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"Es wird immer schwieriger, sich ein Bild von Robert Enke zu machen"

Der Suizid von Robert Enke und seine Hintergründe hat viele Menschen sehr bewegt, zugleich hat die Berichterstattung über den Tod Enkes in Ausmaß und Art und Weise eine bisher unbekannte Dimension angenommen. Der Philosoph und Sportsoziologe Professor Gunter Gebauer von der Freien Universität Berlin kritisiert in diesem Zusammenhang bestimmte Formen der medialen Auseinandersetzung - warnt davor, dass das Trauerspektakel zu einer abermaligen Verklärung von Robert Enke führen kann.

Gunter Gebauer im Gespräch mit Jessica Sturmberg | 15.11.2009
    Jessica Sturmberg: Herr Professor Gebauer, ist das Ganze noch Trauer oder hat das Ausmaße eines Spektakels angenommen?

    Gunter Gebauer: Ich glaube beides. es ist unverkennbar, dass die Familie, die Fans, alle die, die Robert Enke nahegestanden haben, echte Trauer zeigen. Etwas anderes kann man sich auch gar nicht vorstellen in dieser Situation auch angesichts dieses Todes. Aber man sieht, dass sehr viele Leute sozusagen auf den Trauerzug aufgesprungen sind und Trauer vielleicht oberflächlich empfinden, aber doch in erster Linie ein bestimmtes Medieninteresse an einer Verbreitung, einer Öffentlichkeit haben und in irgendeiner Weise von dem Ereignis auch profitieren.

    Sturmberg: Was bedeutet das für die Person Robert Enkes, für das Bild, was wir von Robert Enke jetzt posthum zeichnen?

    Gebauer: Ich glaube jetzt wird immer schwieriger, sich überhaupt ein Bild von ihm zu machen, denn wir hatten vorher ein Bild von ihm als einen verlässlichen Torwart mit Gesundheitsproblemen. Ein Torwart, der eine Karriere hinbekommen hat, nachdem er sehr viele Schwierigkeiten zu lösen hatte. Einen tragischen Tod eines kleinen Kindes hinnehmen musste und in irgendeiner Weise auch mit dem psychisch fertig werden musste und der dann zu einem sehr verlässlichen, exzellenten Torwart seines Vereins und schließlich der deutschen Nationalmannschaft geworden ist. Das war dann eigentlich relativ klar, was das für ein Bild ergab, aber nun sehen wir, dass dieses Bild offenbar nur eine Fassade war und nun wird die Sache sehr, sehr unklar, was man mit der Person Robert Enkes noch verbinden kann. Wir wissen, es ist zum großen Teil eine Fassade aufgebaut worden. Hinter diese Fassade können wir praktisch gar nicht schauen. Wir wissen nur, dass da sehr viel Schreckliches sich abgespielt hat. Wir können jetzt kaum noch die Bilder aus der Vergangenheit so betrachten wie wir sie damals, als wir sie zum ersten Mal gesehen haben, betrachtet haben. Wir erhalten so viel Informationen über ihn und seinen Hintergrund, dass er uns völlig entgeht und ich denke, je mehr Robert Enke zu einer öffentlichen Person auch als psychisch Kranker wird, mit seinen ganzen inneren Untergrund und Hintergrund, desto unklarer wird er uns eigentlich.

    Sturmberg: Inwieweit verklären wir ihn damit?

    Gebauer: Also ich glaube er ist in dem Moment, wo er aus dem Leben geschieden ist, mit diesem schrecklichen Tod, verklärt worden weit über die Verklärung, die vorher mit ihm stattgefunden hatte, hinaus. Er ist ja als ein Nationalspieler und ein sehr guter Torwart bis großartiger Torwart verklärt worden durch seine Fans. Das geschieht automatisch im Geschäft des Spitzensports. Das sind fast religiöse Automatismen und Mechanismen, die da greifen. Das heißt, ein großer Sportler wird in den Rang eines quasi Heiligen emporgehoben, er wird uns entfernt in eine Welt der Größe, des Übermenschentums, damit wird ihm gleichzeitig unterstellt, dass er nahezu unfehlbar ist, dass er geradezu über den Wolken schwebt, dass er aus dem Alltagsleben entfernt ist. Das ist das eine. Dieses Bild gekippt und plötzlich kommt dahinter ein ganz anderes Bild zum Vorschein als gequälten, sich selbst zerstörenden Menschen, der jetzt aber wiederum als Exempel eines Leidensmannes geradezu exemplarisch verklärt wird.

