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Es war einmal in Berlin

Okay, dann würde ich sagen, wir machen uns auf den Weg, die Trommler nach vorne, und: "Let's kehr for education!"

    Es war eine unglaublich spaßige Zeit, darin sind sie sich alle einig, die vielen Streikaktiven von damals. Laub sammeln im Tiergarten und dem Senat vor das Rathaus kippen, nackt über den Weihnachtsmarkt flitzen, nachts um vier einer Physik-Vorlesung auf dem Potsdamer Platz folgen und Glühwein dabei trinken. Allein im Streikkoordinationsbüro der Technischen Universität Berlin liefen täglich 20 Anmeldungen für Streikaktionen ein, so viele, dass es gar nicht genügend Studierende dafür gab. Es ging um 75 Millionen Euro, die der Berliner Senat den Universitäten wegnehmen wollte. Einmal besetzten die Studierenden das Büro des Wissenschaftssenators und hielten eine Pressekonferenz an seinem Schreibtisch ab:

    Wir können und werden Einsparungen nicht akzeptieren, weil wir uns unserer Zukunft berauben ...

    Und sie haben sie doch akzeptiert, oder sich zumindest damit abgefunden. Der Streik ist längst vorbei, und die Einsparungen werden bis 2009 so umgesetzt wie geplant. Die Studierendenzahl wird abgesenkt, und die drei Berliner Universitäten streichen jede fünfte Professur, das sind fast 230 Lehrstühle. War also alles umsonst, die unzähligen Demonstrationen oder das Frieren der Studierenden von der Mahnwache, die den ganzen Winter hindurch Tag und Nacht vor dem Roten Rathaus campierten? Nicht ganz, sagt Peter Hartig vom ReferentInnenrat der Humboldt-Universität, ein ehemaliger Streikaktiver. Immerhin habe man ein paar Professuren gerettet und die Einführung von Studienkonten wenigstens für die laufende Legislaturperiode verhindert. Aber der ganz große Erfolg sei ausgeblieben, weil es den Studierenden eben nicht gelungen sei,

    ihren Protest mit dem anderer sozialer Gruppen zu verknüpfen. Haben nämlich gleiche Probleme: Staat entzieht sich seinen Aufgaben, verlagert sie in private Hände.

    Doch wo ist er geblieben, der Unmut der 20.000 Demonstranten Unter den Linden? Vieles ist verpufft, hat sich totgelaufen. Vielleicht wurden die Studierenden auch zu Tode geliebt. Fast alle Politiker zeigten Verständnis für die Probleme, die Bevölkerung applaudierte zu den Straßenaktionen. Doch dabei blieb es dann. Immer mehr Studierende verloren den Glauben an den Erfolg, sorgten sich um ihre Scheine und wollten zurück in die Hörsäle. Jetzt ist alles wieder wie vor dem Streik, oder doch nicht? Peter Hartig:

    Leute wurden politisiert, Fachschaften sind größer geworden, Leute arbeiten politisch weiter. Man hört mehr auf uns auch im Akademischen Senat.

    Ein Kind des Streiks, das auch ein Jahr danach noch munter weiterlebt, ist die Offene Uni - eine alternative Einrichtung für alle, in der Studierende lehren und Seminare geben, wo sich soziale Gruppen treffen und diskutieren. Es finden Lesezirkel zum "Kapital" von Marx statt, aber auch Französisch-Kurse. Paula Knieper hat die Offene Uni vor einem Jahr mit aufgebaut:

    Man muss Freiräume schaffen. Zweigleisig fahren: In Strukturen präsent sein, aber auch Alternatives machen. Wichtig, was Positives raus zu ziehen, und nicht nur gegen etwas zu sein. Das geht einfach nicht.