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"Es war gut, ihn gehabt zu haben"

Kein Bedürfnis nach Rache habe Vaclav Havel gezeigt, berichtet Jitka Jilkova, die Leiterin des deutschsprachigen Theaterfestivals in Prag. Er sei eine Versöhnungsfigur gewesen, habe aber für seine Überzeugungen mit "einer gewissen Härte" gekämpft.

Jitka Jilkova im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 18.12.2011
    Vaclav Havel: "Ich hatte ein abwechslungsreiches Leben, voller Abenteuer, obwohl ich überhaupt kein Abenteurer bin. Dass mein Leben dennoch so bewegt war, verdanke ich einzig und allein dem Schicksal, nicht meinem Charakter."

    Burkhard Müller-Ullrich: Vaclav Havel ist tot. Der tschechische Dichter und Dissident, Poet und Präsident ist heute Morgen in seinem Landhaus, 150 Kilometer von Prag, im Alter von 75 Jahren gestorben. Und weil es sehr, sehr selten ist, dass sich Zeitgeschichte und Geistesgeschichte in einer Person auf solche Weise verbinden, werden wir diesem Autor und seiner Autorität auf dem Gebiet der gelebten Moral einen großen Teil dieser Sendung widmen. Dazu begrüßt Sie Burkhard Müller-Ullrich.

    Vaclav Havel: "Die Erfahrung, die wir in diesem System machen, lehrt uns nachdrücklicher als die in einer offenen Gesellschaft, dass der einzig richtige und sinnvolle Ausgangspunkt jeder Politik die Moral ist. Politik ist eine Form praktizierter Moral. Auch der Protest gegen ein System, das schlecht ist, weil es die Menschenwürde verletzt, muss von einer moralischen Revolution ausgehen. Das heißt, jeder muss bei sich selbst anfangen, muss sich bemühen, sich von der allgemeinen Schizophrenie zu befreien, muss aufhören zu lügen, nur weil es bequem ist, muss sich wahrhaftig verhalten."

    Müller-Ullrich: Der Schriftsteller und Bürgerrechtler Vaclav Havel hatte sich um diese Rolle nicht gerissen; er war kein Politiker, der Wahlkampf machte, er hatte nicht an Palasttüren gerüttelt und gerufen: "Ich will da rein", aber er war auch nicht böse, da hineingedrängt zu werden – vor 22 Jahren. Da wurde der einstige politische Paria zum Präsidenten der damaligen Tschechoslowakei, und dass er als Antimilitarist gleich als erstes nach seiner Kür eine Militärparade abzunehmen hatte, mag ihm absurd vorgekommen sein, aber für das Absurde hatte er als Theatermann sowieso ein Sensorium.

    Jitka Jilkova, Sie sind Leiterin des deutschsprachigen Theaterfestivals in Prag. Sie haben mit Havel gearbeitet, Sie haben ihn gekannt. Was für einen Eindruck hatten Sie von ihm?

    Jitka Jilkova: Ja ich kann nicht sagen, dass es eine echt persönliche Bekanntschaft war. Ich habe Herrn Präsidenten Havel ein paar Mal getroffen, und ein paar Mal habe ich für ihn gedolmetscht – zum Beispiel, wenn der österreichische Bundespräsident Klestil bei ihm das erste Mal zu Besuch war.

    Müller-Ullrich: Aber Sie sind eine Theaterfrau und er war ein Theatermann. Das heißt, es gibt sozusagen eine berufliche Nähe in der Kultur. Wurde er denn immer noch als Theatermann betrachtet?

    Jilkova: Natürlich auch. Es wurde immer wieder erwähnt, dass er ein wichtiger Dramatiker ist beziehungsweise war, und natürlich hat man mit einer großen Spannung erwartet, wie sein neues Stück wird. Sein letztes Stück "Abgang" wird immer wieder gespielt, und natürlich bilden seine Stücke einen sehr wichtigen Teil der ganzen tschechischen Dramatik des 20. Jahrhunderts.

    Müller-Ullrich: Nun ist es natürlich ungewöhnlich, dass ein Poet als Präsident amtiert. Hat er dadurch einen besonderen moralischen Kredit beim tschechischen Volk gehabt?

    Jilkova: Das auf jeden Fall, aber vielleicht nicht so sehr als Dramatiker, sondern eher auch als Philosoph, und dadurch steht er auch in einer tschechischen – wie soll man sagen? – Präsidententradition, denn der erste tschechoslowakische Präsident war auch Philosoph, der Tomáš Garrigue Masaryk. Und da glaube ich, das ist die Linie, an die er angeknüpft hat.

    Müller-Ullrich: Er hat ja für seine Überzeugungen ziemlich viel erlitten: Er war viermal im Gefängnis, er war sogar lebensgefährlich erkrankt, nämlich an Lungenentzündung, wurde dann noch in Handschellen ins Krankenhaus gebracht. Ich erwähne das alles, weil in Tschechien natürlich auch wie in allen Ländern des Ostens ein Reinigungsprozess nach dem Fall der Mauer oder des Eisernen Vorhangs stattgefunden hat. Wie ist das im Falle Havel dann gewesen? Es gibt ja tragische Figuren, zum Beispiel die Leute, die ihn verurteilt haben, die Richter.

    Jilkova: Ja, aber man hat über die dann nicht mehr gesprochen. Man kann auf keinen Fall sagen, dass er irgendwie ein Bedürfnis gehabt hätte, sich zu rächen oder es ihnen irgendwie auch nur zu vergelten. Irgendwie hat er dies für überwundene Elemente, oder wie ich das sagen könnte, gehalten.

    Müller-Ullrich: Also eine Versöhnungsfigur?

    Jilkova: Eine Versöhnungsfigur, könnte man durchaus sagen, aber man muss auch wissen, dass Vaclav Havel, wenn es sein musste, auch eine gewisse Härte zeigen konnte, wenn er es für notwendig gehalten hat.

    Müller-Ullrich: Haben Sie ein Beispiel?

    Jilkova: Na ja, er ließ sich nicht so beeinflussen – das habe ich bei dem Dolmetschen ein paar Mal gemerkt -, dass die Delegation gekommen ist, total überzeugt, er ist so zierlich und so lieb und so nett und den können wir dann überreden, aber das war dann nie der Fall. Er hat seine Meinung ziemlich stark verteidigen können.

    Müller-Ullrich: Milan Kundera hat ja mal gesagt, für ihn sei es charakteristisch, dass er eigentlich keine Richtungsänderungen in seinem Lebensweg hatte: Er ist immer bei seinen Überzeugungen geblieben, er war gegen den Kommunismus von Anfang an.

    Jilkova: Das kann man unterschreiben, ja, und ich weiß nicht, wie man diesen Gedanken weiter entfalten sollte. Ich glaube, da hat der Milan Kundera absolut recht.

    Müller-Ullrich: Gibt es jemanden von seiner Statur auf der politischen oder auf der künstlerischen Ebene, oder war er ein weltweites Unikat?

    Jilkova: Ich weiß nicht, ob weltweit, aber im tschechischen Revier war er absolut ein Unikat und es war natürlich ein großes Glück, ihn zu haben, und ich glaube, es ist auch ein Glück, ihn gehabt zu haben.

    Müller-Ullrich: Vaclav Havel war ein Glücksfall. Das sagt Jitka Jilkova, die Leiterin des deutschsprachigen Theaterfestivals in Prag. Vielen Dank, dass Sie sich ein paar Minuten Zeit für uns genommen haben.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.