    Sturmberg: Wir haben inzwischen eine Situation mit der Berichterstattung in dieser Woche und auch mit der Trauerfeier, die eine sehr große Dimension angenommen hat, eine der größten in der Geschichte der Bundesrepublik, dass wir davon sprechen können, dass wir eine Unverhältnismäßigkeit haben von dem Ereignis und seiner Gewichtung. Wie erklären Sie sich das?

    Gebauer: Ich glaube, wenn ein Sportler auf der Höhe seines Ruhms mit der Leistungsfähigkeit, die er hatte und der Präsenz, der körperlichen Präsenz auf den Bildern, die wir von ihm haben, vorgestellt wird als zerstückelter Athlet, hat das etwas unglaublich Pathetisches und schließlich glaube ich, gibt es so etwas wie einen Medienwettbewerb darum, wer am meisten über ihn berichtet und wer am tiefsten in seine Hintergründe einsteigen kann, wer am meisten live von den verschiedenen Trauerkundgebungen, der Person um ihn herum mitbekommt. Ich fand zum Beispiel bei der Übertragung die Kamera extrem indiskret. Sie war ständig auf das Gesicht von Teresa Enke gerichtet, ständig wurde in den Augen der Umsitzenden gesucht. Es war ein spekulatives Interesse so etwas wie Tränen zu erhaschen, einen Zusammenbruch einer Person möglichst abzupassen oder Ähnliches. Also ich fand diese Art des Voyeurismus, des öffentlichen Kameraauges eigentlich unerträglich.

    Sturmberg: Oftmals werden Sportler, Spitzensportler, die bestimmte Dinge erreicht haben, sei es eine Goldmedaille errungen haben, einen Titel errungen haben, sie werden zu Helden stilisiert, auch von uns Medien. Was bedeutet das aber im Umkehrschluss für die jeweilige Person, wenn sie einen Heldenstatus erlangt, dem sie möglicherweise mit ihrer Persönlichkeit gar nicht gerecht werden kann?

    Gebauer: Ja, ich glaube, das ist das große Problem. Ein junger Athlet, nehmen wir an, jemand, der zwischen zehn und 15 Jahre alt ist, ob Mann oder Frau, Junge oder Mädchen, wünscht sich nichts sehnlicheres als an der Stelle eines verehrten Helden zu stehen und nun geschieht es tatsächlich einigen, dass sie diesen Ruhm auch tatsächlich erreichen, eine ungeheure Leistungsfähigkeit für sich erringen und plötzlich im Mittelpunkt des Medieninteresses stehen. Das heißt sie haben den Platz, den sie haben wollten. Ich glaube, die meisten jungen Leute, die im Sport sind, wollen diesen Ruhm, streben danach, eine solche Figur zu werden und nun bricht das öffentliche Interesse über sie herein. Über sie werden Dinge geschrieben, die sie im Grunde genommen wie ungedeckte Schecks empfinden müssen, das heißt, es werden Erwartungen geschürt. Man kann es sehr schön sehen in einer Biographie von Sebastian Deisler – mit 19 bereits im Lichte der Öffentlichkeit als der beste Nachwuchsspieler Deutschlands seit Beckenbauers Zeiten. Das heißt, es werden mit einem Schlag ungeheure Erwartungen erweckt, ein Bild gezeichnet von einem Sportler, das mit der Person selber gar nichts zu tun hat und er wird katapultiert in einen Bereich, in dem er sich vorher gar nicht ausgekannt hat. Das heißt, er ist plötzlich Prominenter, er ist VIP, er wird eingeladen, die jungen Leute stehen Schlange. Jungs als Spitzensportler werden plötzlich von den Mädchen begehrt auf eine unglaubliche Weise, sie werden überall erkannt, jeder spricht sie an. Sie haben eine Lebensweise, die plötzlich etwas ganz anderes darstellt als das, was sie vorher hatten. Und sie schlüpfen dann hinter eine öffentliche Person im Sinne einer öffentlichen Maske, die sie noch gar nicht ausfüllen können und die sie vielleicht nie ausfüllen werden. Und es ist überhaupt nicht ausgemacht, dass das, was öffentlich über sie erzählt wird, das Bild, das öffentlich gezeichnet wird von ihnen, von diesen Sportlern in irgendeiner Weise erfüllt werden kann. Dieser Zwischenraum, der da ist, zwischen öffentlichem Bild und der eigentlichen Persönlichkeit, das ist etwas, was vielen Spitzensportlern zu schaffen macht.

