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"Es muss sehr sorgfältig geprüft werden"

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, hat vor einem übereilten NPD-Verbotsantrag gewarnt. Bei einem solchen Verfahren müsste der Verfassungschutz seine V-Leute aus der Partei abziehen und öffentlich zugängliches Material sammeln, sagte Fromm.

Moderation: Rolf Clement | 09.12.2007
    Rolf Clement: Herr Präsident Fromm, in dieser Woche ist in Deutschland viel diskutiert worden über Scientology-Verbot, über NPD-Verbot, über die Frage von Wirtschaftsspionage. Wo sehen Sie denn die Hauptbedrohung Deutschlands im Moment aus Ihrer Sicht, der Sicht des Verfassungsschutzes?

    Heinz Fromm: Alle drei Themen, die Sie genannt haben, stellen nicht die Hauptbedrohung dar, sondern nach wie vor, und ich fürchte auch für die nächsten Jahre werden wir es als Hauptbedrohung mit dem internationalen islamistischen Terrorismus auch weiterhin zu tun haben.

    Clement: Wie ist da im Moment die aus Ihrer Sicht?

    Fromm: Die Bedrohungslage, so wie sie auch öffentlich dargestellt worden ist nach den Verhaftungen Anfang September, ist ganz unverändert. Wir müssen davon ausgehen, dass es in Deutschland ein Potential von Leuten gibt, die zu Anschlägen bereit und in der Lage sind.

    Clement: Können Sie das quantifizieren, haben Sie eine ungefähre Idee davon, wieviel Leute da unter uns leben, die für so etwas in Frage kommen können?

    Fromm: Also eine ungefähre Idee habe ich schon, aber exakt quantifizieren lässt sich das nicht, schon deshalb nicht, weil in dieser Szene Bewegung drin ist. Das heißt: Es wird gereist, es kommen Leute aus dem Ausland hierher, die früher hier gelebt haben oder noch nicht. Es gibt Leute, die von hier - und das beobachten wir sehr aufmerksam - ins Ausland reisen, die zu diesem islamistischen Milieu hier in Deutschland gehören. Schon deshalb kann man keine seriösen Zahlenangaben machen. Aber was diesen wirklich gefährlichen Personenkreis angeht, kann man davon ausgehen - wenn Sie eine Größenordnung wissen wollen -, dass das sich im niedrigen dreistelligen Bereich vermutlich bewegt. Ich bin da sehr vorsichtig. Es ist auch, wenn ich das anfügen darf, für unsere Arbeit nicht so relevant, die exakte Zahl genau zu wissen, sondern was wir wissen müssen und worum wir uns intensiv bemühen wie andere Sicherheitsbehörden auch, ist, die besonders gefährlichen und womöglich zur Tat entschlossenen Leute zu identifizieren und unter Kontrolle zu halten.

    Clement: Das läuft daher etwas anders ab als bei Organisationen, die Sie kennen, wenn man das vergleicht mit rechtsradikalen Organisationen. Es gab die Diskussion um die V-Leute, die Sie da immer noch haben werden in dem Bereich, es hat ja beim Verbotsantrag 2002 eine Rolle gespielt -, das geht ja in diesen fließenden Gruppen, wie Sie es gerade beschrieben haben, nicht. Können Sie ein bisschen was sagen über die Methode?

    Fromm: Sie haben vollkommen recht. Es gibt Arbeitsbereiche für den Verfassungsschutz, die etwas einfacher zu handhaben sind für uns. Hier, was diese islamistischen Strukturen angeht, diese terroristischen Strukturen angeht, ist es so - ich hab das vorhin schon kurz erwähnt -, da ist relativ viel Mobilität vorhanden. Es gibt auch, wenn Sie das einzelne Individuum sehen, Entwicklungen bis hin eben zu dem Entschluss, eine Tat zu begehen. All das ist nicht statisch, und es reicht eben nicht, wie an anderer Stelle, wenn Sie einen menschlichen Zugang, eine Quelle, einen V-Mann irgendwo in einer festgefügten Organisation plazieren, die oder der Ihnen dann regelmäßig berichtet, was läuft, was passiert, und man dann auch staatliche Maßnahmen daran orientieren kann. Das gibt es so viel nicht. Wir haben allerdings einige Indikatoren, einige Anhaltspunkte dafür, dass wir die richtige Stelle finden, bei der wir ansetzen können. Wir kennen natürlich Figuren hier in Deutschland - Leute, die dabei sind, junge Leute zu radikalisieren. Wir kennen Reisewege von Leuten, die etwa sich begeben in ein Ausbildungslager irgendwo in Mittelasien, also speziell in Pakistan. All diese Dinge sind auch infolge und auf Grund der internationalen Zusammenarbeit, die hier von ganz entscheidender Bedeutung ist, bekannt, so dass wir gezielt ansetzen können bei unseren Recherchen.
    Clement: Spielen Moscheen da eine große Rolle ?

