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"Es wird keine Lösung geben ohne die Taliban"

Susanne Koelbl, Afghanistan-erfahrene "Spiegel"-Journalistin, glaubt, dass ein Stabilisierung des Landes nur in Zusammenarbeit mit den Taliban funktionieren kann. Sie müssten versöhnt werden. Mehr Truppen gäben den Afghanen nicht die Sicherheit, die sie suchten - und die sie regional teilweise von den Taliban bekämen.

Susanne Koelbl im Gespräch mit Elke Durak |
    Elke Durak: Afghanistan ist nicht zu gewinnen, jedenfalls nicht militärisch. Davon ist der ehemalige Oberkommandierende der NATO in Europa Jones überzeugt. Das ist er immer noch, auch jetzt als Sicherheitsberater der neuen amerikanischen Regierung. Richard Holbrooke ist seit gestern im Auftrag der US-Regierung in Afghanistan, hat sich auch nicht durch die Anschläge mitten in Kabul auf Regierungseinrichtungen abschrecken lassen. Er gilt als hart bei Verhandlungen - siehe Balkan -, und er sagt, so ein Chaos wie dieses habe er noch nie erlebt. Die USA verstärken den Druck auf den Präsidenten Hamid Karsai. Der wehrt sich. Er sucht Kontakt zu Russland, zur gemäßigten Taliban, wirft westlichen Soldaten verletzendes Verhalten vor und kämpft gegen den Eindruck und auch gegen Vorwürfe, seine Regierung könne und wolle nichts beziehungsweise zu wenig gegen Korruption und Drogensucht tun. Aber: Afghanistan ist vielleicht anders zu gewinnen. – Ich möchte jetzt darüber mit der Journalistin Susanne Koelbl vom "Spiegel" sprechen, die oft in Afghanistan war, sich dort auskennt, Kontakte auch in die afghanische Regierung hinein hat. Guten Morgen, Frau Koelbl.

    Susanne Koelbl: Guten Morgen, Frau Durak.

    Durak: Die Anschläge auf diese Regierungsgebäude in Kabul, da fragt man sich, wer hat eigentlich die Macht in Afghanistan. Wie sehen Sie das?

    Koelbl: Die Macht in Afghanistan ist sicherlich verteilt auf viele Schultern. Es gibt kein Machtzentrum, es gibt Machtzentren. Es ist ein fragiles Machtgefüge und jeder kämpft um seinen Anteil. Häufig ist es auch nicht einfach zu erkennen, wer die Macht wo hat. Ich würde sagen, es ist sehr regional und sehr lokal, wer wo die Macht hat.

    Durak: Das heißt, Präsident Karsai spielt eine untergeordnete Rolle in der afghanischen Gesellschaft?

    Koelbl: Das glaube ich nicht. Er ist sicherlich nicht der Herrscher über alle Bereiche. Er sitzt in seinem Palast, den er kaum verlässt, aus Sicherheitsgründen. Er ist allerdings ein in vieler Hinsicht einflussreicher Mann, dort wo wir es manchmal nicht sehen und auch im Detail gar nicht erkennen können. Die Menschen kommen zu ihm, er erhält sehr viel Besuch. Das sind sicherlich gefilterte Wahrnehmungen, die er dort erhält, aber er hat durchaus die Möglichkeit, Gouverneure, Polizeipräsidenten handverlesen einzusetzen. Das ist durchaus ein gutes Stück Macht in diesem Land, Posten zu vergeben und damit auch Mittel zu vergeben.
    Karsai ist nicht so machtlos, wie er manchmal scheint. Er ist natürlich machtlos in vielerlei Hinsicht, wenn es darum geht, dass das Geld hineinkommt, wohin das Geld genau kommt. Er ist auch machtlos manchmal, wenn es um die Militäroperationen geht. Dabei ist er allerdings durchaus auch beteiligt. Es ist nicht so, dass der General McKiernan, der dort die Operationen führt, der Chef von ISAF ist und auch Chef der US-Kräfte dort ist, dass McKiernan dieses nicht mit ihm absprechen würde. Karsai ist sehr beteiligt. Allerdings ganz klar: Er ist abhängig von den USA und seinen Verbündeten und die würden umgekehrt auch nicht einem Kurs folgen, von dem sie nicht überzeugt sind.

