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Estlands Erde in deutschen Vorgärten

Es ist das Land der Moore und Sümpfe und das nördlichste der drei baltischen Staaten - Estland. Wo viel Moor da wenig Landwirtschaft, doch wo viel trockengelegtes Moor da ist viel Torf. So lautet die einfache Gleichung zu Ungunsten der Natur. Estland versorgt vor allem die westeuropäischen Industriestaaten wie Deutschland, Großbritannien und die Niederlande mit Torf. Das sind alles Länder in denen Hoch- und Niedermoore teilweise Landschaft bestimmend waren. Doch die großen Moore sind gestochen, der Torf verbrannt und verbraucht. Für die Natur ist das ein herber Verlust, denn Moore sind Lebensräume für hoch spezialisierte und seltene Tier- und Pflanzenarten. Leider wird ein Hochmoor das einmal trockengelegt wurde nie wieder zum Hochmoor. Doch ungeachtet dessen steigt der Bedarf an Torf stetig an, bei Hobbygärtnern ebenso wie in der Landwirtschaft. Ein Unternehmen aus Ludwigsburg profitiert auch davon die ABS Grünland baut an der Westküste Estlands Torf ab.

Aita Koha |
    Am Rande der Stadt Pärnu, umgeben von Wald liegt eine braune, trockene Torfwüste inmitten eines der größten Moore an der Westküste Estlands. Lavassaare nennen die Esten das Moor, dort wo ein süddeutsches Unternehmen eine Fläche so groß wie der Schluchsee abtorft. Zahlreiche Entwässerungsgräben durchziehen das Land. Ein Traktor fräst den trockenen Boden, der später von einer Art Staubsauger, einem Harvester, aufgesammelt wird. Richtung Lagerhallen fährt eine kleine Lok, deren Anhänger gefüllt sind mit Torf. Bis zu 300 000 Tonnen Torf baut ASB Grünland dort jährlich ab und exportiert ihn. Die Qualität des Torfes ist exzellent, meint Geschäftsführer Jüri Tiidermann. Er könnte noch mehr abbauen und verkaufen, wenn die Regierung die Abbaumenge nicht reglementieren würde. Die starren Vorschriften ärgern Tiidermann, denn sein Geschäft sei sehr witterungsabhängig, so dass er die maximal erlaubte Menge an Torf in manchen Jahren gar nicht abbauen kann:

    Die Abbau-Quote errechnet sich aus dem Mittel des Maximums. Das heißt, wir konnten das Maximum letztes Jahr voll ausschöpfen, weil das Wetter mitgespielt hat. Es war perfekt! Deshalb fragten die Kritiker, warum wir eine höhere Quote wollen, wenn wir die jetzige doch erreichen. Dieses Jahr haben wir aber bisher nur 40 Prozent der Quote geerntet. Aber niemand hat die Menge, die wir dieses Jahr weniger abbauen, einkalkuliert.

    Die Abbau-Saison reicht von Juni bis September. Bis Anfang August hatte es in Estland viel geregnet, dann wurde es trocken und heiß. Ein schlechter Sommer für Tiidermann, weil er zwei Monate nicht abbauen konnte, auf die Trockenheit aber angewiesen ist. Außerdem klagt er über die Presse und die öffentlichen Diskussionen, die es ihm nicht leicht machen:

    In Estland waren Journalisten vom Spiegel oder sonst woher zu Besuch, die einen Artikel über uns geschrieben haben. Seither sind wir die größten Kriminellen weltweit. Wir zerstören die gesamte Natur Estlands und so weiter. Und alles, was wir tun, ist böse, verstehen Sie?

    Tiidermann sieht sich als Umweltsünder abgestempelt, ohne dass er die Anschuldigung nachvollziehen kann:

    Aber eigentlich ernten wir hier nur Torf. Wir nutzen lediglich 7 Prozent der Moore Estlands, das ist so gut wie nichts! Außerdem hat jeder Landkreis in Estland eine Abbau-Quote. Hier in Pärnu sind es, soweit ich weiß, 435 000t, die jährlich abgebaut werden dürfen. Und diese Quote hat die Umweltbehörde ausgerechnet und festgelegt.

    Einer der estnischen Umweltschützer und Moor-Experten ist Mati Ilomets. Er arbeitet am ökologischen Institut in Tallinn und erklärt, dass die estnischen Moore über 2,5 Milliarden Tonnen Torf enthalten. Eine Million Tonnen werden davon jährlich Torf abgebaut. Vergleiche man die Zahlen, würde der Abbau nicht sonderlich ins Gewicht fallen, so Ilomets:

    Auf der anderen Seite haben wir aber Moorland, intaktes Moorland, das auf bestimmte hydrologische Bedingungen angewiesen ist - egal, ob es entwässert ist oder nicht. Große Flächen an Moorland sind jedoch in früheren Zeiten für die Land- und Forstwirtschaft entwässert worden, so dass von der gesamten Moorfläche Estlands, die über 1 Million ha beträgt und 2,5 Milliarden Torf enthält, über die Hälfte entwässert oder vom Menschen beeinträchtigt sind.

    Der Druck noch mehr Torf abzubauen werde in Zukunft wachsen - vor allem die Nachfrage nach Weißtorf, der die oberen Schichten der Moore bedeckt und ein guter Wasserspeicher ist. Die westlichen Industrienationen haben ihren eignen Weißtorf aufgebraucht, weshalb er bei ihnen besonders begehrt sei, so Ilomets weiter.

    Inwieweit die Zerstörung der Moore gebremst werden kann, wird seit Jahren erforscht. Ein möglicher Ausweg wäre das gezielte Kultivieren von Torfmoosen erklärt Ilomets.

    Im Laufe der letzten Jahre haben Wissenschaftler häufig über den Anbau von Torfmoosen diskutiert. Das bedeutet, dass es möglich ist, Torfmoose anzupflanzen wie wir es etwa auch mit Blumen machen. Dieser Anbau wird eine nachhaltige Nutzung von Torf sein und ich denke, diese Art von Torfanbau hat auf jeden Fall eine Zukunft.

    Aber nicht nur der Anbau von Torfmoosen stellt eine Alternative dar. Schließlich wurde Blumenerde ursprünglich aus Kompost hergestellt, was viele inzwischen vergessen haben, wie die Iren, erzählt Ilomets:

    In Irland wird den Leuten beigebracht, wie man Kompost-Erde macht. Denn sie wissen nicht mehr wie das geht. Für uns in Estland ist das natürlich interessant zu hören, weil die meisten Esten ihre Erde selber machen. Und in Estland benutzen die Hobbygärtner kaum Torf, das ist nicht üblich.

    Vor dem Hintergrund der aktuellen Nachhaltigkeitsdiskussion wird es zunehmend wichtig, sich künftig auf die Natur schonende und traditionelle Produktionsweise von Blumenerde zu besinnen - ob aus kultivierten Torfmoosen oder aus Kompost.