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"Es werden nicht alle europäischen Staaten am Anfang mitmachen"

Bei der geplanten Finanztransaktionssteuer rechnet SPD-Chef Sigmar Gabriel mit Einnahmen von zunächst nur 25 statt 50 Milliarden Euro für die EU-Länder, weil nicht alle Staaten von Beginn an mitmachen würden. Dennoch sei der Beitrag "substanziell".

Das Gespräch führte Christiane Kaess | 14.06.2012
    Christiane Kaess: Noch bevor der neue französische Staatspräsident Francois Hollande Bundeskanzlerin Angela Merkel in Paris empfangen hat, öffnete er den Élysée-Palast gestern für drei Anwärter auf die SPD-Kanzlerkandidatur. Francois Hollande nimmt damit in Kauf, dass die Ehrerweisung für den früheren Finanzminister Peer Steinbrück, den Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier und den Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel als Affront gegen die Bundeskanzlerin aufgefasst werden könnte – so schrieb es gestern die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Zurück aus Paris und bei uns am Telefon ist jetzt der SPD-Vorsitzende. Guten Morgen, Sigmar Gabriel.

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen, hallo!

    Kaess: Herr Gabriel, bevor wir über die inhaltlichen Punkte des Treffens sprechen, ist es denn Aufgabe der Opposition, gegen die eigene Regierung länderübergreifend Allianzen zu schmieden?

    Gabriel: Also erstens geht es nicht gegen die eigene Regierung, sondern für die Frage, wie werden die Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag abstimmen, denn die Regierung braucht eine Zweidrittelmehrheit für die europäischen Fragen, die jetzt anstehen, und da hat es erstens die Franzosen interessiert, wie wir uns verhalten, zweitens wir umgekehrt, was sie sich vorstellen, und darüber hinaus gibt es natürlich längst in Europa Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Parteien und Frau Merkel hat ja sogar in den Wahlkampf als Bundeskanzlerin zugunsten des französischen Präsidenten Sarkozy eingegriffen. Also da, finde ich, sind wir relativ zahm, und wie gesagt, es ging auch gar nicht um Frau Merkel, sondern um die Frage, was ist jetzt richtig und notwendig in dieser, wie wir finden, doch sehr dramatischen Krise der Europäischen Union.

    Kaess: Und Sie haben quasi François Hollande eine Brücke in die deutsche Politik gebaut?

    Gabriel: Noch mal: Es geht um die Frage, was ist jetzt richtig und notwendig für Europa. Schauen Sie, wir stehen vor der Frage, ob die Euro-Zone bis zum Ende des Jahres eigentlich überhaupt noch hält, ob wir Europa beieinander halten, und da sind solche Fragen sozusagen innerparteilicher oder innernationaler Wahlkämpfe wirklich drittrangig, und deswegen ging es um so was gar nicht.

    Kaess: Aber, Herr Gabriel, es ist Ihnen schon klar, dass François Hollande in erster Linie französische Interessen vertritt?

    Gabriel: Ja sicher, und wir deutsche und gemeinschaftlich europäische. Es ist unvorstellbar, dass wir Europa zusammenhalten, wenn Deutschland und Frankreich nicht gemeinsam nach einem Weg suchen und diesen Weg auch finden, die europäische Krise zu überwinden. Das ist seit Beginn der Europäischen Union so und es ist eben bei der aktuellen Lage in Europa nicht ganz einfach, zuverlässige Wege zu finden, und deswegen macht es Sinn, sich darüber auszutauschen.

    Kaess: Und hat Ihnen jetzt François Hollande Nachhilfe gegeben oder verraten, unter welchen Umständen er den Fiskalpakt unterzeichnen würde?

    Gabriel: Es gibt eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten: das Thema Wachstum und Beschäftigung, das zwingend erforderlich ist, damit wir überhaupt eine Chance haben, Schulden wieder abzubauen. Hier in Deutschland und auch in Frankreich unter Herrn Sarkozy ist ja lange so getan worden, als würde das Zusammenstreichen der Staatshaushalte sozusagen von alleine die Krise lösen. Tatsache ist, dass diese Politik dazu geführt hat, dass die Schulden derzeit steigen, weil die Volkswirtschaften zusammenbrechen, und deswegen brauchen wir nachhaltige Investitionen.

    Kaess: Was meint denn François Hollande genau mit Wachstumsimpulsen? Vielleicht können Sie uns das erklären.

    Gabriel: Ja. Zum Beispiel brauchen wir in Europa Investitionen in Energieeffizienz. Wir verschwenden unglaublich viel Energie in unseren Häusern.

    Kaess: Und woher soll das Geld dafür kommen?

    Gabriel: Jetzt haben Sie mich was gefragt, jetzt versuche ich zu antworten, jetzt kommen Sie mit der nächsten Frage. Aber ich will wenigstens darauf hinweisen, dass das nur ein Teil ist. Ich könnte Ihnen jetzt noch ein paar Minuten was über Wachstumsprogramme erzählen, zum Beispiel im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit.