    Durak: Ihre Antwort wirft bei mir wieder viele Fragen auf, zum einen die, doch noch mal nachzufragen, Frau Koelbl; wir haben oft gehört, die Warlords hätten in den Regionen sozusagen die Macht, das Sagen, und der Präsident sei völlig abgeschnitten. Sie schildern es jetzt anders. Wie ist das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und den Regionalfürsten?

    Koelbl: Sehr unterschiedlich. Es gibt dort welche, die er selbst eingesetzt hat. Insofern ist dieses Verhältnis ausgesprochen gut. Es gibt auch welche, die dort sind, weil die jeweiligen Nationen, die dort die Operationen führen, wie beispielsweise die Briten in Helmand, einen anderen Gouverneur wünschten, als er ihn wünschte. Das heißt, dass er den Einfluss auf diese Person mehr oder weniger verliert. Es gibt aber auch viele so genannte Warlords, auf die er überhaupt keinen Einfluss hat, weil sie unter dem Schutz oder dem Protektorat einer anderen Macht stehen, zum Beispiel der berüchtigte General Dostum. Es ist nicht so, dass man dieses verallgemeinern kann. Afghanistan ist ein sehr buntes Feld.

    Durak: Und die Bevölkerung in Afghanistan richtet sich eher nach ihren regionalen Herrschern, oder nach der Zentralregierung in Kabul?

    Koelbl: Ich würde ganz eindeutig sagen: Politik ist lokal in Afghanistan. Die Menschen suchen Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit und das ist meistens in erster Linie von denen zu bekommen, die vor Ort sind. Das können manchmal die lokalen Herrscher sein, das sind manchmal die Gouverneure, das sind manchmal die Taliban. Die Menschen möchten leben und sie möchten überleben, und das ist ihr allererstes Ziel.

    Durak: Und wem trauen Sie zu, der ihnen dieses Leben ermöglicht? Der Regierung in Kabul, den Regionalfürsten, den internationalen Truppen, oder den Taliban?

    Koelbl: Was die Lage in Afghanistan so schwierig macht ist, wie wir gerade schon festgestellt haben, dass es überall anders ist. Schauen Sie, im Norden beispielsweise, wo die Deutschen sind, die dort relative Stabilität haben – das liegt vor allen Dingen daran, dass es eben ein Gebiet ist, in dem vor allen Dingen Tadschiken und Usbeken leben und keine Paschtunen - die die Mehrheit der Taliban stellen -, dort zum Beispiel schaffen es Gouverneure durchaus, so was wie Rechtsstaatlichkeit herzustellen. Man möchte es sich nicht ganz genau ansehen, wie diese Rechtsstaatlichkeit zu Stande gekommen ist, aber dort gibt es Stabilität und Sicherheit. Es gibt andere Regionen wie Helmand; dort regieren Drogenbarone, Kidnapping-Banden, Al-Qaida und die Taliban. Mit Stabilität hat das nichts zu tun, aber es ist so, dass ein Taliban-Fürst durchaus einem Dorf Überlebensgarantien geben kann. Es ist sehr lokal und das macht es auch für einen Unterhändler wie Holbrooke sehr, sehr schwierig.

    Durak: Weil er zentral agieren will. – Hat der Westen überhaupt noch etwas verloren in Afghanistan, Frau Koelbl?

