Er war Afrikas dienstältester Herrscher, der selbsternannte Revolutionsführer Libyens, Muammar al Gaddafi. Noch vor gut einem Jahr gab er sich siegessicher, die Aufstände in seinem Land niederschlagen zu können:
"Mein Volk, alle Menschen lieben mich. Sie werden sterben, um mich zu beschützen."
Die Bilder sind um die Welt gegangen: ein blutiger Bürgerkrieg, bei dem am Ende mindestens 30.000 Menschen starben. Ein Krieg, der nur möglich wurde, weil der Westen Libyen in den Jahren zuvor großzügig mit Waffen versorgt hatte.
Die Rebellen bekamen die geballte Schlagkraft von Gaddafis Arsenalen zu spüren, und die USA und ihre europäischen Verbündeten befanden sich wieder einmal in der absurden Lage, dass sie gegen ihre eigenen Waffen kämpften, schreibt Andrew Feinstein in seinem Buch "Waffenhandel".
Das Schlaglicht auf Libyen eines unter vielen, das eindrucksvoll zeigt: Das globale Geschäft mit dem Verkauf von Waffen, Munition und Ausrüstung ist vor allem ein Geschäft der Industriestaaten. Weltmarktführer sind und bleiben die USA, auf deren Konto gut 40 Prozent der weltweiten Waffenverkäufe gehen. Kein anderes Stichwort liefert so viele Einträge im umfangreichen Namensregister des Buches wie Lockhead Martin, der US-Rüstungskonzern. Auch die britische Waffenschmiede BAE Systems steht oft im Mittelpunkt des Buches, oder auch der deutsche Anlagenbauer Ferrostaal aus Essen.
Andrew Feinstein: "Diese Firmen neigen dazu, sehr enge Verbindungen zu ihren Regierungen zu pflegen. Sie haben Zugang zu den wichtigsten Entscheidungsträgern, und oft auch gute Kontakte zu den Geheimdiensten. Das ist ein sehr komplexes Beziehungsgeflecht, das im Dunkeln operiert. Denn all das geschieht im Geheimen unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit. Das ist beunruhigend – aber auch faszinierend."
Und diese Faszination des Autors ist dem Buch anzumerken. Akribisch hat Andrew Feinstein über Jahre hinweg Quellen gesammelt: Zeitungsartikel, Ermittlungsberichte und Archivmaterialien. Gut 2500 Fußnoten sind Ausdruck davon. Trotzdem ist es kein wissenschaftliches Werk, sondern ein Sachbuch für jedermann, wenn gleich die Lektüre angesichts der enormen Detailfülle mitunter ermüdend ist. Besonders authentisch: das Kapitel über ein Waffengeschäft in Südafrika. Um die Jahrtausendwende kündigte die Regierung des damaligen Präsidenten Thabo Mbeki ein umfangreiches Beschaffungsprogramm an. Kampfjets aus Großbritannien und Schweden, U-Boote und Fregatten aus Deutschland, Hubschrauber aus Italien. Feinstein saß zu dieser Zeit als Abgeordneter des ANC im südafrikanischen Parlament.
Wir fanden heraus, dass Thabo Mbeki zu der Zeit, als er behauptete, die Regierung habe nicht genügend Mittel, um den Millionen von HIV-infizierten Südafrikanern lebensrettende Medikamente zur Verfügung zu stellen, Rüstungsverträge abgeschlossen hatte, die zum Zeitpunkt ihrer vollständigen Erfüllung das Land mehr als sieben Milliarden Euro gekostet haben werden. Und dies ungeachtet der Tatsache, dass Südafrika keinerlei Bedrohungen von außen ausgesetzt ist.
Mitgeholfen haben Schmiergelder und Provisionen von mehr als 220 Millionen Euro an Mittelsmänner, leitende Beamte, hohe Politiker und den ANC selbst, sagt Feinstein. Die Partei habe das Geld dringend gebraucht für den bevorstehenden Wahlkampf.
