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"Es scheint so, als ob das nicht ausgestanden ist"

Helmut Metzner heißt der Mann, der die US-Botschaft mit internen Regierungsinformationen versorgt haben soll. Kerstin Müller, außenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, sagt, Westerwelle selbst sei verantwortlich, nicht irgendein Mitarbeiter.

Kerstin Müller im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Der Mann, er bewahrt sich seinen Humor. Gerade erst ist Helmut Metzner als Informant der US-Botschaft entlarvt worden, gerade erst hat er seinen Job als Bürochef von Guido Westerwelle in der FDP-Zentrale verloren und sich erst einmal aus der Schusslinie begeben und in den Urlaub, da stellt er als Kommentar ein Bild ins Internet. Es zeigt den Helden eines bekannten tschechischen Zeichentrickfilms, und zwar der kleine Maulwurf. Vielen bei den Liberalen dürfte das Lachen darüber allerdings im Halse stecken bleiben, in der Partei rumort es. Unmut kommt auch aus der Union. Am Telefon begrüße ich Kerstin Müller, die außenpolitische Sprecherin ihrer Bundestagsfraktion, der Bundestagsfraktion der Bündnis-Grünen. Schönen guten Tag, Frau Müller.

    Kerstin Müller: Guten Tag!

    Barenberg: Helmut Metzner, also der Maulwurf selber, er sagt, Guido Westerwelle sei nicht im Bilde gewesen über seine eigene Tätigkeit. Halten Sie diese Erklärung für glaubwürdig?

    Müller: Also das ist jetzt Spekulation, aber für mich steht eigentlich eines fest: Entweder hat Westerwelle seinen Laden nicht im Griff, oder es ist nicht richtig, was er sagt und er selbst hat den Referenten, also diesen Metzner, losgeschickt. Beides fällt auf Westerwelle zurück, so oder so ist er in der Verantwortung und nicht irgendein Mitarbeiter.

    Barenberg: Das heißt, aus Ihrer Sicht ist die Sache alles andere als ausgestanden?

    Müller: Es scheint so, als ob das nicht ausgestanden ist. Vor allen Dingen stellt sich ja die Frage, was dieser Mitarbeiter weiter gemacht hat, ob er weiter in dieser Art und Weise, in diesem Umfang auch tätig war, als Westerwelle schon Außenminister war, und er da vielleicht Dinge weitergegeben hat, wo es nur dem Auswärtigen Amt zustünde zu differenzieren, was gibt man weiter und wie.

    Barenberg: Wer soll jetzt darüber Aufklärung geben? Was muss aus Ihrer Sicht geschehen?

    Müller: Zum einen ist das natürlich eine Aufgabe der FDP selber, die müssen hier Klarheit schaffen, vor allen Dingen keine Ablenkungsmanöver fahren. Die Rücktrittsforderung gegen den amerikanischen Botschafter, das ist ja gerade abwegig, wirklich abwegig, ein Ablenkungsmanöver, wo die FDP versucht, ihre eigenen Probleme statt sie zu lösen auf andere zu schieben. Also die müssen hier aufklären. Ob dieser Metzner entlassen wird oder nicht, das ist für uns Außenstehende jetzt nicht so relevant. Das ist eine FDP-interne Frage, die die klären müssen. Ich erwarte aber eigentlich im Grunde genommen hier eine ehrliche Darlegung, ob hier außenpolitische Interessen der Bundesrepublik verletzt wurden und berührt wurden. Mir scheint letztlich, dass der Außenminister damit überfordert ist, Parteiamt und das Außenministeramt in einer Person zu führen. Das zeigt sich einfach immer wieder.

    Barenberg: Nun berichtet der "Spiegel" heute, dass Helmut Metzner den US-Botschafter, die US-Botschaft auch noch nach Ende der Koalitionsverhandlungen mit Informationen versorgt hat, also genau das, was Sie eben auch angesprochen haben, nämlich Informationen, die weitergegeben wurden, möglicherweise als Guido Westerwelle bereits als Außenminister im Amt war. Nun hat die FDP sich bisher ja immer mit der Linie verteidigt, Herr Metzner habe sich gemäß seiner Stellenbeschreibung gewissermaßen verhalten, er habe also nur getan, was sein Job ist. Aber sollte das so sein und sich herausstellen, sich konkretisieren, dass er auch danach noch Informationen weitergegeben hätte, wäre das schon von anderer Qualität, von anderer Brisanz?

    Müller: Das könnte von anderer Brisanz sein, ja. Es kommt auf die Informationen an, aber das ist nicht seine Aufgabe, sondern da muss ganz klar getrennt werden, das erwarte ich. Das eine ist parteiinterne Organisation, das andere, nämlich das, was im Auswärtigen Amt gemacht wird, berührt die außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland, und da hat Westerwelle eine Verantwortung, das zu trennen, erst recht als Parteivorsitzender. Und wenn nicht glasklar ist, dass dieser Mann das nicht getrennt hat, dann könnte das zu Problemen führen, weil dann könnten eben Dinge weitergegeben worden sein in seiner Person, die er nicht hätte weitergeben dürfen, die er hätte gar nicht wissen dürfen, weil es sich nicht um Parteiinterna, sondern um Interessen der Bundesrepublik handelt.

    Barenberg: Nun waren Sie selber eine Weile lang Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Sie kennen sich also aus. Ist es für Sie denn überhaupt vorstellbar, dass ein enger Mitarbeiter, in diesem Fall von Guido Westerwelle, etwas getan hat, ohne dass Guido Westerwelle davon Kenntnis hatte?

