Dienstag, 16. April 2024

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EU-Abgeordneter Nico Semsrott
"Seit einem Jahr bin ich dauerverwirrt"

In seiner "The Nico Semsrott Show" verarbeitet der Satiriker Nico Semsrott seinen Alltag als EU-Parlamentarier. Er wolle mit seinen Videos möglichst viel Öffentlichkeit herstellen und Druck aufbauen, so Semsrott im Dlf. "Mehrheiten organisieren können sehr viele Leute sehr viel besser."

Nico Semsrott im Gespräch mit Sigrid Fischer | 14.07.2020
Der Satiriker und Politiker Nico Semsrott steht vor einer Wand im EU-Parlament
Der Satiriker und Politiker Nico Semsrott steht vor einer Wand im EU-Parlament (Genevieve Engel / European Parliament)
Seit einem Jahr sitzt Nico Semsrott für die Satire-Partei "Die Partei" im Europaparlament. Und was der Satiriker dort erlebt, verarbeitet der selbsternannte "Demotivationstrainer" jetzt auch in seiner "The Nico Semsrott Show" auf YouTube.
Dabei gehe es ihm vor allem darum, so viel Öffentlichkeit wie möglich herzustellen, um möglichst viele Menschen aufzuklären und Druck auszuüben, damit sich in Brüssel ewas ändere. Deshalb sieht sich Semsrott auch nicht als klassischen Parlamentarier: "Ich würde viel verschwenden, wenn ich keine Videos machen würde, sondern versuchen würde, meinen Abgeordneten-Kollegen davon zu überzeugen, einen Satz in einer Resolution zu ändern."
Als Satiriker sei er gar nicht in der Rolle, Gegenvorschläge zu machen und Mehrheiten zu organisieren - das könnten sehr viele Leute sehr viel besser als er, so Semsrott im Dlf. "Ich versuche, diese Leute zu unterstützen, indem ich noch von der Seite ein Spotlight darauf werfe. Und ich arbeite tatsächlich mit ein paar Fraktionskollegen auch schon zusammen an den nächsten Videos und die Aufgabenverteilung ist dann einfach: Sie sind die Experten und ich versuche Öffentlichkeit herzustellen."
"Fühle mich wie in einem absurden Theaterstück"
Für die Herstellung dieser Öffentlichkeit sei Humor das richtige Mittel, so Semsrott - anders als zum Beispiel beim Aufstellen einer neuen Gesetzesinitiative. Deshalb sei er mit seiner satirischen Herangehensweise an die politische Arbeit in Brüssel auch besser dafür, Öffentlichkeit herzustellen, als einfach nur "der 705. Abgeordete zu sein, der ernsthafte parlamentarische Arbeit macht" - auch weil er das Europaparlament teilweise als zahnlose Institution erlebe und sich selbst oft ohnmächtig fühle.
"Seit einem Jahr bin ich dauerverwirrt - ich fühle mich ein bisschen so, als ob ich in einem absurden Theaterstück gelandet bin. Alle anderen haben irgendwie ein Skript bekommen und kennen das Drehbuch. Und ich habe das Gefühl, ich habe einfach keinen Text und ich verstehe die Show nicht. Und deswegen habe ich mich jetzt einfach entschieden, meine eigene Show zu machen."
Aufgrund der Komplexität der EU-Politik hätten er und sein Team sich schon früh dafür entschieden, klare Prioritäten zu setzen und bei Fachentscheidungen den Expertinnen und Experten der Grünen Fraktion zu vertrauen, denen Semsrott sich angeschlossen hat.
"Die Fraktionen hat sehr gute Leute, die sich damit seit Jahren beschäftigen, und denen folgen wir dann. Und das ist einfach eine Entscheidung, die man treffen muss, weil einfach in einer Plenarwoche hintereinander 650 Entscheidungen und Abstimmungen anstehen. Und das ein Pensum ist und eine Komplexität, die selbst ein normales Abgeordnetenbüro nicht durchdringen kann."