"

Seit Erdogan die Türkei regiert, haben sich die Bedingungen für Unternehmen dort verbessert, sagt Rolf Königs, Präsident der deutsch-türkischen Industrie und Handelskammer. Der Umgang mit den Protesten sei aber falsch. Für einen EU-Beitritt müsse das Land seine "Performance" verbessern.

Rolf Königs im Gespräch mit Sina Fröhndrich |
    Sina Fröhndrich: Sie haben sich geküsst, protestiert und geschwiegen, die Demonstranten in der Türkei, die gegen die Regierung Erdogan auf die Straße gehen. Ihr Protest hat nun auch die Beitrittsgespräche des Landes mit der EU ins Stocken gebracht. Eigentlich sollten die morgen weitergehen. Aber vor allem Deutschland hat gebremst. Jetzt gibt es einen Kompromiss: Im Herbst soll es neue Gespräche geben. Was würde ein EU-Beitritt der Türkei für deutsche Unternehmen bedeuten? Darüber habe ich mit Rolf Königs gesprochen, er ist neu gewählter Präsident der deutsch-türkischen Industrie- und Handelskammer. An ihn die Frage: Die Beitrittsgespräche werden verzögert. Ist das die richtige Entscheidung?

    Rolf Königs: Ich glaube, das ist ein Kompromiss, denn man hatte zuerst gesagt, wir blockieren das jetzt und stellen uns ein bisschen bockbeinig an. Jetzt hat man so einen Kompromiss gefunden: Man hat die Blockade aufgelöst und sagt jetzt als Kompromiss - ich sage das mal so -, dass man auch das Gesicht nicht verliert. Mit diesem Kompromiss kann man leben.

    Fröhndrich: Jetzt sind Sie selbst auch Unternehmer als Hersteller von Textilien für die Automobilindustrie. Wie würden Sie denn ganz konkret oder auch ähnliche Unternehmen von einem Beitritt der Türkei zur EU profitieren?

    Königs: Als Background: Wir sind seit 1989 in der Türkei, haben damals mit dem ersten Werk begonnen und haben jetzt mittlerweile acht oder neun Aktivitäten. Das heißt, wir haben natürlich einen guten Überblick über das, was da machbar ist und was nicht machbar ist. Als wir '89 in die Türkei gegangen sind, haben wir von Anfang an gesagt, dass wir nicht nur wegen des schönen großen Landes und der 75 Millionen Menschen in die Türkei gehen, sondern wir haben gesagt, wir möchten gerne die Türkei nutzen als Plattform sowohl für die Produktion und die Versorgung des inländischen Marktes, dann auch in Kombination mit Export, aber wir wollen auch die besondere strategische Situation, die Lage der Türkei nutzen, um die Türkei und damit die umliegenden Länder auch wirklich von der Türkei aus zu bedienen. Dieses Modell hat super funktioniert und hat zu einem sehr guten Erfolg geführt.

    Fröhndrich: Und wenn wir jetzt nach vorne schauen, was würde sich denn durch einen EU-Beitritt verändern?

    Königs: Für uns gar nichts. Natürlich hat sich in der Türkei vieles geändert seit 2003, seit die Regierung Erdogan praktisch tonangebend ist und die Dinge in die Hand genommen hat. Wenn ich das vergleiche mit der Situation von 1989, wo wir begonnen haben, bis 2003, waren das sehr instabile Verhältnisse, sowohl bei der Währung als auch bei der Inflationsrate. Aber die Rahmenbedingungen, das was der Westen, sage ich mal so, reklamiert an der Türkei, wie Menschenrechte und Instabilität und all diese Dinge, die wir vorher gehabt haben, die sich aber verbessert haben, das ist natürlich eine riesengroße Chance, dass insgesamt die Performance der Türkei sich durch die Auflagen, die mit dem EU-Beitritt zusammenhängen, dass sich die Performance enorm verbessert. Deshalb sage ich, es liegt an der Türkei, Vollmitglied in der EU zu werden.

    Fröhndrich: Wenn Sie jetzt sagen, die Türkei hat ihre Performance verbessert - im Moment ist, um mit dem Begriff weiterzuarbeiten, die Performance der Regierung Erdogan ja nicht besonders gut. Wie attraktiv ist es denn, angesichts der Proteste jetzt in der Türkei, in dem Land zu arbeiten?

    Königs: Das stört uns natürlich, dass die Türkei jetzt durch diese Proteste, die dort sich abspielen, dass dadurch eine schlechte Bewertung entsteht. Wir beobachten das sehr intensiv, aber wir sind davon überzeugt, dass sich das beruhigt und auch wieder normalisiert. Wir werden also jetzt nicht, sage ich mal, kopflos unsere Türkei-Strategie ändern, sondern wir werden das tun, was wir auch in der Vergangenheit, auch in schlechten Zeiten getan haben: Wir werden sesshaft bleiben. Wir bleiben also stabil und wir sagen auch nachhaltig Ja uneingeschränkt zur Türkei. Aber was sich jetzt da abspielt, ist unnötig und das muss ganz schnell beendet werden.

    Fröhndrich: Das sagt Rolf Königs, er ist seit gestern Präsident der deutsch-türkischen Industrie- und Handelskammer.


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