    Fromm: Die Moscheen spielen sicher einer Rolle, das heißt, "die Moscheen" ist falsch formuliert, "einige". Selbstverständlich beobachten wir nicht "die" Moscheen in Deutschland, das kommt überhaupt nicht in Betracht und wäre auch komplett rechts- und verfassungswidrig. Die Religionsausübung, die Freiheit der Religionsausübung, gilt selbstverständlich für alle Religionen, auch für die Muslime. Aber an einigen Stellen gibt es Treffpunkte, und diese Treffpunkte können Moscheen sein oder können Orte sein im Umfeld von Moscheen, und vor allem - darauf kommt es noch mehr an - im Umfeld von Personen, die hier agieren und agitieren.

    Clement: Herr Präsident Fromm, ist das denn eine Diskussion, die bei denen in diesen Gruppen vorwiegend in deutsch stattfindet oder in arabisch? Wie muss man sich das vorstellen, wie läuft die Kommunikation, haben Sie genug Leute, die auch die Sprache von denen verstehen?

    Fromm: Also, das ist ganz unterschiedlich. Wir haben es früher - vor Jahren, das Phänomen gibt es nicht erst seit gestern - sehr häufig mit Leuten zu tun gehabt, die aus anderen Ländern, etwa aus arabischen Ländern, nach Deutschland gekommen sind oder nach Westeuropa gekommen sind und die sich untereinander arabisch unterhalten haben, die Mitglieder waren in einer extremistischen Organisation, etwa in Nordafrika, und die dann hier sich weiter betätigt haben. Die haben in der Regel miteinander arabisch gesprochen, und selbstverständlich haben wir Leute im Amt - die Landesämter haben das, die Polizei hat das -, die diese Sprache auch verstehen können, wirklich verstehen können als Muttersprachler. Zunehmend, und das macht uns besonders Sorge, gibt es nicht nur diese Klientel, sondern auch Leute, die in Deutschland geboren und aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, zum Teil ja auch deutschstämmig sind. Die drei Verhafteten sind dafür ein Beispiel, das heißt zwei von ihnen sind deutsche Konvertiten, einer ist türkischer Herkunft. Das heißt, es wird arabisch geredet, es wird türkisch geredet und es wird auch immer mehr deutsch geredet.

    Clement: Sie haben gerade gesagt, die internationale Zusammenarbeit spielt eine entscheidende Rolle. Die hat sich in den letzten aus Ihrer Sicht positiv entwickelt?

    Fromm: Ja, sehr positiv. Das gilt natürlich vor allem für die Länder - die Dienste - der Europäischen Union. Hier haben wir eine sehr, sehr enge Zusammenarbeit, insbesondere natürlich - weil die Probleme ähnlich sind - mit den westeuropäischen Ländern, in denen es auch Minderheiten gibt, unter denen man sehr häufig Islamisten findet, weniger in den neuen EU-Mitgliedsstaaten, wo solche Minoritäten eben nicht da sind, weil eine entsprechende Einwanderung in früheren Jahren nicht stattgefunden hat. Diese Zusammenarbeit ist sehr, sehr eng. Und auch die Zusammenarbeit insbesondere mit den Vereinigten Staaten ist sehr eng. Das ist zwingend notwendig, und dies pflegen wir auch sehr. Aber auch mit anderen Ländern arbeiten wir sehr eng zusammen auf der Basis dessen, was uns rechtlich möglich ist.

