Beatrix Novy: Hat Görlitz vielleicht deswegen nicht reüssiert, weil mit Weimar schon einmal eine ostdeutsche Bilderbuchstadt dran war?
Walter Siebel: Ich glaube nicht, dass das eine Rolle gespielt hat. Ich könnte mir vorstellen, dass für Görlitz sicher diese Überwindung der europäischen Spaltung, gerade auch auf europäischer Ebene, eine positive Rolle gespielt hat, dagegen, möglicherweise, aber das ist jetzt eher meine subjektive Meinung, dass Görlitz in der Reihe der bisherigen europäischen Kulturhauptstädte steht, nicht nur Weimar, Florenz, Athen, Paris, Graz das sind alles klassische, geschichtsreiche, wunderschöne europäische Städte. Und Essen ist ein völlig neuer Typ von Stadt. Eben die Stadt, die erst in der Phase der industriellen Urbanisierung geschaffen worden ist.
Novy: Was ist das genau?
Siebel: Darf ich noch einen zweiten ... Ich könnte mir auch vorstellen, dass Görlitz wegen seiner doch Randlage und schlechten Verkehrssituation, es gibt keine ICE-Verbindung, keine Autobahn, keinen Flughafen, natürlich hätte die Kulturhauptstadt Görlitz dabei helfen können, das zu verbessern, aber es ist halt nicht da und eine europäische Kulturhauptstadt muss für Touristen auch leicht erreichbar sein. Das könnte auch eine Rolle gespielt haben.
Novy: Essen ist also genau das, ein Gegenbild sozusagen, hat mit Nostalgie und Rekonstruktion weniger zu tun, auch weniger Schauwert, womit hat es sich also qualifiziert und für was ist es repräsentativ, wenn man auf ganz Europa blickt, um es zu vergleichen?
Siebel: Das war auch die Frage, die sich die Jury gestellt hat. Wir haben uns gefragt, welches Thema will eigentlich Deutschland mit seiner Kulturhauptstadt im Jahre 2010 auf einer europäischen Bühne zur Diskussion stellen. Und es muss natürlich ein Thema sein, das die Städte berührt, und es sollte auch ein Thema sein, das gerade in den Städten der neuen Mitglieder der Europäischen Union besonders relevant ist. Und Essen steht für die Bewältigung der Hinterlassenschaft von einhundertfünfzig Jahren industrieller Urbanisierung. Und dieser Strukturwandel von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft, ist eine Aufgabe, vor der fast alle europäischen Städte und insbesondere die in den neuen europäischen Mitgliedsländern stehen.
Novy: Was ist da genau gemeint? Ist es die Umwandlung der Konversionsflächen, sind es optimistische Projekte wie die IBA Emscher-Park?
Siebel: Zunächst einmal, das Ruhrgebiet, nicht nur Essen, ist ja eine verstädterte Landschaft, die fast ausschließlich von der Industriegesellschaft geschaffen worden ist. Das haben wir bei anderen europäischen Städten eigentlich gar nicht. Es ist ein ganz neuer Typus von Stadt, der dann durch den Rückzug der Industriegesellschaft aus dieser Region und diesen städtischen Strukturen, die die Industriegesellschaft geschaffen hat, ganz anders berührt wird, als Städte, die eine lange, mehrere hundert Jahre lange vorindustrielle Tradition haben. Das heißt in Essen ist dieser Umbruch von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft sehr viel härter zu sehen und zu spüren, als in Städten wie München oder Paris, die eine ganz andere Tradition und auch eine ganz andere Funktion haben. Es ist das Schrumpfen der ökonomischen Basis auf der diese urbanen Strukturen sich mal entwickelt haben und Sie sehen das in riesigen leer stehenden Hallen, in Industriebrachen, in heruntergekommenen Wohnquartieren und eben auch in hohen Arbeitslosenzahlen.
Novy: Aber dennoch geht es ja sicher auch bei der Vergabe des Kulturhauptstadtstatus darum, wie haben wir das bewältigt, oder was tun wir um das zu bewältigen.
Siebel: Also, Essen ist von uns, und ja auch vor Görlitz, auf den Schild gehoben worden, weil es exemplarisch steht für die Bewältigung dieses Strukturwandels und zwar einer Art des Umgangs mit diesem Strukturwandel, bei dem vor allem die Kultur eine erhebliche Rolle spielt und zweitens weil die Bewerbung Essens auch deutlich gemacht hat, nicht nur welche Rolle die Kultur bei der Bewältigung des ökonomischen Strukturwandels spielen kann, sondern auch, welche kulturellen Potenziale aus eben diesem krisenhaften Strukturwandel zu gewinnen sind.
Novy: Und was hat Essen da besonders vorzuweisen?
Siebel: Nun, Sie kennen ja sicher das Weltkulturerbe Zeche Zollverein XII, was wirklich eine Kathedrale der Industriegesellschaft ist und die Jahrhunderthalle in Bochum und viele andere Relikte der Industriegesellschaft, ihre Nutzung ist fort, die Macht, auch die Ausbeutung, die harte Arbeit, für die diese Gehäuse standen ist fort. Und nun bieten sie plötzlich Möglichkeitsräume für postindustrielle Nutzungen, die in einer, man kann sagen, Art ironischer Auseinandersetzung mit diesen riesigen Gebäuden, selber eine ganz andere Form der Wahrnehmung und des Umgangs mit solchen Gelegenheiten entwickeln.