Waffenhandel und Korruption seien auf's Engste miteinander verbunden, sagt Feinstein. Er zitiert Transparency International, wonach der internationale Waffenhandel für gut 40 Prozent aller gezahlten Schmiergelder weltweit verantwortlich ist. Die Regierungen duldeten dieses Verhalten, weil Waffengeschäfte eine wichtige Einnahmequelle für die Parteikassen seien, erklärt der Autor. Nicht zuletzt die CDU-Spendenaffäre um den Rüstungslobbyisten Karl-Heinz Schreiber habe dies auch in Deutschland gezeigt.
Feinstein: "Deshalb spielen auch die Mittelsmänner – die Händler, Makler oder Agenten – so eine wichtige Rolle. Denn wenn die Korruption auffliegt, dann können die Regierungen und die Rüstungsfirmen sagen: Moment, wir haben diesen Agenten beauftragt, und der hat geschmiert – was natürlich Blödsinn ist."
Das Bild des Waffenhändlers in der Öffentlichkeit – geprägt in den vergangenen Jahren auch vom Hollywoodstreifen "Lord of War – Händler des Todes". Für die Hauptrolle stand Victor But Pate, ein Russe, der nach dem Fall der Berliner Mauer Waffen aus dem Ostblock in so ziemlich jedes Konfliktgebiet dieser Welt geliefert hat, oft sogar für beide Seiten.
Feinstein zeichnet seine Geschäfte nach, seinen Aufstieg ebenso wie seine Verhaftung. Darin liegt eine große Stärke des Buchs: Der Autor versteht sich als Erzähler. Er vermittelt die Geschichten, Entwicklungen und Beziehungen der Schattenwelt anhand zahlreicher Protagonisten, von Charles Taylor, dem brutalen Ex-Diktator Sierra Leones, über saudische Prinzen, bis hin zu Joe Der Hovsepian, einem libanesischen Waffenschieber, den Feinstein für das Buch interviewt hat, nach dem er ihn – mehr oder weniger zufällig – über das soziale Netzwerk Facebook aufspüren konnte.
Feinstein: "Eines Abends hat er mich plötzlich angerufen und zum Gespräch eingeladen nach Amman in Jordanien in sein Büro. Also bin ich geflogen. Und er Stunden damit verbrachte, mir Geschichten zu erzählen aus seinen 40 Jahren im Geschäft, wie er sämtliche UN-Waffenembargos umgangen hat. Ein absolut charmanter Herr. Er bestand sogar darauf, mich nach dem Interview zurück ins Hotel zu fahren."
Charmant und mit großen Egos, das sei typisch für die "Big Player" im Waffengeschäft, sagt Feinstein, wohl aber auch ein fast völliger Mangel an Ethik und Moral. Das gerade zu rücken, ist die Mission des Autors. So umfangreich wie wohl nie zuvor hat er zusammengetragen, was sich aus dieser mächtigen, aber verschwiegenen Welt zusammentragen lässt. Sein Appell richtet sich vor allem an die Regierungen der Industrieländer, dem Treiben ihrer mächtigen Rüstungskonzerne Grenzen zu setzen.
Auch wenn die großen Rüstungskonzerne uns weiszumachen versuchen, sie hätten nichts zu tun mit der zwielichtigen Welt der Waffenschieber – die Wahrheit sieht anders aus. Die Grau- und Schwarzhändler bilden einen eigenen, inoffiziellen Markt für Waffen und Kriegsgerät, der sich selbstverständlich aus der Produktion der offiziellen Industrie speist.
Doch Andrew Feinstein selbst hat wohl die größten Zweifel, dass es gelingt, den internationalen Waffenhandel einzudämmen. Im 20. Jahrhundert – so schreibt er im Schlusswort – seien 231 Millionen Menschen in kriegerischen Konflikten gestorben, die der Waffenhandel entweder erst ermöglicht oder aber verschärft habe. Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts deute darauf hin, dass diese Zahl noch einmal überboten werden dürfte.
"Waffenhandel. Das Globale Geschäft mit dem Tod" – so der Titel des Buches von Andrew Feinstein: Erschienen ist es im Verlag Hoffmann und Campe, es hat 847 Seiten und kostet Euro 29,99 - ISBN: 978-3-455-50245-9. Unser Rezensent war Andreas Kolbe.