    Clement: Wie läuft denn die Zusammenarbeit innerhalb Deutschlands mit den anderen Organisationen, die hier tätig sind - mit der Polizei, mit den Landesämtern für Verfassungsschutz?

    Fromm: Auch diese Zusammenarbeit hat sich sehr stark intensiviert. Wenn man das etwa mit den 90er Jahren vergleicht, haben wir eigentlich schon vor dem 11.9. begonnen, die Arbeit der drei Bundessicherheitsbehörden stärker zu verzahnen - ich meine BKA, BND und BfV. Und wir haben diese Zusammenarbeit weiter intensiviert. Seit Ende 2004 gibt es das gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum in Berlin, das von diesem Zeitpunkt aufgebaut worden ist und das jetzt voll funktionsfähig ist. Hier arbeiten nicht nur Kollegen dieser eben genannten Behörden zusammen, sondern auch - und wir haben eine föderale Sicherheitsarchitektur, eine föderale Sicherheitsstruktur - auch Mitarbeiter der Landeskriminalämter und der Landesämter für Verfassungsschutz zusammen. Hinzu kommen Vertreter der Bundesanwaltschaft, was sehr wichtig ist, weil - wenn man dann sehr schnell aufklären kann, gibt es die Möglichkeit, Strafverfahren einzuleiten, was dann zusätzliche Befugnisse eröffnet, und auch etwa so eine Behörde wie das Bundesamt für Migration, weil sehr häufig ausländische Staatsbürger betroffen sind und man dann sehr schnell auch belegen kann, ob man hier zu Ausweisungen und Abschiebungen kommt. Der Militärische Abschirmdienst ist beteiligt, so dass Sie, wenn Sie so wollen, die gesamte deutsche Sicherheitskommunity in Berlin in diesem gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum beieinander haben. Die Menschen sind an einer Stelle, begegnen sich, können Probleme miteinander sehr schnell besprechen. Das ist gerade in solchen Situationen, wo sich die Dinge sehr schnell entwickeln können, von ganz entscheidender Bedeutung.

    Clement: Ist denn diese Zuständigkeitsregelung, die wir in Deutschland haben und vor allen Dingen in den letzten Jahren sehr stark gepflegt haben zwischen denjenigen, der die Erkenntnisse heranschafft, dem Verfassungsschutz, und demjenigen, der dann sozusagen operativ tätig wird, ist diese Trennung so in dem Maße, wie wir sie bisher kennen, noch aufrecht zu erhalten?

    Fromm: Das, was Sie eben formuliert haben, ist eine sehr grobe Beschreibung dessen, was wir haben. Selbstverständlich klärt auch die Polizei auf, nicht nur der Verfassungsschutz. Und wir denken, dass das sogenannte Trennungsgebot, das ist ja das, was wir hier besprechen, nicht hindert und nicht hindern darf eine sehr, sehr enge Zusammenarbeit.

    Clement: Sie sagen, mit dem Trennungsgebot, so wie es im Moment praktiziert wird, sind wir also noch gut aufgestellt, da muss wenig verändert werden?

    Fromm: Ja, ich denke schon. Wir haben eine ähnliche Situation etwa in Großbritannien, wo auch die Dienste keine exekutiven Befugnisse haben. Und wir haben nach dem Krieg aus guten Gründen dieses britische System übernommen. Aus guten Gründen deshalb, weil die historische Erfahrung bis 45 so war, dass man seinerzeit - ich denke, aus wirklich guten Gründen - entschieden hat, dass nicht miteinander zu verbinden, also den Inlandsnachrichtendienst, den es im Übrigen früher so gar nicht gegeben hat, und die Polizei mit all ihren exekutiven Befugnissen. Damit sind wir in den Jahrzehnten, die es die Bundesrepublik Deutschland bis jetzt gibt, ganz gut gefahren und durchaus auch erfolgreich gewesen.

    Clement: Nun sagt man ja, dass sich die Bedrohung verändert hat - durch die asymmetrische Bedrohung, der wir heute gegenüberstehen, so wie Sie es auch beschrieben haben, dass einzelne Gruppen jetzt nicht mehr so stark strukturiert sind, sondern es mehr an Einzelpersonen hängt. Da ist es ja naheliegend, dass man sagt: Derjenige, der die Einzelpersonen aufklärt, der sie beobachtet, der über einen längeren Zeitraum hin Erkenntnisse über sie sammelt, dass der dann unter Umständen dann auch stärker in die Exekutive hineingreifen könnte.

