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Es werde Farbe!

Johann Joachim Winkelmann war es, der für Europa ganz maßgeblich das klassische Schönheitsideal von "stiller Einfalt und Größe" definierte - festgemacht an römischen Skulpturen, die häufig Kopien griechischer Vorbilder waren. Seit Winkelmann hat eine klassische Skulptur weiß zu sein - farblos jedenfalls. Das aber waren diese Bildwerke keinesfalls immer, wie jetzt eine Ausstellung in den vatikanischen Museen in Rom belegt.

Von Thomas Migge |
    Zur Zeit Winkelmanns und des Bildhauers Canova gab es eine Auseinandersetzung zwischen der philosophischen Idee der weißen Reinheit und der Idee, wonach antike Skulpturen bunt waren. Winkelmann setzte sich durch, obwohl er genau wusste, dass die Polychromie im Altertum existierte und nicht nur diese weiße Farbe.

    Paolo Liverani ist der Kurator ein Ausstellung in den vatikanischen Museen. Unter dem Titel "Die Farbe des Weißen" werden Skulpturen aus der griechischen und römischen Antike gezeigt. Die einzelnen Kunstwerke stammen aus Kopenhagen, aus München und den vatikanischen Museen. Besonders reizvoll für den Ausstellungsbesucher: dem farblosen, oder genauer: nur-weißen Original sind originalgrosse Kopien gegenübergestellt worden, die, so die Archäologen, die an der Vorbereitung der Kunstschau beteiligt waren, ganz anders aussehen: bunt und zum Teil grellfarben. Wie zum Beispiel der Bogenschiesser aus der Münchner Glyptothek, eine griechische Skultpur aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert. Die polychrome Kopie zeigt den Krieger mit einem Kleidungsstück, dass so buntfarben ist, dass es an einen mehrfarbigen Pullover einer bekannten italienischen Modemarke erinnert. Die Farben der Antike? Sie sind verschwunden. Die Jahrhunderte, Wind und Regen haben dafür gesorgt, dass fast nichts mehr an sie erinnert. Nur wenige Ausstellungsstücke zeigen noch deutlich die ehemaligen Farben. Vor allem etruskische Tempelverzierungen zeigen noch ein relativ kräftiges Rot und Schwarz - was damit erklärt werden muss, dass das Volk der Etrusker die Fähigkeit besaß Farben zu mischen, die auch über die Jahrhunderte erstaunlich resistent geblieben sind. In der Regel ist das nicht der Fall und nur mit modernsten Technologien lassen sich die antiken Farben wieder hervorzaubern. Paolo Liverani:

    Es sind vor allem modernste Technologien, die es uns heute ermöglichen, Farbenreste auf den Marmoroberflächen antiker Skulpturen ausfindig zu machen und diese Farben auf diese Weise zu rekonstruieren. Der zwei Jahrhunderte andauernden Diskussion um das Weiß oder die Mehrfarbigkeit dieser Kunstwerke kann man damit den Wind aus den Segeln nehmen. Auch wenn wir in einigen Fällen nicht hundertprozentig eine Farbe definieren können, so erlauben uns die existierenden Techniken, die Präsenz auch kleinster Farbpartikel festzustellen.

    Vor allem der Gebrauch von ultraviolettem Licht erleichtert das Aufspüren von Farbresten, die sich in dem zum Teil porösen Marmor festgesetzt haben und Auskunft über die mögliche Polychromie einer Skulptur geben. Die Suche nach der Farbe führt auch dazu, dass einige der Kunstwerke der Antike neu definiert werden müssen. Wie im Fall der in der Ausstellung zu sehenden Kore von der Akropolis in Athen. Bisher dachte man immer, dass es sich bei dieser Darstellung aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert um ein Mädchen aus dem Volk handelt. Die Entdeckung von Farbenresten auf der Marmoroberfläche enthüllte aber, dass das Mädchen nicht in ein einfaches Peplos gehüllt ist, ein traditionelles griechisches Frauengewand, sondern in ein reich dekoriertes "ependytes", ein asiatisches Kleidungsstück, das ein Zeichen der Macht war. In Griechenland war dieses Kleidungsstück nur Gottheiten und ihren Priestern vorbehalten. Die Kore, so Kunsthistoriker Paolo Liverani, war nicht einfach nur ein Mädchen aus gutem Hause, sondern vielleicht eine Gottheit:

    Wenn wir all unser Wissen zur antiken Polychromie zusammenfassen können wir auch Hypothesen waren. Wir können also Vermutungen über die Farben bestimmter Büsten oder Skulpturen anstellen. Wie im Fall eines behelmten Kriegers aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert. Das heute weisse Original wird wahrscheinlich so farbenfroh gewesen sein, dass es an Figuren aus bestimmte Hollywoodproduktionen erinnert.

    An Filme aus den 50er Jahren, in denen das antike Rom, seine Gebäude und Protagonisten so farbenfroh dargestellt wurden, dass viele Historiker jahrzehntelang von kitschiger Amerikanisierung sprachen. Livrani zufolge muss man dieses Urteil heute in Teilen revidieren. Mit Sicherheit bemalt war ein prächtiger Sarkophag, der gleich zu Beginn der Ausstellung fasziniert. Der Totenschrein aus dem 3. nachchristlichen Jahrhundert ist an zahlreichen Stellen mit Gold bemalt worden. Eine Farbe, die die alten Griechen nicht benutzten und die im römischen Reich erst in der späten Periode in Gebrauch kam und den Reichtum der Auftraggeber von Sarkophagen und Skulpturen unterstreichen sollte.