    Müller: Ehrlich gesagt fände ich das schwer vorstellbar. Wie gesagt, entweder er hat seinen Laden nicht im Griff, das deutet sich ja hier auch immer wieder an, dass er mit beiden Funktionen auch überfordert ist, oder das entspricht nicht der Wahrheit. Aber das ist jetzt an der Stelle spekulativ. Ich halte es eher für unwahrscheinlich. So vertraute Personen – er war ja Referent, der auch noch für internationale Beziehungen zuständig war, das heißt er sollte die Außenministertätigkeit des künftigen Außenministers vorbereiten. Also ist schwer vorstellbar, dass der über so einen langen Zeitraum so derart brisante Informationen ohne Wissen des Umfelds weitergegeben hat. Aber die Leute gehen unterschiedlich in diesen Fragen um. Letztlich ist die FDP hier der deutschen Öffentlichkeit eine Aufklärung, eine ehrliche und schonungslose Aufklärung schuldig.

    Barenberg: Der Umgang der FDP mit diesen Vorgängen ist die eine Seite, Frau Müller; die andere Seite sind die Veröffentlichungen durch WikiLeaks und all das, was bekannt wurde über die persönlichen Einschätzungen auch des US-Botschafters Philip Murphy in diesen Berichten. Philip Murphy selber, er hat lange gezögert, sich jetzt doch entschuldigt. Wie sehr belasten diese Veröffentlichungen doch, obwohl alle Seiten das ja herunterspielen, die Atmosphäre zwischen Berlin und Washington?

    Müller: Ich finde die persönlichen Einschätzungen, die dort offensichtlich weitergegeben wurden, nicht schwerwiegend. Gut, ein deutscher Diplomat würde sich hier selbst in Berichten vermutlich diplomatischer ausdrücken und, ich sage es mal so, nicht ganz so arrogant, wie das dort rüberkommt, aber aus meiner Sicht: die Bewertungen etwa, die er über die Person Westerwelles abgibt, das sind ja keine Geheimnisse, sondern das entsprach ja zu dem Zeitpunkt der öffentlichen Wahrnehmung des politischen Berlins. Er hat ja da an der Stelle nichts weitergegeben, was nicht auch in irgendwelchen Zeitungen gestanden hätte und was man eben so einschätzt. Was ich schwierig finde, was ich wirklich schwierig finde ist die Vorstellung, dass 2 Millionen Menschen auf dieses Datennetz Zugriff hatten. Das kann ich mir nicht vorstellen, wie das ohne ausreichenden Datenschutz passieren konnte.

    Barenberg: Wie wird es weitergehen im Verhältnis auch des US-Botschafters mit den Stellen der Regierung, mit denen er Kontakt hat in Berlin? Lässt sich so ein Verhältnis überhaupt wieder kitten und wie relevant ist das?

    Müller: Also das glaube ich auf jeden Fall, dass jetzt hier kein schwerwiegender Schaden entstanden ist und dass sich da auf jeden Fall die Vertrauensbasis wieder aufbauen lässt. Ich glaube, dass die Amerikaner aber eine Bringschuld haben, und zwar nicht, was ihre Bewertungen einzelner Personen der deutschen Politik angeht, sondern was ihren Umgang mit Daten angeht. Ich erinnere an die Debatte, die Amerikaner haben ja gefordert, dass die Europäer in großem Umfang sozusagen den Amerikanern Zugriff geben auf europäische Daten, und das wurde zurückgewiesen, zurecht, muss man heute sagen. Ich glaube, dass die USA einfach hier an der Stelle auch von den Europäern lernen können. Wer viele Daten sammelt, muss auch einen guten Datenschutz haben. Das bestätigt uns in der Auffassung, dass wir da richtig gehen, und das ist vielleicht etwas, worüber die Amerikaner auch mal auf die Europäer zugehen könnten.

    Barenberg: Das heißt, dieser Punkt wäre Ihnen wichtiger als eine kritische Sicht auf WikiLeaks selber, denn auch das ist ja in gewisser Weise ein Geheimnisverrat, solche Dinge ins Netz zu stellen? Das sehen Sie aber nicht kritisch?

    Müller: Doch, das ist durchaus kritisch zu sehen. Es ist dann kritisch zu sehen, wenn Persönlichkeitsrechte einzelner verletzt werden und wenn es sozusagen generell keine Datenschutzregelungen gibt, so wie wir sie haben. Hier dürfen nur bestimmte Daten gesammelt werden, sie dürfen nur über einen gewissen Zeitraum zu bestimmten Zwecken gesammelt werden, die Betroffenen haben Einsichtsrechte und Löschungsrechte. All das besteht mehr oder weniger in den USA nicht und es ist einfach erschreckend, dass zwei Millionen Menschen auf derart geheime Daten Zugriff haben, und ich glaube, da muss sich etwas verändern, auch und vor allen Dingen in den USA. Schwierig ist es natürlich, solche Daten ins Netz zu stellen, wenn zum Beispiel einerseits Geheimnisverrat begangen wird, andererseits Personen genannt werden, die dann in Krisengebieten etwa wirklich Probleme bekommen, ins Gefängnis kommen und so weiter, also Informanten in Ländern, Krisengebieten, Kriegsgebieten, wo es ganz anders ausschaut als hier. Das ist natürlich absolut nicht zu rechtfertigen und da hat dann eben auch die Internet-Freiheit seine Grenzen im Persönlichkeitsrecht des einzelnen.

    Barenberg: ... , sagt im Deutschlandfunk Kerstin Müller, die außenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Bündnis-Grünen. Frau Müller, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch.

    Müller: Bitte schön!