    Woher kommt das Geld? Das ist der zweite Punkt, wo wir einig sind und seit gestern ja Gott sei Dank auch einig mit Frau Merkel. Das ist die Erhebung einer Besteuerung bei den Finanzmärkten, was auch mehr als gerecht ist, denn ich meine, die spanische Immobilienkrise zeigt, wir müssen jetzt wieder Banken retten, weil sie gezockt haben, und es kann doch nicht sein, dass das immer nur die kleinen Leute bezahlen, sondern da müssen die Finanzmärkte selber zu Beiträge leisten. Seit gestern haben wir nach zweieinhalb Jahren Streit mit Frau Merkel und ihrer Regierung in Deutschland endlich erreicht, dass dazu auch die Bundesregierung Ja sagt. Sie wird sogar, nachdem sie das immer abgelehnt hat, in der kommenden Woche beim Ecofin-Rat den ersten Schritt in Richtung einer Finanzmarktbesteuerung konkret tun, Frankreich wird den mitgehen, das ist gestern eines der Ergebnisse der Gespräche. Und der dritte Punkt ist die Frage, was machen wir eigentlich, um uns aus dem Druck der Finanzmärkte zu befreien. Bankenregulierung, Kapitalmarktregulierung, all das sind Themen, die wir gestern erörtert haben.

    Kaess: Herr Gabriel, ich finde es doch erstaunlich, dass Sie sich bei der Finanzmarktsteuer mit Frankreich auf einer Linie sehen, denn in Frankreich tritt im August eine Finanzmarktsteuer in Kraft, die noch unter Nicolas Sarkozy beschlossen wurde und eigentlich mehr einer Börsensteuer entspricht, wie die FDP sie immer wollte, und nicht dem Modell einer Finanztransaktionssteuer, wie die SPD sie wollte.

    Gabriel: Sie haben zurecht gesagt, sie tritt in Kraft unter dem Vorschlag oder auf Basis des Vorschlags von Herrn Sarkozy. Deswegen wollten wir gestern von den französischen Freunden wissen, ist das jetzt eure Antwort. Antwort: "Nein!", sondern sie werden selbstverständlich die europäische Finanzmarktbesteuerung unterstützen, die Sarkozy abgelehnt hat. Das ist sozusagen alte Politik beim Vorgänger von Herrn Hollande. Die neue wird sein, dass er eine Finanzmarktbesteuerung und übrigens auch eine Finanzmarktregulierung in Europa durchsetzen will.

    Kaess: Und da sind wir schon bei den unterschiedlichen Vorstellungen, die es hier gibt. Vor knapp einer Stunde hat hier im Programm Volker Wissing, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, sinngemäß gesagt, die FDP sei im Grunde gar nicht von ihrer ablehnenden Haltung zur Finanzmarktsteuer abgerückt, sondern habe in erster Linie klar gemacht, dass sie unter den Bedingungen der FDP kaum umsetzbar ist und die Bringschuld liegt jetzt bei Ihnen.

    Gabriel: Ja, was soll Herr Wissing auch für eine andere Ausrede finden. Er hat nun zweieinhalb Jahre mit der FDP sogar in Teilen gegen die CDU, denn Herr Schäuble war relativ früh der Überzeugung, dass wir eine solche Besteuerung brauchen, das alles blockiert, und jetzt gibt es sozusagen die 180-Grad-Wende und dann sagen immer alle, wir waren schon immer dafür. Ich glaube, das, was wir jetzt machen, ist richtig. Wir gehen im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit mit europäischen Nachbarländern auf den Weg der Besteuerung der Finanzmärkte, wir wollen alles dafür tun, dass möglichst wenig Ausweichbewegungen passieren, und die FDP spielt Gott sei Dank bei dieser Frage jetzt nicht mehr die Rolle des Bremsers.

    Kaess: Und wie wollen Sie das umsetzen bei all den Freistellungen zum Beispiel für die Kleinanleger?

    Gabriel: Also erstens geht es darum, dass wir vor allen Dingen die besteuern wollen, die mit Schuld an den Blasen und Spekulationen waren, also beispielsweise Derivatehandel. Da ist nun Gott sei Dank inzwischen die FDP auch auf der Position, dass man das machen muss. Es geht ja nicht darum, die kleinen Pensionsfonds zu besteuern, sondern diejenigen, die mit toxischen Geschäften, mit gefährlichen Geschäften bis heute Milliarden verdienen, und ich glaube, dass die Vorschläge, die die Brüsseler Kommission dazu gemacht hat, außerordentlich gut sind; denn bislang hat die FDP öffentlich erklärt, sie macht maximal eine kleine Besteuerung mit wie in Großbritannien, und jetzt hat sie gestern unterschrieben, dass die sozusagen größtmögliche Besteuerungsgrundlage genutzt werden soll, und zwar den Vorschlag der Europäischen Kommission in Brüssel.

    Kaess: Und das halten Sie für realistisch bei all den Freistellungen, die die FDP verlangt, dass überhaupt noch jemand dann diese Steuer bezahlt?

    Gabriel: Das, was die Brüsseler Kommission für ihren Vorschlag veranschlagt, wären über 50 Milliarden Euro pro Jahr. Was Herr Wissing da erzählt - seien Sie mir nicht böse, aber das ist relativ unbedeutend. Die Vorschläge der Kommission haben ja auch überprüft, welche Ausweichmöglichkeiten es gäbe. Sie kommen also auf über 50 Milliarden. Ich glaube nicht, dass dieser Betrag am Anfang kommen wird, weil die Kommission dort ganz Europa berechnet hat. Es werden nicht alle europäischen Staaten am Anfang mitmachen. Aber schauen Sie, wir reden jetzt über Beträge, die jeweils zusätzlich auf Deutschland zukommen, die zweistellige Milliardenbeträge sind. Ich finde, wenn wir am Anfang mit der Hälfte dessen starten können, was die Kommission dort in Aussicht gestellt hat, dann ist das ein wirklich substanzieller Beitrag.

    Kaess: ... sagt der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Gabriel.

    Gabriel: Bitte!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.