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"Es war vielleicht zu erwarten, dass es einen Angriff gibt"

Sollten sich die Bombenanschläge von Boston als rechtsextremistischer Terrorakt erweisen, wäre ein Tabu gebrochen, sagt der Direktor des Berliner Aspen-Instituts, Charles King Mallory IV. Gewalt hätte damit Eingang in die US-Innenpolitik gefunden. Das wäre etwas "sehr Beunruhigendes".

Charles King Mallory im Gespräch mit Jasper Barenberg | 18.04.2013
    Jasper Barenberg: An Krieg muss denken, wer an dem Ort des Geschehens ist, oder ihm zumindest nahe gekommen ist in der Ortschaft West im Osten von Texas. Der Sprecher der Sicherheitsbehörde fühlt sich an den Irak erinnert, der Bürgermeister denkt gar an die Detonation einer Atombombe. Eine gewaltige Explosion hat dort eine Fabrik für Düngemittel zerstört und viele Gebäude und Häuser in der Nachbarschaft auch. Wie viele Menschen dabei ums Leben gekommen sind, das war lange Zeit unklar. Die Meldungen darüber waren sehr unterschiedlich. Über diese Katastrophe und über die andere, die in Boston nämlich und alles, was die USA, die Öffentlichkeit dort, dieser Tage sonst noch beschäftigt, wollen wir jetzt in den kommenden Minuten sprechen mit Charles King Mallory, dem Direktor des Aspen-Instituts in Deutschland. Schönen Guten Tag nach Berlin!

    Charles King Mallory: Guten Tag, Herr Barenberg!

    Barenberg: Herr Mallory, was war Ihr erster Gedanke, nachdem Sie die Meldungen gehört hatten von dieser verheerenden Explosion in Texas?

    Mallory: Es gibt immer wieder Sicherheitsprobleme in diesen Fabriken in diesem Teil des Südens der Vereinigten Staaten. Es gibt einen Korridor am Mississippi entlang für die Verarbeitung von Erdölprodukten, wo es immer wieder Probleme gegeben hat, die mit zu lockeren Sicherheitsvorschriften zu tun haben. Das erste, was mir in den Kopf gekommen ist, ob es nicht vielleicht damit zu tun hatte.

    Barenberg: Sie haben also keinen Gedanken daran gehabt, dass es vielleicht irgendeinen Zusammenhang geben könnte, mit dem, was uns seit zwei Tagen nach dem Anschlag, dem Bombenanschlag in Boston beschäftigt?

    Mallory: Das ist mir ehrlich gestanden nicht in den Kopf gekommen.

    Barenberg: Sondern, dass es vor allem ein Unglück ist, das auf allzu weiche Sicherheitsbestimmungen möglicherweise zurückzuführen ist?

    Mallory: Genau.

    Barenberg: Lassen Sie uns trotzdem sprechen über den Bombenanschlag von Boston und was seitdem passiert ist. Der Terror ist zurückgekehrt in die USA. Als wie groß empfinden Sie die Verunsicherung, die danach eingetreten ist in der amerikanischen Gesellschaft?

    Mallory: Na ja, man hat zehn Jahre lang mehr oder weniger einen Anschlag vermieden und das hat die Bevölkerung ein bisschen eingelullt. Ich glaube, es war vielleicht nicht nötig, aber es war vielleicht zu erwarten, dass es einen Angriff gibt. Allerdings es ist noch nicht klar, von wo es herkommt. Heute wird in den Medien der Vereinigten Staaten ein Video gezeigt von einem weißen Amerikaner, der jetzt gesucht wird, und es sieht aus, dass es vielleicht überhaupt nicht Terror vom Ausland sein könnte, sondern eine Wiederholung von Oklahoma, also eine Inlandsterroraktion sein könnte. Aber es ist alles viel zu früh, um wirklich feste Urteile schließen zu können.

    Barenberg: Es sind ja weit über tausend Fahnder und Ermittler dabei, die Hintergründe zu recherchieren, nach den Tätern zu fahnden und auch damit eben nach dem Motiv. Sie haben von dem Verdächtigen gesprochen, der jetzt auf einer Videoaufnahme aufgetaucht ist. Sie würden also im Moment noch vorsichtig sein, daraus Schlussfolgerungen zu ziehen? Eine Schlussfolgerung könnte ja sein, so wie Sie es angedeutet haben, dass es sich nicht um islamistische Fanatiker handelt, sondern eher um radikale Gegner der Regierung in Washington, also aus dem eigenen Land.

    Mallory: Ja es ist so: Es spricht einiges dafür, einiges dagegen. Die Bombe, die gezündet wurde, das ist ein Modell, das offenbar vorgeführt wurde in einem Schreiben von El Kaida, das auch im Internet abrufbar ist, was natürlich dafür spricht, dass es aus islamistischen Quellen ist. Dagegen spricht diese Videoaufnahme, wenn in der Tat es eine echte Verbindung zwischen dieser Person und der Bombe gibt. Dagegen spricht auch, dass keine Aufnahmen gemacht wurden in Chatrooms, im Internet. Normalerweise nach solchen Angriffen gibt es in islamistischen Kreisen einen Nacheffekt, wo plötzlich die Netzwerke aktiv werden und man gratuliert sich gegenseitig. Das würde dann heißen, wenn es von islamistischem Ursprung war, dass es so ein einsamer Wolf war, ein Alleingänger, nicht irgendeine Konspiration.

