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"Es wird jeden Tag schlimmer"

Nach Ansicht von Ingolfur Bjarni Sigfusson haben die Isländer das Vertrauen in die Regierung verloren. Die Menschen gingen auf die Straße, weil die Krise seit Monaten andauere und die Lage sich von Tag zu Tag verschlimmere, sagte der Journalist vom isländischen Reichsrundfunk.

Ingolfur Bjarni Sigfusson im Gespräch mit Elke Durak |
    "Wollt ihr, dass die Chefs der Zentralbank zurücktreten? Wollt ihr, dass die Regierung zurücktritt? Wollt ihr Neuwahlen? Wollt ihr, dass diese Clique verschwindet?"

    Elke Durak: Das war im Dezember, Proteste von Isländern, aufgebrachte Isländer. Sie haben ihre Regierung für die Bankenkrise im Lande und deren Folgen verantwortlich gemacht. Wir erinnern uns: Im Oktober war der Bankensektor in Island wegen der Kreditkrise zusammengebrochen. Drei Häuser wurden verstaatlicht, ein Staatsbankrott wurde nur durch einen Milliardenkredit des IWF und der skandinavischen Länder abgewendet. Inzwischen haben die Proteste an Intensität und auch Gewaltbereitschaft zugenommen. Regierungsmitglieder sind auf ihrem Weg ins Parlament direkt angegriffen worden. Politisch sind Neuwahlen im Gespräch. - Wir sind mit Ingolfur Sigfusson verbunden, dem Leiter der Auslandsnachrichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Island. Guten Morgen, Herr Sigfusson!

    Ingolfur Bjarni Sigfusson: Guten Morgen!

    Durak: Bei den Protesten in den vergangenen Tagen hat ja die Polizei sogar Tränengas eingesetzt. Ich glaube, auch ein Polizist ist verletzt worden. Wer protestiert denn da fast täglich? Was sind das für Leute?

    Bjarn Sigfusson: Ich würde sagen, die allgemeine Bevölkerung. Es gibt eigentlich zwei Gruppen. Die eine Gruppe ist einfach eine Durchschnittsgruppe aus normalen Bürgern. Die trifft sich seit ein paar Tagen vormittags vor dem Parlament und fängt da an zu protestieren. Die bringen Töpfe und alles, was Lärm macht, mit und machen einen höllischen Krach vor dem Parlament und fordern Neuwahlen. Die rufen, die Regierung hat versagt oder die Regierung hat unser Vertrauen nicht mehr. Diese Leute bleiben so bis zehn Uhr abends, 22 Uhr. Zwischen 22 Uhr und Mitternacht taucht dann eine andere Truppe auf, eine Mischung aus Jugendlichen, hauptsächlich Jugendlichen und Anarchisten. Die wollen dann - und das kennen wahrscheinlich Deutsche auch sehr gut - einfach Krach, die wollen Schlägereien. Das haben sie auch die Nacht von Dienstag auf Mittwoch und Mittwoch auf Donnerstag bekommen und die Polizei hat dann am Ende Tränengas eingesetzt. Allerdings heute Nacht war es dann doch ruhig. Der eine Grund ist wahrscheinlich, weil es gestürmt hat, und der zweite Grund ist, dass die friedliche Protestbewegung sich vor die Polizei gestellt hat und eigentlich zwischen die Polizei und den Anarchisten und hat damit eigentlich für Ruhe gesorgt.

    Durak: Diese Empörung und wie sie sich entlädt, ist ja für Ihr Land ungewöhnlich. Wovor hat man konkret Angst, dass man sich so auf die Straße bewegt?

    Bjarn Sigfusson: Ja. Es braucht wirklich viel, damit die Isländer auf die Straße gehen. Eigentlich sind wir ein wahrscheinlich eigentlich viel zu friedliches Volk. Man lässt sich hier einiges über sich ergehen. Allerdings die Proteste finden seit Monaten jeden Samstag statt, eine kleine friedliche Demo vor dem Parlament. Wir haben den Aufruf vor dem Interview gehört. Seit Monaten herrscht ja die Krise. Es wird jeden Tag schlimmer. Die Arbeitslosigkeit steigt jeden Tag. Die Preise gehen in die Höhe, die Inflation geht in die Höhe und die Leute verlieren nicht nur das Vertrauen in die Regierung, sondern einfach das Vertrauen, dass wir irgendwie weitermachen können, dass wir aus dieser Krise, aus diesem Problem irgendwie rauskommen. Und seit vier Monaten sagt die Regierung, wir selber müssen an diesen Problemen arbeiten. Es ist wichtig, dass wir dran bleiben. Mittlerweile hat die Bevölkerung das Gefühl, dass die Regierung hauptsächlich daran arbeitet, die Banken zu retten und danach einige Großfirmen und dann die isländischen Milliardäre, und dass die Probleme der Familien dann doch irgendwie weniger wichtig sind.

    Durak: Herr Sigfusson, selbst wenn es zu Neuwahlen in diesem Jahr käme, könnte es sein, dass die Bevölkerung weiter mit den Füßen abstimmt und Island einfach verlässt?

    Bjarn Sigfusson: Auf jeden Fall, und das sehen wir auch. Ich meine, die Frachtschiffe sind voll von Möbeln und Eigentum von Menschen, die einfach das Land verlassen in Richtung Norwegen, in Richtung Deutschland, in Richtung Kanada, in alle Richtungen. Vor allem scheinen es relativ junge, gut ausgebildete Menschen zu sein, also doch diejenigen, die das von den Protestanten geforderte neue Island aufbauen müssten. Das wird schon ein Problem und das ist auch allen klar. Auch wenn es Neuwahlen geben würde - und wir rechnen jetzt im Frühjahr damit -, das ist natürlich auch keine Lösung. Nur die Leute vertrauen nicht mehr den Politikern und wollen einfach neue.

    Durak: Aus der Finanzkrise ist eine politische Krise geworden, Herr Sigfusson. Sie sind ja als Leiter der Auslandsnachrichten beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Island auch mit der ganzen Welt beschäftigt. Könnte das, was jetzt in Ihrer Hauptstadt, in Reykjavík sich abgespielt hat und weiter abspielt, so etwas wie ein Zeichen für andere Länder sein, in denen gesellschaftliche Radikalisierungen sehr viel häufiger und schneller an der Tagesordnung sind?

    Bjarn Sigfusson: Das könnte durchaus ein Zeichen sein. Man muss allerdings dazu sagen, dass Island dann doch etwas tiefer in der Krise steckt als andere Länder. Wahrscheinlich auch ein Teil der Wut der Menschen ist die Tatsache, dass Experten meinen, selbst ohne die internationale Finanzkrise hätte es hier oben eine Krise gegeben, weil die isländischen Banken, die sehr im Ausland tätig waren, einfach zu groß geworden waren und man hat hier ein sehr riskantes Spiel gespielt und das wäre dann doch irgendwie geplatzt, selbst ohne die Finanzkrise. Ob es dann doch ein Zeichen ist, muss man abwarten, aber es würde mich trotzdem nicht überraschen.

    Durak: Ingolfur Sigfusson, Leiter der Auslandsnachrichten des Reichsrundfunks in Island - so heißt er richtig -, sozusagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für unsere Hörer übersetzt.

    Bjarn Sigfusson: Stimmt, ein sehr angenehmer Titel.

    Durak: Herr Sigfusson, ich bedanke mich für das Gespräch. Grüße nach Reykjavík.