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Esoterik - ein soziales Problem

Esoterik avanciert in unserer säkularen Welt zu einer Art Ersatzreligion, die durchaus lukrativ ist. Allein Esoterikbücher erbrachten 2007 in Deutschland einen Umsatz von 500 Millionen Euro - ein Marktanteil von 15 Prozent. Warum fallen die Heilsversprechungen von Astrologen und Naturheilern auf so fruchtbaren Boden?

Von Andrea Westhoff | 22.04.2010
    "Jetzt anrufen!"

    "Ich bin vom magnetischen Dienst. Ich begrüße jeden Einzelnen von euch."

    "Nach einiger Vorbereitung mit Glastisch und Glas, und, na ja, wir haben gefragt, ob ein Geist da ist, und ging auf diesem Kreis mit den Buchstaben und Zahlen und Ja und Nein ging es zu Ja."

    "Was für eine Energie."

    Engelbotschaften aus dem Internet, Geisterbefragung auf der Klassenfahrt und Wahrsager mit eigener Fernsehshow. Geheim, nur Eingeweihten vorbehalten, wie der griechische Begriff suggeriert, ist an der Esoterik heute kaum noch etwas. Doktor Matthias Pöhlmann beobachtet als wissenschaftlicher Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen seit Jahren die Szene.

    "Mittlerweile - man merkt es ja im Bekannten- oder Freundeskreis - ist die Esoterik ein Thema, mit dem man sich, ja, in seiner Freizeit beschäftigt. Man liest das eine oder andere Buch, man bekommt die Empfehlung zu einer Heilerin, zu einem Heiler oder man ruft dann mal eine entsprechende Astrohotline an und erstellt sich natürlich auch selbst manchmal das Horoskop via Computersoftware."

    Aber obwohl die Lehren und Praktiken bekannt sind, lässt sich die moderne Esoterik als Ganzes doch schwer fassen. Sie ist Anfang des 19. Jahrhunderts als eine Bewegung entstanden, die sich in der Praxis bei den Geheimkulten verschiedener Völker bedient, vornehmlich der Ägypter, Indianer, Druiden, Kelten, aber auch im Buddhismus, bei der jüdischen Kabbala oder christlichen Mystik.

    Theoretische Grundlagen sind vor allem die Schriften des Spiritismus, der Anthroposophie Rudolf Steiners und der Theosophie, einer Weltanschauung, nach der Wissen durch die Erkenntnis des Göttlichen entsteht. Eine vagabundierende Religiosität oder Patchworkreligion, kein eigenständiges Glaubenssystem, sagt der Religionswissenschaftler Professor Hartmut Zinser von der FU Berlin, der gerade eine Art Handbuch zur Esoterik geschrieben hat.

    "Es gibt in der Esoterik keine Instanz, die auch nur relativ angeben könnte, was ist verbindlich, sondern es gibt Gruppen, und wenn die sich streiten, geht die Gruppe auseinander und jeder bildet seine neue. Deswegen ist es auch keine Religion, weil es keine moralischen und solidarischen Gemeinschaften bildet, die Bestand hätten."

    In der Esoterikbewegung zeigt sich der Trend der Moderne zur Individualisierung besonders deutlich, die Anhängerschaft spricht auch gar nicht von Religion, sondern von Spiritualität.

    "Die Spiritualität wird damit zu einer Art Containerbegriff, in den sehr vieles hineinpasst. Das Spektrum reicht vom Channeling bis hin zu Geistheilung und eben auch zum modernen Hexenkult."

    Auch der Begriff Okkultismus taucht in dem Zusammenhang immer wieder auf: okkult , also dunkel, verborgen, genauer: das verborgen Gemachte. Darin drückt sich vielleicht noch stärker das esoterische Selbstverständnis aus: das Ausgegrenzte und mehr noch heute das sich selbst Ausgrenzende. Esoterik versteht sich als Gegenpart zu den herrschenden Religionen, vor allem zum Christentum, aber auch zur modernen Wissenschaft. Als Selbstbezeichnung der Bewegung gibt es die Begriffe Esoterik oder Okkultismus erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts und sie bedeuten in der Substanz das gleiche, meint Hartmut Zinser

    '"Wenn sie empirisch vorgehen und die Leute fragen, was sie machen, dann wird mancher Esoteriker sagen: 'Ich mach doch keine okkulten Praktiken, wo denken Sie hin.' Und mancher Okkultist wird sagen, 'also Esoterik, damit hab ich gar nichts zu tun'. Faktisch aber machen sie beide das gleiche, nämlich Gläserrücken, Kartenlegen, Pendeln und so weiter, und haben auch praktisch identische Interpretationen, wie: alles hängt mit allem zusammen; wie im Großen so im Kleinen - solche Allgemeinplätze, die immer richtig sind, die man gar nicht widerlegen kann."