    Sturmberg: Gerade das Beispiel Sebastian Deisler ist insofern auch sehr prekär, als dass er in seinem Buch offenbart, wie stark der Unterschied war zwischen der Verehrung, der Erhöhung seiner Person, als er noch zum Beispiel bei Hertha BSC gespielt hat, welchen Heldenstatus man ihm dort verliehen hat und dann ab dem Moment, wo klar war, dass er zum FC Bayern München wechseln wird, in dem Moment das ganze Bild sich ins absolute Gegenteil verkehrt hat. das war ein Knackpunkt in seiner Laufbahn, das heißt, mit anderen Worten die Sportler haben auch ein echtes Problem damit, diesen Zwischenraum, diese Lücke die Sie beschrieben haben, sinnvoll zu füllen und gerade dann, wenn sie auch besonders sensibel sind.

    Gebauer: Ja, und dazu kommt, das zeigt ja gerade das Beispiel Deislers, dass diese Bilder kippen können. Der, der an einem Tag der große Held ist, kann am nächsten Tag niedergeschlagen werden, kann wie ein Idol, wie ein Götzenstandbild niedergeschlagen werden, in tausend Scherben zerspringen und dann bleibt nichts mehr übrig. Dann wird nur noch Zerstörungsarbeit geleistet wie es Deisler auch in Berlin durch die dortige Presse erfahren hat. Mit einem Schlag muss jemand ansehen, dass das, was er meinte zu sein, was sein öffentliches Bild war, in Scherben vor ihm liegt und plötzlich hat er nichts mehr. Er hat nur noch das Bild eines öffentlich gedemütigten Sportlers, einer Unperson, eines Gegenbildes. Das ist das Interessante bei diesem Heldenbildern, die springen um von den positiven, großen Verklärungsbildern in das Gegenteil des gemeinen, widerlichen Antihelden, der im Grunde genommen jetzt von jedermann niedergemacht werden kann.

    Sturmberg: Was können wir dann aus dem Fall Enke lernen? Zum einen wie sollte sich der Sportler verhalten, welche Lehren sollten die Sportler für sich ziehen und welche Lehren sollte die Öffentlichkeit, insbesondere die Medien daraus ziehen?

