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Es wird wieder gegenständlich

Christoph Tannerts Band New German Painting, der nun im Prestel Verlag erschienen ist, überrascht jedenfalls mit einer lebendigen, erstaunlich breiten Malerszene. Sie übertrifft bei weitem den Eindruck, den man während der vergangenen drei, vier Jahre in verschiedenen Ausstellungen gewonnen hat, beispielsweise im Frankfurter Kunstverein und in der Schirn. Dort schien ein zart keimendes Pflänzchen junger, überwiegend figurativer Malerei ausgegraben, das vom Publikum seither warmherzig betrachtet und von der Kritik hoffnungsfroh umhegt wurde. Tatsächlich aber gedeiht dieser mediale Purismus üppig und in erfreulicher Vielfalt: Je subtiler die Möglichkeiten geworden sind unsere Wahrnehmungsfähigkeit zu manipulieren, desto stärker ist offenbar das Bedürfnis nach einer rein malerischen Dimension auf Keilrahmen und Leinwand gewachsen.

Von Martina Wehlte | 18.10.2006
    Christoph Tannert, Kurator, Kunstkritiker und Leiter des Künstlerhauses Bethanien in Berlin, stellt in seinem Buch dreißig Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland vor, die durchaus bekannt sind, deren Positionen aber bisher nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit standen. Sie alle sind Mitte dreißig bis Mitte vierzig Jahre alt, und Christoph Tannert hat ihren Werdegang über Jahre hin mitverfolgt. Er kennt sie persönlich von zahlreichen Atelierbesuchen und Gesprächen. Das ist seiner Darstellung gut bekommen, denn so konnte er die vielfach vernetzten künstlerischen Lebenszusammenhänge mit ihren Wechselwirkungen der verschiedenen Medien aufzeigen, wo andere Autoren nicht über den Tellerrand der Malerei hinausgeschaut hätten. In seinem reich bebilderten, aus Kurzmonographien aufgebauten Buch will er - nach eigenen Worten - "eine Vorstellung von dem geben, was die internationale Kunstwelt derzeit als Deutschlands Exportschlager ansieht, subjektive Auswahlkriterien und den Mut zur Lücke vorausgesetzt".

    Nun könnte man nicht von einem "Exportschlager" sprechen, ließe sich das Produkt "junge deutsche Malerei" nicht auch international gut verkaufen, was die Kunstmessen zur Genüge bestätigen. Wer Christoph Tannerts zahlreiche, ganz unterschiedliche Bildbeispiele Revue passieren lässt, erkennt schnell die neuen Qualitäten zeitgenössischer Malerei. Sie zitiert absichtsvoll aus kunstgeschichtlichen Traditionen, um sie sich mit neuen Mitteln anzueignen. So macht es Sven Drühl in seinen Landschaften, in denen die Natur hoheitsvoll und unnahbar ist wie bei Caspar David Friedrich und die Gebirgsketten ornamental vereinfacht sind wie bei Hodler. Silikonstege markieren die Silhouetten, die Flächen sind aus Lacken oder pastoser Ölfarbe aufgebaut. Eberhard Havekosts technoide, farblich unterkühlte Bildwelt ist von computergenerierten Screens geprägt und korrespondiert mit der E-Musik aus seinem Label Bohnerwachs Tonträger. Am besten reinhören, denn mit Christoph Tannerts Schlagwörtern Glitch, Ambient, IDM oder selbstverliebten Formulierungen wie dem "Logarithmus nassen Flockenfalls" kann der Leser nicht viel anfangen.

    Um die Einflüsse multimedialer Arbeit auf die Malerei zu beschreiben, geht es auch einfacher:

    " Es sind ganz unterschiedliche Wege der künstlerischen Praxis, die die Künstler interessiert. Deswegen klingt unterschwellig auch immer an, dass da Möglichkeiten der plastischen Gestaltung, der gesellschaftlichen Intervention, der aktionistischen Intervention, des DJ-ing, des Filmemachens usw. angelegt sind. "

    Und das hat Tradition:

    " Wenn Sie sich die Kunstgeschichte ansehen, auch nur die Kunstgeschichte seit den sechziger Jahren, dann werden Sie sehen, dass alle Phänomene in allen Bereichen der Kunst nebeneinander existieren. Und es ist nur unsere Blindheit, die das eine ausschaltet und das andere deutlicher zu sehen glaubt."

    Lenkt also die Publikumserwartung den Blick? Gibt es überhaupt eine Renaissance figurativer Malerei? New German Painting richtet das Hauptaugenmerk auf Berlin als Kunstmetropole, kann also nicht als repräsentativ für ganz Deutschland gelten. Doch der Trend weg von einer völlig abstrakten Malerei - hier nur durch drei Künstler vertreten - bestätigt sich auch andernorts. Mit Recht hält Christoph Tannert das in der Kunstgeschichte bisher übliche Rubrizieren, die Unterscheidung in abstrakt und figurativ, das saubere Trennen in Gattungen für überholt. Die Arbeiten etlicher Künstler, etwa Corinne Wasmuths kaleidoskopartige Stadtansichten, bestätigen das. Auch die Frage nach einem Austausch zwischen west- und ostdeutschen Kunsttraditionen oder Schulen ist obsolet geworden:

    " Man muss schon genau hinschaun, was Künstler und Künstlerinnen zuwege bringen und dann sollte man sich sehr deutlich auf Kunstgeschichte als Individualgeschichte beziehen. Es gibt zwar einen Trend, den der Markt macht, aber die Positionen (der Künstler und Künstlerinnen) sind höchst unterschiedlich."

