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Es muss nicht immer Twitter sein

Wer anderen eine E-mail schickt, rechnet mit einer schnellen Antwort! Wer jedoch Botschaften in eine Flasche steckt und ins Wasser wirft, erwartet das gerade nicht: Er muss lange – womöglich vergeblich – warten, bis er Nachricht erhält. Der Zufall entscheidet schließlich, ob jemand sie findet – und wo! Wie vielfältig das Medium ist, hat Reporter Gerd Michalek bei Flaschenpost-Entdeckern erfahren.

Von Gerd Michalek |
    "Ich habe 'ne Flaschenpost gefunden, die war relativ kaputt schon, und ich hab die erstmal liegen lassen. Allerdings fand ich das schon cool, dass man Flaschenposten findet. Es stand nur drauf: 'Wir wünschen schönen Urlaub'."

    Zwei Jahre war die Flasche unterwegs, als sie vor den Füßen von Johannes an der Nordseeinsel Wangerooge landete. Ziemlich einmalig für den Münsterländer Schüler.

    Ganz anders erging es Joachim Römer.

    "Ich habe den Rhein als Materiallager entdeckt und habe beim Suchen von Plastikmaterial meine erste Flaschenpost gefunden, sie mitgenommen und beim nächsten Sammeln wieder eine gefunden."

    Das ist 13 Jahre her. Jedes Mal, wenn der Rhein Hochwasser hat, freut sich der Kölner und geht am Ufer von Rheinkilometer 695 auf die Pirsch.

    "Es gab Tage, da habe ich hier am Stammheimer Ufer nach einem ziemlich hohen Hochwasser 25 Flaschenposten an einem Tag gefunden."

    Römers Tipp für interessierte Ufer-Wanderer:

    "Man muss geduldig gehen, man muss unfokussiert gucken, also alles Sachen, die nichts mit Tempo zu tun haben."
    Sobald der Kölner Künstler eine Flasche findet, die nach Papierinhalt aussieht, erwacht der Schatzsucher in ihm.

    "Die meisten sind relativ banal. Kinder machen sich einen Scherz oder spielen Pirat. Oder suchen Brieffreundschaften."
    Der Rhein ist ein seltsamer Postweg. Er löst bei manchen Betrachtern gute Vorsätze aus.

    "Zum Beispiel um den Millenniumswechsel, also von 1999 auf 2000, habe ich bestimmt 20 Flaschen gefunden, die Leute von den Kölner Brücken an Sylvester um 12 in den Rhein geworfen haben. Zum Beispiel hat eine Familie, die Eltern und drei Kinder, das, was sie sich vornehmen in ihrem Zusammenleben, reingeschrieben."

    Oft schreiben sich die Flaschenpost-Absender Probleme von der Seele. Eine Meldung hat Römer besonders berührt: Sie lag in einer Kürbisflasche:

    "Da waren mehrere Walnüsse drin und die inzwischen halb zerfallenen Blätter von drei Rosen. Und das war von einem Vater und einer Mutter – und was ich dem Text entnehmen konnte, dass ein Kind entweder früh gestorben und unter der Geburt gestorben ist, ein Abschied der beiden an das Kind, wo sie beschreiben: 'Es ist schade, dass du keine Chance hattest zu leben'."
    Dies war für Römer nicht die einzige denkwürdige Flaschenpost, die mehr als einen Text mitführte.

    "Ich habe auch eine Flasche gefunden, da waren zwei sündhaft teure Titan-Eheringe drin, weil ein Paar beschlossen hat, die Ehe hat uns nicht gut getan und haben offenbar in einem rituellen Akt, mit einem schönen Brief, ihre Ringe dem Rhein übergeben."

    Flaschenposten, die aus Notlagen entstanden, finden sich nicht nur am Rhein. Auch an der ostfriesischen Insel Wangerooge stranden sie. 1999 weckte das bei Inselchronist Hans-Jürgen Jürgens, inzwischen 85 Jahre alt, den Detektivgeist.

    "Auf dem Zettel stand in englischer Schrift und unter dem Datum vom 31. Mai 1916, dass ein Artillerist auf dem Flakschiff 'Iron Duke' auslief von einem englischen Hafen, um ein deutsches Schiff, die 'Graf Spee' zu finden."

    Dieser 31. Mai war der Vortag einer riesigen Seeschlacht im ersten Weltkrieg, der sogenannten Skaggerak-Schlacht 1916. Den Ernst der Lage fühlte wohl auch der Flaschenpost-Autor.

    "Dieser Mann, er nannte sich D. Cooper, war 17 Jahre alt und hatte wohl Angst: 'Wenn ich nicht wieder komme, dann werde ich mit meinem Schiff hier untergegangen sein.' Das schien eine außergewöhnlich interessante Flaschenpost zu sein."

    Sie zog Inselchronist Jürgens in ihren Bann. Die Spur führte laut Flaschenpost nach Birmingham. Dort schaltete Jürgens mehrere Behörden ein.

    "In der Straße, die Cooper angab, war eine Familie Cooper nicht zu finden. So langsam musste man denken: 'Sollte das Irreführung sein?'"

    Was den Inselchronisten am meisten stutzig machte: Der vermeintliche Engländer D. Cooper schrieb im Flaschenpostbrief die Ziffer 7 wie ein Nicht-Engländer!

    "Dann entdeckten wir mit der Lupe – wir hier in Deutschland schreiben die Sieben mit Querstrich. Und dieser Cooper hat die Sieben auch mit Querstrich geschrieben. Als Engländer hätte er sie weglassen müssen. Nach monatelangem Suchen stand fest: Sie war eine Fälschung! Trotzdem bleibt aber die Frage: Wie lange hat diese Flasche mit der bewusst irreführenden Meldung im Meer getrieben? Denn sie war mit Seetang bewachsen, dass man kaum das Glas erkennen konnte."

    Zurück zum Rhein im Jahre 2012. Auch Joachim Römer ging bei einigen Flaschenpost-Briefen auf Absender-Suche.

    "Die älteste, die ich habe, die ist von 1976 und die haben zwei Mädchen in die Sieg geworfen, die waren damals 13 und 14, da war eine Adresse drauf, noch mit alter Postleitzahl. Da habe ich hingeschrieben, dort wohnten noch Verwandte. Und Wochen später habe ich einen Brief aus Israel gekriegt, weil eine von den beiden Mädchen ist nach Israel ausgewandert und sie hatte noch Kontakt zu der alten Freundin und hat diese Flaschenpost als Anlass genommen, die alte Freundin mal wieder zu treffen."
    Für etwa 50 Kilometer war diese Flasche also gut 30 Jahre unterwegs. Fast wie eine Schneckenpost. Andere Fundstücke aus Römers Fundus haben weite Strecken zurückgelegt: Mehr als 200 Kilometer trieben sie von Heidelberg und Mainz hinunter, bis Römer sie in Köln auffischte. Er wird auch nach 13 Jahren weiter sammeln. In seinem Keller lagern bereits 450 Exemplare. Es wird langsam eng. Irgendwann einmal ist es Zeit für eine Ausstellung. Die vielen Botschaften sagen einiges aus über rheinische Briefkultur. Flaschenposten sind mehr als ein Kummerkasten-Medium. Doch für die Meldungen am Ufer anderer Flüsse fühlt sich Joachim Römer nicht zuständig.

    "Letztes Jahr, da waren wir auf dem Rückweg an der Mosel kurz vor Trier und ich guck vom Fahrrad und da liegt eine! Das war eine Flaschenpost. Und ich denke: Nein, du fängst jetzt nicht auch noch an der Mosel an."