    Fromm: Also solche Vorstellungen und Überlegungen gibt es nicht und ich denke, die muss es auch nicht geben, sondern wir tun das gemeinsam. Ich will ein mehr abstraktes Beispiel nennen. Wenn wir als Verfassungsschutz, als Inlandsdienst, eine Gruppe oder eine einzelne Figuren entdecken, die ganz offensichtlich planen, hier etwas zu tun, dann haben wir nicht nur die Berechtigung, sondern auch die Pflicht - und tun es dann auch -, die Polizei zu informieren. Und dann werden diese Dinge gemeinsam weiter entwickelt und die Polizei kann dann, wenn auch die Staatsanwaltschaft, die Bundesanwaltschaft in dem Fall, zustimmt, handeln. So ist es in dem zurück liegenden Fall geschehen und von daher hat sich das System durchaus bewährt, und wie gesagt, es entspricht, was das Trennungsprinzip angeht, den historischen Erfahrungen, die Deutschland ja nicht nur bis 1945 gemacht hat, sondern in dem anderen Teil Deutschlands bis 1989.

    Clement: Sie haben als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine Veranstaltung durchgeführt in der zurück liegenden Woche in Berlin, wo es hauptsächlich um Wirtschaftsspionage geht. Wollten Sie einen bewussten Akzent setzen nach dem Motto: Leute passt auf, auch da tut sich was?

    Fromm: Ja, sehr häufig werden die Akzente ja durch die Dinge gesetzt, die einfach stattfinden durch Ereignisse, die die Leute bekümmern. Wir wollten auf ein Thema aufmerksam machen, was nur hin und wieder im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht. Wenn etwa ein Magazin eine Titelgeschichte macht über Angriffe mit Trojanern auf deutsche Rechnersysteme, dann ist mal kurzzeitig die Aufmerksamkeit auch auf ein solches Thema gelenkt. Es verdient aber permanente Aufmerksamkeit, und das Ziel unserer Bemühungen mit diesem Symposium war, Sensibilisierung zu erzeugen bei potentiellen Opfern. Wenn wir das richtig wahrnehmen, ist es so, dass die deutsche Wirtschaft, von den großen Unternehmen mal abgesehen, die eigene Sicherheitsabteilungen haben, dass die deutsche Wirtschaft in ihrer Breite, insbesondere auch die mittelständische Wirtschaft, nicht sensibel genug ist für diese Bedrohung. Wir haben in der deutschen Wirtschaft ja nicht nur in den großen Unternehmen Innovation, wir haben auch nicht nur in der Wirtschaft solche sensiblen Informationen, sondern vor allem auch in der Wissenschaft. Und ich denke, die Arglosigkeit gegenüber den Bemühungen von ausländischen Nachrichtendiensten und auch den Bemühungen von privaten Konkurrenten ist doch sehr ausgeprägt in Deutschland. Und dem wollten wir ein wenig entgegen wirken. Ich hoffe, das ist gelungen und der Eine oder Andere überlegt sich, ob er sich besser schützt, ob er seine diskreten Bereiche ein wenig besser absichert, als das bis heute der Fall war. Der Verfassungsschutz steht, was das betrifft, zur Verfügung, um mit Rat und auch mit Tat denjenigen, die das wollen, zur Seite zu stehen. Wir tun das und haben das auch in der Vergangenheit auch schon getan. Und die Kompetenz, die wir da einbringen, besteht darin, dass wir die Methoden von Nachrichtendiensten ganz gut kennen und von daher die Angriffspunkte identifizieren können, die genutzt werden könnten für solche Zwecke. Dafür bieten wir unsere Unterstützung gerne an.

    Clement: Spielt sich das heute hauptsächlich im menschlichen Aufklärungsbereich ab, also von Seiten derjenigen, die etwas holen wollen, oder ist das mehr ein elektronisches Aufklären?