"Mein Volk, alle Menschen lieben mich. Sie werden sterben, um mich zu beschützen."
Die Bilder sind um die Welt gegangen: ein blutiger Bürgerkrieg, bei dem am Ende mindestens 30.000 Menschen starben. Ein Krieg, der nur möglich wurde, weil der Westen Libyen in den Jahren zuvor großzügig mit Waffen versorgt hatte.
Die Rebellen bekamen die geballte Schlagkraft von Gaddafis Arsenalen zu spüren, und die USA und ihre europäischen Verbündeten befanden sich wieder einmal in der absurden Lage, dass sie gegen ihre eigenen Waffen kämpften, schreibt Andrew Feinstein in seinem Buch "Waffenhandel".
Das Schlaglicht auf Libyen eines unter vielen, das eindrucksvoll zeigt: Das globale Geschäft mit dem Verkauf von Waffen, Munition und Ausrüstung ist vor allem ein Geschäft der Industriestaaten. Weltmarktführer sind und bleiben die USA, auf deren Konto gut 40 Prozent der weltweiten Waffenverkäufe gehen. Kein anderes Stichwort liefert so viele Einträge im umfangreichen Namensregister des Buches wie Lockhead Martin, der US-Rüstungskonzern. Auch die britische Waffenschmiede BAE Systems steht oft im Mittelpunkt des Buches, oder auch der deutsche Anlagenbauer Ferrostaal aus Essen.
Andrew Feinstein: "Diese Firmen neigen dazu, sehr enge Verbindungen zu ihren Regierungen zu pflegen. Sie haben Zugang zu den wichtigsten Entscheidungsträgern, und oft auch gute Kontakte zu den Geheimdiensten. Das ist ein sehr komplexes Beziehungsgeflecht, das im Dunkeln operiert. Denn all das geschieht im Geheimen unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit. Das ist beunruhigend – aber auch faszinierend."
Und diese Faszination des Autors ist dem Buch anzumerken. Akribisch hat Andrew Feinstein über Jahre hinweg Quellen gesammelt: Zeitungsartikel, Ermittlungsberichte und Archivmaterialien. Gut 2500 Fußnoten sind Ausdruck davon. Trotzdem ist es kein wissenschaftliches Werk, sondern ein Sachbuch für jedermann, wenn gleich die Lektüre angesichts der enormen Detailfülle mitunter ermüdend ist. Besonders authentisch: das Kapitel über ein Waffengeschäft in Südafrika. Um die Jahrtausendwende kündigte die Regierung des damaligen Präsidenten Thabo Mbeki ein umfangreiches Beschaffungsprogramm an. Kampfjets aus Großbritannien und Schweden, U-Boote und Fregatten aus Deutschland, Hubschrauber aus Italien. Feinstein saß zu dieser Zeit als Abgeordneter des ANC im südafrikanischen Parlament.
Wir fanden heraus, dass Thabo Mbeki zu der Zeit, als er behauptete, die Regierung habe nicht genügend Mittel, um den Millionen von HIV-infizierten Südafrikanern lebensrettende Medikamente zur Verfügung zu stellen, Rüstungsverträge abgeschlossen hatte, die zum Zeitpunkt ihrer vollständigen Erfüllung das Land mehr als sieben Milliarden Euro gekostet haben werden. Und dies ungeachtet der Tatsache, dass Südafrika keinerlei Bedrohungen von außen ausgesetzt ist.
Mitgeholfen haben Schmiergelder und Provisionen von mehr als 220 Millionen Euro an Mittelsmänner, leitende Beamte, hohe Politiker und den ANC selbst, sagt Feinstein. Die Partei habe das Geld dringend gebraucht für den bevorstehenden Wahlkampf.