    Diese hermetische Weltsicht, die der Religionswissenschaftler anspricht, ist ein weiteres Merkmal der Esoterik, und auch die Betonung des Machens und Erlebens, statt des Glaubens. Magie ist hier das Schlüsselwort, die Überzeugung, Ereignisse, Menschen oder Gegenständen auf übernatürliche Art und Weise tatsächlich beeinflussen zu können. In der Esoterik spricht man allerdings lieber von höherem Wissen. Matthias Pöhlmann:

    "Die Esoterik erhebt einen besonderen Erkenntnisanspruch. Es handelt sich um ein Wissen, das sich nur Erleuchteten, Sensitiven erschlossen hat, oder noch erschließt. Das heißt, dass es eine unsichtbare Realität gibt. Es gibt Kräfte und Energien. Es gibt höhere Intelligenzen, zu denen man Kontakt aufnehmen kann. Man kann mit Engeln sprechen. Diese Angebote firmieren sehr stark unter dem Begriff Channeling. Eine Person sagt von sich, sie sei ein Channel, ein Kanal für höhere Wesenheiten. Und die Botschaften, die dabei empfangen werden, können entweder von außerirdischen Intelligenzen stammen oder auch von Engelwesenheiten oder von Gestalten der Religionsgeschichte, Buddha, Jesus. Man möchte die feinstofflichen Ebenen erspüren und sie für Heilungszwecke nutzbar machen."

    Heilung ist ein ganz zentraler Begriff in der Esoterik, zum einen im medizinischen Bereich, wo dann entweder uraltes Heilwissen aus anderen Kulturen genutzt wird, oder verschüttetes, verdrängtes Wissen wie die Kräuterlehre der Hexen oder weisen Frauen. Aber auch Erkenntnisse der neueren Psychologie, vor allem die Lehren C. G. Jungs, werden herangezogen.

    Die moderne Esoterik will außerdem Lebenshilfe, Orientierung und Sinngebung bieten in der immer komplexer werdenden Welt und die Sehnsucht befriedigen nach intensiven Erlebnissen, nach Wundern, nach Geheimnissen.

    Ist sie ein Zeichen für das Scheitern der Aufklärung, wie viele Kritiker behaupten? Auf jeden Fall ihr ständiger Begleiter, darin sind sich der Theologe Matthias Pöhlmann und der Religionswissenschaftler Hartmut Zinser einig.

    "Die Esoterikwelle ist die Rückseite der Aufklärung. Das 19. Jahrhundert war ja sehr stark geprägt von einem Fortschrittsoptimismus und auf der anderen Seite eine innere Leere, eine Angst natürlich: Was ist der Preis dieses Fortschritts?"

    "Das ist eine Reaktionsbildung auf den Materialismus und auf unsere gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen die Menschen eben mechanisch, materialistisch, bürokratisch behandelt werden. Das kann es ja nicht gewesen sein, dass man nur ein Körper ist, sondern: Man will als Person und das heißt selber als geistiges Wesen, moralisches Wesen anerkannt sein."

    Aber, und hier schließt sich der Kreis: Die Esoterikbewegung ist vor allem eins - widersprüchlich. Denn so wenig, wie sie heute noch als Geheimlehre Eingeweihter gelten kann, so wenig ist sie eine antimaterialistische Bewegung, im Gegenteil.

    "Die Themen verändern sich stetig in der Esoterikszene. Man kann sagen, dass die Esoterik sehr stark marktförmig reagiert auf die Bedürfnislagen im Bereich etwa der Medizin, Ernährung, neuerdings auch im Bereich der Pädagogik. In der Esoterikszene geht es eben darum, dass man aus diesem Markt auswählt. Es ist ein sehr konsumorientierter Spiritualitätsvollzug. Viele der Nutzer von esoterischen Angeboten entstammen der bürgerlichen Mittelschicht. Es sind vorrangig Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, die über einen entsprechenden Bildungsgrad verfügen, die aber auch finanziell dazu in der Lage sind, solche Angebote in Anspruch zu nehmen und eben auch entsprechend über Zeit verfügen. Manche Kritiker sprechen sogar im Blick auf die Esoterik von einem modernen Bildungsaberglauben."