    Ja, Norbert Bisky, der aus Kalkutta stammende Khiron Kosla oder der gebürtige Finne Robert Lucander haben sich aus ganz unterschiedlichen, subjektiv gewählten Kunsttraditionen heraus entwickelt. Gibt es aber keine Grundlinien? - Eine distanziertere Außensicht, wie sie der Amerikaner Graham Bader dem Band beisteuert, hilft bei der Orientierung eher als Tannerts Essay Von der Widerborstigkeit der Malerei, in dem er die Künstlerindividualitäten peinlich genau voneinander trennt. Eines ist den Künstlern aber gemein:

    " Ich glaube sehr wohl, dass alle Künstler, die ich in meinem Buch versammle, auch diejenigen, die nicht über Politik und auch nicht über die Dinge, die außerhalb von Kunst liegen, reden, durchaus sehr politisch sind; das habe ich ja auch in meinen Gesprächen, die ich in den Ateliers geführt habe, gemerkt, insbesondere was immer die Frage nach dem Deutschsein, nach dem Nationalen betrifft. Da gibt es sehr viele verschiedene Antworten, die alle mit den Zeitläuften zu tun haben, die alle mit dem Umbruch nach 1989 zu tun haben, ... die alle zu tun haben mit der deutschen Kunstgeschichte, insbesondere mit der nach 1945. Also da kann man überhaupt nicht sagen, das wären Künstler, die naiv vor sich hinmalen würden; die haben alle dezidiert sehr klare politische Ansichten, aber sie würden nie - jedenfalls die wenigsten - damit hausieren gehen und schon gar nicht in der Öffentlichkeit außerhalb ihrer Kunst verbal jetzt Meinungen bilden wollen."

    Plakative Politkunst, aufrüttelnde Gesellschaftskritik oder ethischer Missionseifer passen nicht zum Zeitgeist, den gerade Künstler seismographisch erfassen. Charakteristisch für die Malerei der Gegenwart - auch international - ist eine Vieldeutigkeit und psychologische Spannung in den Bildern, ein Reflektieren, auch Ironisieren von Pop Art, Fotorealismus oder kitschiger Heimatkunst. Der Mensch ist einsam, verletzlich, unnahbar mit einer gebrochenen Identität, im Widerspruch zwischen seiner gesellschaftlichen Rolle und einer inneren Traurigkeit und Entfremdung: Das ist der Grundtenor der 120 Gemälde von achtzig internationalen Künstlern, die Christiane Lange und Florian Matzner für ihren hervorragenden Band Malerei der Gegenwart. Zurück zur Figur ausgewählt haben.

    Auch ihr Schwergewicht liegt auf der deutschen Malerei, aber im internationalen Kontext gesehen, und es geht - der Titel sagt es schon - um die Figur, das Menschenbild, wie es an den zwischen 2000 und 2005 entstandenen Werken ablesbar ist. Eine Altersbegrenzung gibt es bei diesem synchronen Schnitt nicht, und das macht den Bildvergleich richtig spannend. Die 87-jährige Maria Lassnig steht neben dem Mittzwanziger Johannes Tiepelmann, die Innenschau, das Zurückgeworfensein auf die nackte Existenz neben der virtuellen Welt des cyber-space. Die Gegensätze könnten nicht größer sein, und sie sind hier wie dort von bezwingender Faszination. Dazwischen Volker Stelzmanns spröder Realismus, Aktszenen von Norbert Tadeusz, ein naturalistischer Rigo Schmidt oder der Werbedokumentarist Terry Rodgers. Auffallend ist das Spiel mit gesellschaftlichen Klischees, das Aufbrechen des schönen Scheins und die stilistischen Anknüpfungen an die Neue Sachlichkeit. Wir begegnen den Nachfahren von Hans Holbein, Caravaggio, Otto Dix oder Francis Bacon. Die Bilder eines Frank Schäpel oder des Amerikaners Eric Fischl sind ebenso drastisch und von schockierender Präsenz.

    Den Hauptteil des Buches bilden wie bei Christoph Tannert Kurzmonographien in alphabetischer Reihenfolge. Sie sind in der Aussage erfreulich konkret und positionieren die einzelnen Künstler überzeugend in Geschichte und Gegenwart. Die Autoren haben in ihren einführenden Essays sechs inhaltliche und stilistische Sektionen herausgearbeitet, die das Bilderaufgebot strukturieren. Ihre Kriterien überzeugen zwar nicht restlos, doch hat der Betrachter/Leser eine brauchbare Orientierungshilfe zur Hand. Die beiden Bände New German Painting und Zurück zur Figur ergänzen sich hervorragend. Zusammen geben sie einen Überblick über die gegenständliche bzw. figurative Malerei der Gegenwart als Projektionsfläche unserer Wirklichkeitserfahrung und des Menschenbildes heute.

    Christoph Tannert und Graham Bader: "New German Painting"
    (Prestel Verlag)

    Christiane Lang und Florian Matzner: "Malerei der Gegenwart. Zurück zur Figur"
    (Prestel Verlag)