Waffenhandel und Korruption seien auf's Engste miteinander verbunden, sagt Feinstein. Er zitiert Transparency International, wonach der internationale Waffenhandel für gut 40 Prozent aller gezahlten Schmiergelder weltweit verantwortlich ist. Die Regierungen duldeten dieses Verhalten, weil Waffengeschäfte eine wichtige Einnahmequelle für die Parteikassen seien, erklärt der Autor. Nicht zuletzt die CDU-Spendenaffäre um den Rüstungslobbyisten Karl-Heinz Schreiber habe dies auch in Deutschland gezeigt.
Feinstein: "Deshalb spielen auch die Mittelsmänner – die Händler, Makler oder Agenten – so eine wichtige Rolle. Denn wenn die Korruption auffliegt, dann können die Regierungen und die Rüstungsfirmen sagen: Moment, wir haben diesen Agenten beauftragt, und der hat geschmiert – was natürlich Blödsinn ist."
Das Bild des Waffenhändlers in der Öffentlichkeit – geprägt in den vergangenen Jahren auch vom Hollywoodstreifen "Lord of War – Händler des Todes". Für die Hauptrolle stand Victor But Pate, ein Russe, der nach dem Fall der Berliner Mauer Waffen aus dem Ostblock in so ziemlich jedes Konfliktgebiet dieser Welt geliefert hat, oft sogar für beide Seiten.
Feinstein zeichnet seine Geschäfte nach, seinen Aufstieg ebenso wie seine Verhaftung. Darin liegt eine große Stärke des Buchs: Der Autor versteht sich als Erzähler. Er vermittelt die Geschichten, Entwicklungen und Beziehungen der Schattenwelt anhand zahlreicher Protagonisten, von Charles Taylor, dem brutalen Ex-Diktator Sierra Leones, über saudische Prinzen, bis hin zu Joe Der Hovsepian, einem libanesischen Waffenschieber, den Feinstein für das Buch interviewt hat, nach dem er ihn – mehr oder weniger zufällig – über das soziale Netzwerk Facebook aufspüren konnte.
Feinstein: "Eines Abends hat er mich plötzlich angerufen und zum Gespräch eingeladen nach Amman in Jordanien in sein Büro. Also bin ich geflogen. Und er Stunden damit verbrachte, mir Geschichten zu erzählen aus seinen 40 Jahren im Geschäft, wie er sämtliche UN-Waffenembargos umgangen hat. Ein absolut charmanter Herr. Er bestand sogar darauf, mich nach dem Interview zurück ins Hotel zu fahren."
Charmant und mit großen Egos, das sei typisch für die "Big Player" im Waffengeschäft, sagt Feinstein, wohl aber auch ein fast völliger Mangel an Ethik und Moral. Das gerade zu rücken, ist die Mission des Autors. So umfangreich wie wohl nie zuvor hat er zusammengetragen, was sich aus dieser mächtigen, aber verschwiegenen Welt zusammentragen lässt. Sein Appell richtet sich vor allem an die Regierungen der Industrieländer, dem Treiben ihrer mächtigen Rüstungskonzerne Grenzen zu setzen.
Auch wenn die großen Rüstungskonzerne uns weiszumachen versuchen, sie hätten nichts zu tun mit der zwielichtigen Welt der Waffenschieber – die Wahrheit sieht anders aus. Die Grau- und Schwarzhändler bilden einen eigenen, inoffiziellen Markt für Waffen und Kriegsgerät, der sich selbstverständlich aus der Produktion der offiziellen Industrie speist.
Doch Andrew Feinstein selbst hat wohl die größten Zweifel, dass es gelingt, den internationalen Waffenhandel einzudämmen. Im 20. Jahrhundert – so schreibt er im Schlusswort – seien 231 Millionen Menschen in kriegerischen Konflikten gestorben, die der Waffenhandel entweder erst ermöglicht oder aber verschärft habe. Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts deute darauf hin, dass diese Zahl noch einmal überboten werden dürfte.
"Waffenhandel. Das Globale Geschäft mit dem Tod" – so der Titel des Buches von Andrew Feinstein: Erschienen ist es im Verlag Hoffmann und Campe, es hat 847 Seiten und kostet Euro 29,99 - ISBN: 978-3-455-50245-9. Unser Rezensent war Andreas Kolbe.