    Koelbl: Eine schwierige Frage. Der Westen kann im Moment nicht raus. Ich glaube, es ist ein bisschen wie damals mit dem Irak, als der ehemalige Außenminister der USA gesagt hat, if you break it, it's yours, und so ist es auch mit Afghanistan. Wir haben uns Afghanistan eingebrockt und jetzt müssen wir irgendetwas tun, damit die Menschen dort Stabilität in irgendeiner Form erhalten. Mit welchem Preis das kommt, das weiß man jetzt im Moment nicht. Ich glaube, es wird keine Lösung geben ohne die Taliban. Die Taliban sind auch nicht nur Extremisten. Das ist ein regionales Feld, das muss man sich sehr genau angucken. Die Taliban müssen versöhnt werden, dort wo man sie versöhnen kann. Das ist nicht schön für uns und vielleicht ist das Ergebnis auch nicht schön für uns, aber das ist wohl der einzige politische Weg.

    Durak: Eines hatten wir noch ausgeklammert: das Verhältnis der USA zu ihrem Problem Afghanistan und auch zu Karsai. Man macht jetzt sehr viel mehr Druck auf ihn aus Washington. Holbrooke ist ein Beispiel dafür, aber auch Obama hat Karsai gerade eben vorgeworfen, er hätte zu wenig Verbindung zu seinem eigenen Volk. Karsai wehrt sich. Ist es aus Ihrer Sicht richtig, wenn die USA ihre Truppen erheblich verstärken wollen in Afghanistan, um so das Problem vielleicht doch lösen zu wollen?

    Koelbl: Ich glaube nicht, dass insgesamt eine große Menge von Truppen das Problem von Afghanistan löst. Ich bin aber nicht gegen zusätzliche Truppen, dort wo sie benötigt werden, dass wiederum ISAF oder wer auch immer sonst die Operation, die sie dort fortführen müssen, auch fortführen können. Ich glaube nicht, dass Truppen generell das Problem lösen, aber es gibt sicherlich hier und da Bedarf. Vielleicht kann man in bestimmten Regionen Sicherheit herstellen und wie ich vorher schon sagte: Sicherheit ist das, was die Menschen am aller-, allerersten und vordringlichsten benötigen, und dann ist vielleicht hier und dort auch wieder Vertrauen zu gewinnen. Aber Truppen allein sind ganz bestimmt nicht die Lösung in Afghanistan.

    Durak: Das ursprüngliche Ziel dieses Kampfeinsatzes und des Einsatzes internationaler Truppen war ja mal, gegen den Terror zu kämpfen, gegen Al-Qaida. Das ist doch längst verloren gegangen. Ist das nicht ein ganz normaler Bürgerkrieg, in den sich der Westen einmischt?

    Koelbl: Ein Bürgerkrieg ist das noch nicht. Vielleicht ist das auch ein Verdienst von Karsai, dass ihm gelungen ist, durch diese, vielleicht von außen betrachtet etwas windelweiche Politik des Ausgleichs, genau dieses nicht entstehen zu lassen. Es gab diesen Bürgerkrieg, die Taliban und die Nordallianz haben sich lange feindlich gegenübergestanden und die Taliban haben zu 95 Prozent des Landes territorial gewonnen gehabt. Das ist im Moment kein Bürgerkrieg, aber der Terror und Al-Qaida haben sich dort eher festgesetzt, als dass wir sie los geworden wären. In Helmand beispielsweise, das, wie der Außenminister Spanta neulich sagte, eine entstaatlichte Region ist, können Al-Qaida-Ausbildungslager, Taliban-Ausbildungslager einfach ihren Geschäften nachgehen, ohne dass irgendjemand sie noch kontrolliert. Das ist deutlich mehr Terror, als es vorher gewesen ist. Vielleicht ist er regional hier und da mal gewandert. Die Stammesgebiete zwischen Afghanistan und Pakistan und Helmand sind momentan sicherlich das Zentrum des Terrors auf der Welt.

    Durak: Susanne Koelbl, Journalistin vom "Spiegel". Frau Koelbl, danke für das Gespräch.

    Koelbl: Sehr gerne.