Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Es müssen andere Formen der Zusammenarbeit gefunden werden"

Die Kanzlerin sei sehr ehrlich im Umgang mit der Türkei gewesen, betont Europaparlamentarier Markus Ferber. Auf türkischer Seite gebe es einige Versäumnisse, die es aufzuarbeiten gebe. Der Zustand des Landes Türkei mache deshalb einen baldigen Beitritt nicht möglich, betont der CSU-Politiker.

Markus Ferber im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 30.03.2010
    Tobias Armbrüster: Die deutsche Türkei-Politik, die wird traditionell auch in der CSU genau verfolgt. Deshalb können wir jetzt mit Markus Ferber sprechen, dem Vorsitzenden der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament. Schönen guten Morgen, Herr Ferber.

    Markus Ferber: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Versöhnliche Worte der Kanzlerin gestern in Ankara und, wie gerade gehört, auch von der Staatsministerin für Integration. Sind damit die Unklarheiten zwischen Deutschland und der Türkei beseitigt?

    Ferber: Ich denke, dass die deutsche Position und insbesondere die Position der Bundeskanzlerin in Ankara sehr gut bekannt ist, sodass sie auch nicht jeden Tag neu betont werden müssen. Die türkische Seite weiß genau, welche Versäumnisse sie aufzuarbeiten hat. Die Bundeskanzlerin hat den Zypern-Konflikt sehr offen angesprochen. Hier warten wir vergeblich auf irgendeine Reaktion auch von Seiten der Türkei. Wir haben jetzt zum dritten oder vierten Mal eine Verfassungsreform angekündigt, aber angekündigte Verfassungsreformen sind keine Verfassungsreformen. Auch das hat die Kanzlerin zurecht angesprochen. Das heißt, ich denke, gerade was die Beziehungen Europa-Türkei betrifft war die Kanzlerin sehr ehrlich im Umgang mit der Türkei, und das ist auch richtig so.

    Armbrüster: Merkel hat noch einmal betont, dass die EU-Beitrittsverhandlungen ergebnisoffen geführt werden. Liegt sie damit richtig?

    Ferber: Damit liegt sie absolut richtig. Ich darf an den Beschluss der EU-Außenminister vom 3. Oktober 2005 erinnern, der genau dies beinhaltet. Mit der Türkei, so heißt es dort, werden Verhandlungen mit dem Ziel des Beitritts geführt. Sollte ein Vollbeitritt nicht möglich sein, so heißt es weiter, sind andere Formen der Zusammenarbeit zu finden. Das ist der Beschluss, der auf europäischer Ebene gilt, und deswegen bewegt sich die Kanzlerin genau innerhalb des Rahmens, der in Europa abgesteckt wurde. Es ist nicht zwingend das Ziel der Vollmitgliedschaft, sondern wenn das nicht geht, müssen andere Formen der Zusammenarbeit gefunden werden.

    Armbrüster: Aber die Vollmitgliedschaft ist durchaus eine Option?

    Ferber: Die Vollmitgliedschaft ist eine Option, so ist es der Beschluss. Ich habe das damals sehr bedauert und wir haben das von der CSU sehr bedauert, weil wir gesagt haben, solche Versprechungen kann man erst machen, wenn die Beitrittsfähigkeit eines Landes auch gewährleistet ist, und der Zustand des Landes Türkei ist eben nicht so, dass kurzfristig ein Beitritt überhaupt möglich wäre, und wir sehen auch nicht über die Zeitachse, dass es Entwicklungen gibt, diesen Zustand dahingehend zu verändern, dass die Türkei beitrittsfähig wird.

    Armbrüster: Was spricht denn eigentlich gegen die Vollmitgliedschaft? Die Türkei legt ja ein rasantes Wirtschaftswachstum hin. Sie hat außerdem wahrscheinlich anders als die meisten anderen EU-Staaten eine sehr junge Bevölkerung. Das wäre doch alles eigentlich sehr passend für die EU?

    Ferber: Aber wir nehmen ja nicht Märkte auf oder junge Menschen, sondern wir nehmen Staaten in die Europäische Union auf. Also interessiert uns im Wesentlichen der Zustand des Staates. Der Staat Türkei erkennt ein EU-Mitgliedsland nicht an. Ich halte es für nicht akzeptabel, dass jemand einem Klub beitreten will, ohne dass er alle Mitglieder des Klubs akzeptiert. Das ist ein Riesenproblem, das hier die Türkei aufarbeiten muss. Wir haben, was die Rolle des Militärs betrifft, immer noch die Situation in der Verfassung, dass das Militär außerhalb der parlamentarischen Kontrolle des türkischen Parlaments steht. Wir haben mit dem nationalen Sicherheitsrat nach wie vor ein Gremium, das Gesetze erlassen kann und demokratisch zu Stande gekommene Gesetze aufheben kann.

    Wir haben nach wie vor große Probleme, wenn ich den Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches nennen darf, Verunglimpfung des Türkentums, der nicht abgeschafft worden ist, obwohl es seit Jahren Hinweise darauf gibt, dass dieser Artikel abgeschafft werden muss. Wir haben, was die Rechte der Frau betrifft, viele Probleme in bestimmten Teilen der Türkei. Wir haben Probleme mit der Meinungsfreiheit; hier wird mit der Steuergesetzgebung unliebsame Presse kaputt gemacht. Und ich könnte jetzt noch ein paar Minuten reden, will aber die Sendezeit nicht überstrapazieren.

    Armbrüster: Herr Ferber, ich würde Sie auch wirklich gerne noch ansprechen auf ein Zitat von Olaf Scholz, dem stellvertretenden SPD-Vorsitzenden. Der hat in einem Interview gesagt, wer die Integration türkischer Migranten in Deutschland vorantreiben wolle, der dürfe die Integration Ankaras in die EU nicht für unmöglich halten. Vergibt man in Deutschland eine einmalige Chance, wenn man sich nicht jetzt für eine Vollmitgliedschaft ausspricht?

    Ferber: Ich halte das für eine etwas abenteuerliche These, um es mal sehr zurückhaltend zu formulieren. Die Integration der in Deutschland zurecht lebenden Türkischstämmigen ist eine Aufgabe, die wir als Gesellschaft leisten müssen, unabhängig davon, ob die Türkei Mitglied der Europäischen Union wird oder nicht. Hier haben gerade Sozialdemokraten lange versagt, wenn es darum geht, vernünftige Integrationskonzepte zu entwickeln. Ich bin froh, dass das jetzt – Frau Böhmer hat es ja auch angedeutet – einen guten Weg nimmt. Diese Aufgabe müssen wir schultern. Ich sehe keinen Zusammenhang mit einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union. Wie soll sich damit die Integrationslage in Deutschland verbessern? Das hat mir noch keiner erklären können und darum sehe ich auch diesen Zusammenhang nicht.

    Armbrüster: Der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ferber.

    Ferber: Gerne!