    Gebauer: Es ist ja viel die Rede davon, was man jetzt alles machen kann. Eben man könnte darauf hinweisen, dass wir es im Spitzensport mit einem System zu tun haben das für Menschlichkeit eigentlich keinen Platz hat und ich denke, diese Analyse muss man auch einigermaßen erbarmungslos zu Ende führen, d.h. der Spitzensport rechnet mit Personen, die unzerstörbar und unbesiegbar sind. Wenn sie Schwächen zeigen, kann der Gegner in diese Schwächen gehen und sie ausnutzen und seinerseits gewinnen, das heißt, wir haben es immer mit dem Kampf zweier Kräfte zu tun, bei dem die schwächere Kraft immer unterliegt. Und das ist so etwas wie ein Grundgesetz im Sport, das ist auch das, was das Publikum haben möchte, das ist das, was ergötzt, was unterhält und was uns so schön vorkommt im Sport, so interessant. Einen schwachen Sport, einen Sport zwischen Menschen, die irgendwie unsicher sind, die ihrer eigenen Sache nicht sicher sind und von vorneherein auf den Platz kommen als Opfer, als diejenigen, die unterliegen werden, interessiert keinen Mensch. Das muss man im Auge haben, wenn man gute Lehren erteilen will. Es ist sehr schön, wenn man Menschlichkeit einfordert. Theo Zwanziger hat das auf eine sehr eindrucksvolle Weise gemacht. Das ist richtig, aber was passiert hinterher? Champions League-Spiele werden stattfinden, bei denen die schwächeren Mannschaften weggefegt werden und kaum noch Geld verdienen, die stärkeren Mannschaften verdienen unverhältnismäßig viel Geld. Die sehr guten Spieler stehen im Mittelpunkt der Öffentlichkeit, verdienen noch mehr Geld. Das ist ein ganzes System, was im Grunde genommen nur über Stärke definiert ist und zwar so, dass die Stärke die Schwäche besiegt. Da kann man jetzt nicht einfach sagen, wir sind einfach ein bisschen menschlicher. Ich glaube auch nicht, dass wir mit etwas Menschlichkeit hier Änderungen erreichen können, weil das große Publikum und man kann sich da ruhig auch mit einschließen, erwartet natürlich spannende Kämpfe und großartige Finals und so weiter. Also wir kriegen hier keine einfache Lehre hin, sondern wir können einfach nur sagen, das ist ein System, mit dem wir uns unterhalten lassen, das zwangsläufig auch unmenschliche Züge hat und nun müssen wir entscheiden, wollen wir uns das antun? Wollen wir das sehen? Wollen wir das rücksichtslos weiterverfolgen? Oder wollen wir auf der anderen Seite sagen, unsere Mannschaften mit den Spielern, die wir mögen, haben verloren. Sie haben Schwäche gezeigt. Sie sind jetzt vielleicht unserem Herzen etwas näher. Das heißt, es müsste so etwas geben wie ein Gefühl für die Unterlegenen. Die Unterlegenen dürfen nicht mit Schimpf und Schande bedacht werden. Sie müssen aufgenommen werden, aufgebaut werden, wohl wissend, dass sie bei der nächsten Gelegenheit, sich keine große Schwäche mehr leisten können.

    Sturmberg: Dreht sich das Rad Ihrer Ansicht nach jetzt weiter ungeachtet dessen, was wir in der vergangenen Woche erlebt haben oder hat sich das System möglicherweise irgendwann auch selbst überlebt?

    Gebauer: Das glaube ich nicht. Es funktioniert ja im Augenblick ganz vorzüglich. Man kann dann im Laufe der Zeit vermutlich sagen solche Leute wie Robert Enke sind die Opfer eines solchen Systems, damit das so gut funktionieren kann. Jedes sehr gut funktionierende System, das auf Hochleistung basiert, siehe auch die Wirtschaft, produziert auch gleichzeitig Opfer. Jedes Mal, wenn so etwas passiert, halten die Leute inne. Auch diejenigen, die mit zu den Schuldigen gehören, klopfen sich an die Brust, senken die Stirn, den Kopf und versprechen, dass sie in sich gehen. Ich habe keinen Zweifel, dass das bei den Beteiligten, Betroffenen und vielleicht auch Schuldigen so etwas wie ein Trauerreflex auslöst, auch wirklich eine Betroffenheit. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Betroffenheit lange Zeit andauert. ich würde mal vorhersagen, dass in 14 Tagen, spätestens drei Wochen die Sache fast vergessen worden ist.

    Sturmberg: Einschätzungen von Professor Gunter Gebauer, ganz herzlichen Dank!