    Fromm: Beides. Das zweite nimmt zu natürlich. Bei der zunehmenden Vernetzung nimmt natürlich auch das Bemühen zu, etwa mit Hilfe von Trojanern auf fremde Rechner Zugriff zu nehmen und dort etwa Betriebsgeheimnisse oder Forschungsergebnisse abzuziehen und für eigene Zwecke zu nutzen, eigene Entwicklungskosten einzusparen. Das nimmt zu, ganz eindeutig, wobei (da es sich nicht nur auf die Wirtschaft und Wissenschaft beschränkt, sondern auch zum Zwecke der politischen Spionage genutzt wird) die menschliche Quelle weiterhin ein probates Mittel ist, um aufzuklären. Wir sehen insbesondere aus Ländern in Asien das Bemühen, über Gastwissenschaftler, über Studenten, über Praktikanten an interessante Informationen zu kommen und, wie gesagt, so sich eigenen Aufwand zu ersparen.

    Clement: Brauchen Sie dafür die Online-Durchsuchung?

    Fromm: Dafür wohl weniger.

    Clement: Wofür dann?

    Fromm: Die Online-Durchsuchung - das wissen Sie ja - wird diskutiert im Zusammenhang vor allem mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Und ich glaube, dass das Leben - auch das Leben von Terroristen und die Aktivitäten von Terroristen - sich zunehmend in dieser virtuellen Welt abspielt, die allerdings dann sozusagen verlassen wird, wenn es darum geht, Anschläge zu verüben. Aber die Vorbereitungen werden da getroffen. Und wir meinen, dass wir das, was dort geschieht, beobachten müssen, so wie wir Verhalten auch beobachten, Aktivitäten beobachten, die sicherheitskritisch sind, im realen Leben, so müssen wir Aktivitäten in dieser sich ausweitenden virtuellen Welt ebenfalls beobachten und observieren können. Das wird früher oder später, das ist meine Überzeugung, eine allgemeine Erkenntnis werden. Ob wir demnächst schon auf dieses Instrument werden zugreifen können, das müssen wir abwarten.

    Clement: Wenn Sie sich heute den Grad an Vernetzung angucken in der Industrie, aber auch in der Politik, ist das für einen Verfassungsschützer etwas, was ihm die Sorgenfalten auf die Stirn treibt?

    Fromm: Sorgen haben wir immer, das gehört sozusagen zum Berufsbild. Und jede Entwicklungsphase, jede Zeit hat ihre eigene Ausprägung davon. Wir müssen mit den Dingen versuchen umzugehen. Und wenn es derartige neue Verhältnisse gibt, wenn sich die Aktivitäten in Bereiche verlagern, in die wir nicht so ohne weiteres Einblick nehmen können, dann brauchen wir eine gesetzliche Befugnis, um das dann doch tun zu können, weil uns sonst eine Menge entgeht, womöglich Entscheidendes entgeht, was uns früher, als es diese Räume noch nicht gegeben hat, nicht entgangen wäre. Mit anderen Worten: Wenn uns solche an der Entwicklung der modernen Technik orientierten Befugnisse vorenthalten werden, fallen wir hinter das zurück, was wir bisher haben. Und das, denke ich, kann nicht im Interesse dieses Landes sein.

    Clement: Raten Sie zum Beispiel Firmen, gerade auch vor dem Hintergrund dieser Vernetzung, dazu, sich stärker abzuschotten gegenüber anderen Firmen?

    Fromm: Ja, ganz eindeutig. Wenn ich das richtig sehe, sind nicht die zuständige technische Behörde, das ist das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, aber wenn ich das richtig beurteile, dann ist die Sorglosigkeit doch recht ausgeprägt. Das heißt, die Leute vernetzen sich immer stärker, sie bewegen sich in diesem World Wide Web und bedenken nicht, dass das ja nicht nur schön ist und gute Seiten hat und dass man sich alle möglichen Informationen beschaffen kann, dass man agieren kann, dass man kommunizieren kann, sondern dass man auch verletzlicher, angreifbarer wird dadurch. Und deswegen ist natürlich der Rat, sich zu schützen. Viele tun das ja auch mit den Möglichkeiten, die man aus dem Netz oder auf dem Markt bekommen kann. Aber wenn man noch mal zu Unternehmen oder anderen Institutionen kommt, dann muss man sagen, dass dort vielleicht doch das Eine oder Andere noch mehr geschehen könnte. Aber wie gesagt, ich kann da im Moment keine konkreten Ratschläge geben. Aber generell gilt, je mehr man sich öffnet, je mehr man sich beteiligt, desto verletzlicher ist man auch.

