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Esther Kaiser interpretiert Abbey Lincoln
"Unglaublich große Menschlichkeit"

In diesem Jahr jährt sich Todestag der Jazz-Sängerin Abbey Lincoln zum fünften Mal. Sie gehört zu den großen Legenden des US-amerikanischen Jazz. Auch für die Berliner Sängerin Esther Kaiser ist Lincoln ein großes Vorbild. Mit ihrer neuen Platte "Learning how to listen" veröffentlicht die 39-Jährige nun eine Hommage an ihr Idol.

Von Christoph Reimann |
    "Sie hatte eine unglaublich große Menschlichkeit, die aus ihren Texten hervorgeht // und hatte einen unglaublich klaren Blick für Dinge, und das war interessant."
    Wenn Esther Kaiser über Abbey Lincoln spricht, gerät sie schnell ins Schwärmen. Sie ist ein Fan der schwarzen Sängerin, die 1930 in Chicago zur Welt kam – ganz eindeutig:
    "Sie hat ja nun auch als eine der wenigen Jazz-Sängerinnen ihrer Zeit eigene Songs geschrieben. Sie war im Prinzip eine Songwriterin und hat auch mal gesagt: Meine Songs sind eigentlich Beobachtungen. Das gefällt mir sehr gut."
    Esther Kaiser verehrt Abbey Lincoln, aber sie ist auch eine Frau vom Fach: Die 39-jährige Berlinerin mit den blonden Haaren und dem offenen Blick ist studierte Jazz-Sängerin, neuerdings mit einer Gesangsprofessur an der Musikhochschule Dresden. Die Idee, eine Hommage an Abbey Lincoln aufzunehmen, kam Kaiser vor fünf Jahren, als Lincoln mit 80 starb. Die Songs der Jazz-Ikone begleiten Kaiser schon lange. Zum Beispiel das Stück "Throw it away":
    "Da hat mir immer wieder diesen Satz "You can never lose a thing, if it belongs to you", also: Du kannst niemals etwas verlieren, wenn es zu dir gehört. Das hat mir unheimlich viel Vertrauen gegeben einfach vorwärts zu gehen, nicht so viel festzuhalten, sondern, wie auch "Trow it away" meint, loszulassen. Das ist ein Song, der ist immer wieder neu aktuell."
    Aus dem Bauch heraus ausgewählt
    Der Song: Ein Lieblingslied von Esther Kaiser – wie so viele, die Abbey Lincoln entweder interpretiert, komponiert oder mit einem eigenen Text versehen hat. Elf davon hat Kaiser nun neu eingespielt. Die Auswahl hat sie aus dem Bauch heraus getroffen. Da zeigt sich, dass sie trotz ihrer akademischen Laufbahn vor allem ein Gefühlsmensch ist:
    "Ich hatte schon immer eine Vorliebe für spirituelle Fragen, und das hat Abbey Lincoln ja absolut auch, ohne dabei irgendwie religiös anmutend zu sein, aber auch nicht New-Age-mäßig. Vom Inhalt her, von den Fragen, finde ich Spiritualität ganz spannend, und auch einfach der Versuch, Spiritualität und Musik zu verbinden. Ich meine, Musik ist Spiritualität. Das ist ja auch ein Ursprung überhaupt von Musik."
    Esther Kaiser sieht in Abbey Lincoln also eine Schwester im Geiste – was eine Neuinterpretation nicht gerade leicht macht.
    "Ich habe eigentlich in dieser Produktionsphase dann kaum mehr die Musik von Abbey Lincoln gehört, um eben nicht dahin zu verfallen, dass ich etwas imitiere. Sondern: Was habe ich für ein Songmaterial, wie will ich das instrumental und auch gesanglich umsetzen? Geholfen hat mir da, dass ich ganz stark versucht habe, die Geschichten zu erzählen in den Songs. Und wenn ich Geschichten erzähle, dann kann ich sie nur als Esther Kaiser erzählen."
    Musikalisch stark an Lincoln orientiert
    Nicht immer hat diese Vorgehensweise zu komplett eigenständigen Interpretationen geführt, zumal sich Esther Kaiser auch in der musikalischen Anmutung stark an Lincoln orientiert hat. Die Songs, die Esther Kaiser singt, stammen vor allem aus dem ruhigeren Spätwerk von Abbey Lincoln, aus den 90ern. Nicht zu finden sind die offensiv politischen Songs der Amerikanerin, etwa aus der "We insist! Freedom Now Suite" von 1960, mit der sich Lincoln und ihr kurzzeitiger Ehemann, der Schlagzeuger Max Roach, in den Dienst der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung stellten. Esther Kaiser tut gut daran, auf diese politischen Songs zu verzichten und sich auf die zeitlosen und oft philosophischen Texte der großen Amerikanerin zu konzentrieren, die auch sie glaubhaft erzählen kann – und zwar mit einer durchweg tollen, wandlungsfähigen Stimme, die hell ist, lupenrein und lieblich. Zwar nicht immer so unverwechselbar wie die von Abbey Lincoln, aber immer voller Herzenswärme, die man ihr gerne abnimmt.