    Barenberg: Wie schätzen Sie das insgesamt ein? Wir lesen ja dieser Tage viel darüber, dass insgesamt auch die Gewaltbereitschaft unter Rechtsextremen in den USA in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Wie beunruhigend ist das aus Ihrer Sicht?

    Mallory: Na ja, es ist natürlich in der Tat beunruhigend, wenn es wirklich wieder noch mal einen rechtsextremistischen Terrorakt in den Vereinigten Staaten gegeben hätte, weil dann natürlich ein gewisses Tabu damit gebrochen wurde. Das ist jetzt nicht mehr ein Einzelfall, Oklahoma, wenn es sich herausstellt, dass es von einer Terrorgruppe in den Vereinigten Staaten stammt, einer rechtsextremistischen, sondern es wird vielleicht eine Tendenz und etwas Neues. Und das würde dann bedeuten, dass Gewalt als politische Botschaft oder als politisches Vehikel einen Platz in der Politik in den Vereinigten Staaten plötzlich gefunden hätte, und das wäre natürlich etwas sehr beunruhigendes.

    Barenberg: Die Militärakademie in Westpoint spricht etwa in einer Analyse davon, dass es einen dramatischen Anstieg an Angriffen und Gewalttaten von Personen gegeben hat in den letzten Jahren, die sich selbst mit der extremen Rechten der amerikanischen Politik identifizieren. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Terrorismusforscher des Southern Poverty Law Center in Montgomery im Bundesstaat Alabama. Glauben Sie, dass das auch ein Ausfluss ist dieser politischen Spaltung und der Blockade, die es in den USA, in der Gesellschaft dort, in der politischen, seit einigen Jahren ja zu beobachten gibt, dieser starken Spaltung zwischen Republikanern auf der einen Seite und Demokraten auf der anderen Seite?

    Mallory: Im Endeffekt, glaube ich, muss man auf eine Reihe von Faktoren schauen. Bestimmt ist der unkooperative politische Dialog und die Pattstellung kein positives Phänomen in diesem Zusammenhang. Aber alles auf das zurückzuführen, glaube ich, wäre nicht hinreichend. Man muss ein paar andere Sachen berücksichtigen wie zum Beispiel die wirtschaftliche Lage, die Tatsache, dass wir jetzt zehn Jahre lang Krieg haben und eine Reihe von möglicherweise unzufriedenen Zurückgekehrten aus diesen Kriegen, die die nötige Ausbildung haben, so etwas durchzuführen. Das könnten alles zusätzliche Faktoren sein, die diese Tendenz, wenn sie überhaupt besteht, vielleicht erklären könnten.

    Barenberg: Nehmen wir noch als einen letzten Aspekt, selbst wenn es keine Verbindungslinien gibt, hinzu, dass der Senat jetzt eine Reform des Waffenrechts abgelehnt hat, in wesentlichen Teilen jedenfalls. Es wird keine Überprüfung der Käufer bei Waffenmessen geben, wie das in Aussicht gestellt war. Es wird auch kein Verkaufsverbot für halbautomatische Sturmgewehre geben, kein Verbot für Magazine mit mehr als zehn Schuss Munition. Wie ordnen Sie das in diesem Gesamtkontext der Sicherheitsdiskussion, der Sicherheitsdebatte ein, die jetzt ja auch in den USA beginnt?

    Mallory: Na ja, wenn man von Schusswaffen redet und dann von Bomben, das sind natürlich verschiedene Größenordnungen. Das Verbot von Schusswaffen oder Einschränkungen dort hätte, glaube ich, nichts geändert an der Verfügbarkeit der Materialien für diese Bombe in Boston. Aber was auch völlig vorabsehbar war, ist, dass dieses Vorhaben scheitern würde im Anlauf zu einer Zwischenwahl, wo sämtliche Demokraten, demokratische Senatoren in Staaten, die rot, pro Romney gewählt haben, zur Wiederwahl stehen. Die sind in Deckung gegangen und deswegen ist es im Senat gescheitert. Es war unglücklicherweise voraussehbar und es ist leider bedauerlich, dass es höchst wahrscheinlich noch irgendeine Tragödie geben muss, bevor man kleine Schritte unternimmt, einfach sicherzustellen, dass Leute, die eigentlich in keinem Fall Zugang zu solchen Waffen haben sollten, den nicht bekommen.

    Barenberg: Im Gespräch heute Mittag im Deutschlandfunk Charles King Mallory, der Direktor des Aspen-Instituts in Deutschland. Danke für das Gespräch.

    Mallory: Gerne geschehen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.