    Clement: Herr Fromm, da es diese Woche eine Rolle gespielt hat, doch noch um Abschluss unseres Gesprächs die Frage: Wünschen Sie sich ein NPD-Verbot?

    Fromm: Das ist eine politische Entscheidung, die hier zu treffen ist, also die Frage, soll erneut ein Antrag gestellt werden. Ich persönlich würde mich freuen, wenn es diese Partei nicht gäbe. Ich glaube, die Mehrheit der Menschen in diesem Land kann gut auf eine solche Partei verzichten. Das ist das eine. Das andere ist. Ist es rechtlich möglich, tatsächlich in einem Verbotsverfahren zum Erfolg zu kommen? Das wäre ja der zweite Versuch. Und wir kennen die Entscheidung, die zur Beendigung des ersten Versuchs geführt hat, und die muss, denke ich, und sollte bei einem erneuten Versuch bedacht werden. Das heißt, es muss sehr sorgfältig geprüft werden, ob ein neuer Antrag tatsächlich Aussicht auf Erfolg hat. Da gibt es eine ganze Menge Fragen, die sich hier stellen, also welche Erkenntnisse könnten überhaupt verwertet werden. Es gibt ja die Auffassung zu sagen, dass es genügend offen verfügbare Erkenntnisse gibt, die ein Verbot auch tragen würden. Ich rate dazu, auch darüber noch mal genau nachzudenken, denn diese Erkenntnisse, die wir haben, die möglicherweise reichen, sind zu einer Zeit gewonnen, in der noch V-Leute eingesetzt worden sind. Und die Frage ist dann, sind solche Erkenntnisse, auch wenn sie offen verfügbar sind, verwertbar, obwohl sie aus einer Organisation kommen, die auch durch V-Leute beobachtet worden ist. Das ist eine bisschen komplizierte Frage, das gebe ich zu. Aber es lohnt sich, darüber nachzudenken. Die Alternative wäre, man zieht die V-Leute ab, so wie das Gericht das seinerzeit gesagt hat, und beginnt dann, alles zu sammeln, was aus der NPD offen verfügbar geboten wird und schaut dann nach einer Weile, ob das reicht. Das hätte den Nachteil, darauf muss ich hinweisen, dass wir den Einblick in die Interna der Partei nicht mehr hätten. Und das könnte unter Umständen uns eines Tages auch ganz furchtbar auf de Füße fallen, weil wir nicht mehr wüssten, wohin sich die Partei ausrichtet, und weil wir dann ein gewisses Risiko jedenfalls, vielleicht sogar ein beträchtliches Risiko hätten, nicht rechtzeitig gegensteuern zu können.

    Clement: Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz hat einen Überblick über alle extremistischen Bestrebungen in Deutschland. Wenn Sie das alles zusammennehmen, was für eine Diagnose würden Sie geben? Leben wir zur Zeit relativ sicher? Müssen wir uns Sorgen machen?

    Fromm: Wir müssen uns Sorgen machen wegen möglicher Anschläge durch islamistische Tätergruppierungen. Das ist unsere Hauptsorge, und dort konzentrieren wir auch unsere Bemühungen. Was den politischen Extremismus im übrigen angeht kann man sagen, dass er aktuell und wohl auch bis auf weiteres keine Gefahr für das demokratische System darstellt. Im übrigen hat er, wenn ich das richtig sehe, das nie getan in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Diese Extremisten von rechts oder links hatten Gott sei Dank bisher keine Chance. Aber gleichwohl müssen sie im Auge behalten werden. Und deswegen glaube ich, dass eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz weiterhin dringend geboten ist, auch weil dadurch die Bevölkerung sieht, dass sich der Staat nicht gleichgültig verhält gegenüber denjenigen, die dieses demokratische System am liebsten beseitigen möchten.