Walter Siebel: Ich glaube nicht, dass das eine Rolle gespielt hat. Ich könnte mir vorstellen, dass für Görlitz sicher diese Überwindung der europäischen Spaltung, gerade auch auf europäischer Ebene, eine positive Rolle gespielt hat, dagegen, möglicherweise, aber das ist jetzt eher meine subjektive Meinung, dass Görlitz in der Reihe der bisherigen europäischen Kulturhauptstädte steht, nicht nur Weimar, Florenz, Athen, Paris, Graz das sind alles klassische, geschichtsreiche, wunderschöne europäische Städte. Und Essen ist ein völlig neuer Typ von Stadt. Eben die Stadt, die erst in der Phase der industriellen Urbanisierung geschaffen worden ist.
Novy: Was ist das genau?
Siebel: Darf ich noch einen zweiten ... Ich könnte mir auch vorstellen, dass Görlitz wegen seiner doch Randlage und schlechten Verkehrssituation, es gibt keine ICE-Verbindung, keine Autobahn, keinen Flughafen, natürlich hätte die Kulturhauptstadt Görlitz dabei helfen können, das zu verbessern, aber es ist halt nicht da und eine europäische Kulturhauptstadt muss für Touristen auch leicht erreichbar sein. Das könnte auch eine Rolle gespielt haben.
Novy: Essen ist also genau das, ein Gegenbild sozusagen, hat mit Nostalgie und Rekonstruktion weniger zu tun, auch weniger Schauwert, womit hat es sich also qualifiziert und für was ist es repräsentativ, wenn man auf ganz Europa blickt, um es zu vergleichen?
Siebel: Das war auch die Frage, die sich die Jury gestellt hat. Wir haben uns gefragt, welches Thema will eigentlich Deutschland mit seiner Kulturhauptstadt im Jahre 2010 auf einer europäischen Bühne zur Diskussion stellen. Und es muss natürlich ein Thema sein, das die Städte berührt, und es sollte auch ein Thema sein, das gerade in den Städten der neuen Mitglieder der Europäischen Union besonders relevant ist. Und Essen steht für die Bewältigung der Hinterlassenschaft von einhundertfünfzig Jahren industrieller Urbanisierung. Und dieser Strukturwandel von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft, ist eine Aufgabe, vor der fast alle europäischen Städte und insbesondere die in den neuen europäischen Mitgliedsländern stehen.
Novy: Was ist da genau gemeint? Ist es die Umwandlung der Konversionsflächen, sind es optimistische Projekte wie die IBA Emscher-Park?
Siebel: Zunächst einmal, das Ruhrgebiet, nicht nur Essen, ist ja eine verstädterte Landschaft, die fast ausschließlich von der Industriegesellschaft geschaffen worden ist. Das haben wir bei anderen europäischen Städten eigentlich gar nicht. Es ist ein ganz neuer Typus von Stadt, der dann durch den Rückzug der Industriegesellschaft aus dieser Region und diesen städtischen Strukturen, die die Industriegesellschaft geschaffen hat, ganz anders berührt wird, als Städte, die eine lange, mehrere hundert Jahre lange vorindustrielle Tradition haben. Das heißt in Essen ist dieser Umbruch von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft sehr viel härter zu sehen und zu spüren, als in Städten wie München oder Paris, die eine ganz andere Tradition und auch eine ganz andere Funktion haben. Es ist das Schrumpfen der ökonomischen Basis auf der diese urbanen Strukturen sich mal entwickelt haben und Sie sehen das in riesigen leer stehenden Hallen, in Industriebrachen, in heruntergekommenen Wohnquartieren und eben auch in hohen Arbeitslosenzahlen.
Novy: Aber dennoch geht es ja sicher auch bei der Vergabe des Kulturhauptstadtstatus darum, wie haben wir das bewältigt, oder was tun wir um das zu bewältigen.
Siebel: Also, Essen ist von uns, und ja auch vor Görlitz, auf den Schild gehoben worden, weil es exemplarisch steht für die Bewältigung dieses Strukturwandels und zwar einer Art des Umgangs mit diesem Strukturwandel, bei dem vor allem die Kultur eine erhebliche Rolle spielt und zweitens weil die Bewerbung Essens auch deutlich gemacht hat, nicht nur welche Rolle die Kultur bei der Bewältigung des ökonomischen Strukturwandels spielen kann, sondern auch, welche kulturellen Potenziale aus eben diesem krisenhaften Strukturwandel zu gewinnen sind.
Novy: Und was hat Essen da besonders vorzuweisen?
Siebel: Nun, Sie kennen ja sicher das Weltkulturerbe Zeche Zollverein XII, was wirklich eine Kathedrale der Industriegesellschaft ist und die Jahrhunderthalle in Bochum und viele andere Relikte der Industriegesellschaft, ihre Nutzung ist fort, die Macht, auch die Ausbeutung, die harte Arbeit, für die diese Gehäuse standen ist fort. Und nun bieten sie plötzlich Möglichkeitsräume für postindustrielle Nutzungen, die in einer, man kann sagen, Art ironischer Auseinandersetzung mit diesen riesigen Gebäuden, selber eine ganz andere Form der Wahrnehmung und des Umgangs mit solchen Gelegenheiten entwickeln.