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EU-Afrika-Gipfel
Europas riskante Zusammenarbeit mit dem Tschad

Zuhause verrufen, doch in Europa hofiert: Das Regime des Tschad wird in Brüssel zuvorkommend behandelt. Das afrikanische Land gilt als strategisch wichtiger Partner - vor allem in Sachen Migration und dem Anti-Terrorkampf.

Von Jens Borchers | 25.11.2017
    Der Präsident des Tschad, Idriss Deby, nimmt an einem EU-Afrika-Treffens im Elysee Palast in Paris teil.
    Präsident Idriss Déby ist gestorben. (AFP / Ludovic Marin)
    Wenn die Außenbeauftragte der Europäischen Union Idriss Déby, den Präsidenten des Tschad, in Brüssel empfängt, begrüßt man sich mit ausgesuchter Freundlichkeit.
    Für Europa ist Präsident Déby ein wichtiger Partner in Afrika, entsprechend zuvorkommend wird er behandelt. Zu Hause im Tschad sehen viele ihren Staatschef mit anderen Augen. Céline Namardji beispielsweise wurde im Tschad ins Gefängnis gesteckt. Wegen ihres politischen Engagements sagt sie:
    "Ja, ich war im Gefängnis. Vor den Wahlen," sagt Céline Namardji. Die Vorsitzende einer Frauenorganisation schildert den Tschad als repressiven Staat:
    "Das ist eine offene Diktatur. Die Leute sind traurig. Sie sind gewalttätig. Sie fangen an zu hassen. Und dieser Hass – der wird eines Tages Folgen haben, das ist sicher."
    In der Botschaft der Europäischen Union in der Hauptstadt N'Djamena sitzt Denisa-Elena Ionete. Sie hat als EU-Botschafterin die Aufgabe, mit dem "wichtigen Partner" Tschad zusammenzuarbeiten:
    "Der Tschad ist aus verschiedenen Gründen ein wichtiger Partner. Die EU baut ihre Zusammenarbeit mit Staaten aus, die von Konflikten und Krisen betroffen sind. Der Tschad steht im Mittelpunkt verschiedener Krisen und ist deshalb ein Schlüsselstaat."
    Mehr als eine Milliarde Euro von der EU
    Deshalb will die EU deutlich mehr als eine Milliarde Euro in die Entwicklungszusammenarbeit mit dem Tschad stecken. Grundlage dafür ist unter anderem ein Entwicklungsplan der tschadischen Regierung, den die EU in den kommenden vier Jahren unterstützen will.
    Oppositionelle wie Céline Namardji, die Vorsitzende der Frauenorganisation im Tschad, sehen diese Finanzhilfen kritisch. Sie fragt:
    "Was haben alle diese Investitionen in 27 Jahren bewirkt? Und dazu kommt ja noch das Geld aus der Erdölförderung im Tschad. – Nichts!"
    Tatsache ist: Der Tschad ist in den vergangenen 15 Jahren im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen zurückgefallen. 2002 lag das Land auf Platz 167. Heute steht der Tschad auf der vorletzten Position von insgesamt 188 Nationen. Er ist eines der ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder der Welt.
    Transport-Korridor von Schleuser-Banden
    Gleichzeitig sieht die Europäische Union den Tschad aber als strategisch wichtigen Partner in der verarmten und von Terrorismus durchzogenen Sahel-Region. Die Terrormiliz Boko Haram mordet und attackiert im Tschadsee-Becken. Der Norden des Tschad, glaubt die EU, wird mehr und mehr zum Transport-Korridor von Schleuser-Banden, die Migranten in Richtung Mittelmeerküste bringen. Dass die Mächtigen im Tschad seit fast drei Jahrzehnten regieren, ihr Land aber kaum voran gebracht haben – das scheint aus europäischer Sicht nur ein Nebenwiderspruch zu sein. Denisa-Elena Ionete, die Botschafterin der Europäischen Union, reagiert angespannt auf entsprechende Fragen. Und während sie darauf antwortet, pocht sie mit der Hand immer wieder auf den Konferenztisch in ihrem Büro:
    "Das Land steckt jetzt in der Krise. Die Verantwortlichen sind dabei zu untersuchen, wie tief diese Krise geht. Es ist Sache der Regierung, das Ausmaß der Krise zu bewerten und gleichzeitig zu beachten, wie wichtig es ist, dieser Krise mit den notwendigen Reformen zu begegnen. Unsere gemeinsame Pflicht ist es, weiterhin an den Reformen zu arbeiten und sie effektiv umzusetzen."
    Die Europäische Union will von der Regierung des Tschad Unterstützung für ihre Interessen in der Migrations- und Anti-Terror-Politik. Und die EU verspricht sich offenbar ausgerechnet von Präsident Idriss Déby stabile Verhältnisse im Tschad.
    Saleh Kebzaboh, Oppositonsführer der National Union for Development and Renewal (UNDR)'s. 
    Oppositionsführer Saleh Kebzabo (AFP / Desirey Minkoh)
    Saleh Kebzabo hält das für einen fatalen Irrtum. Der 71-jährige Oppositionsführer empfängt zum Interview auf der Terrasse seines Privathauses in der Hauptstadt N'Djamena:
    "Die Situation des Tschad ist katastrophal!" Kebzabo zählt auf: Arbeitslosenzahlen werden erst gar nicht veröffentlicht. Die Gehälter im Öffentlichen Dienst sind radikal gekürzt worden, lange Streiks folgten daraufhin. Die Schulen funktionieren nicht, sagt Saleh Kebzabo. Die Opposition werde massiv unter Druck gesetzt und viele Menschen hätten Angst, auch nur irgendetwas Kritisches zu äußern. Wer glaube, noch mehr Milliarden für die Entwicklungszusammenarbeit würden etwas verändern – der liegt nach Ansicht von Saleh Kebzabo völlig falsch. Das Problem sei das Regime von Präsident Idriss Déby: korrupt, unfähig und repressiv.
    Oppostition wirft Regierung Korruption vor
    Kebzabo war in diesem Jahr in Deutschland, hat dort mit Regierungsvertretern und Parteien gesprochen. Er wirft der tschadischen Regierung massive Korruption und Verschwendung vor. Deshalb plädiert Kebzabo eindringlich für eine ganz andere Strategie.
    "Der demokratische Prozess im Tschad muss unterstützt werden. Das ist das Wichtigste. Ohne Demokratie müssen wir gar nicht erst über Entwicklung oder Frieden reden. Das wird es dann nicht geben. Politische Führer, die illegitim oder sogar illegal Macht ausüben, können keinen Erfolg haben. Weil das Volk ihnen nicht glaubt."
    Präsident Idriss Déby und seine Regierung bleiben aber Partner der Europäischen Union und anderer internationaler Organisationen. Die Botschafterin der EU im Tschad, Denise-Elena Ionete, begründet das so: Erstens könne man sich die Regierung ja nicht aussuchen. Und zweitens:
    "Diese Regierung erkennt an: Es ist der Mangel an Zukunftsperspektiven, der Menschen dazu treibt, in Richtung Mittelmeer auszuwandern oder in die Arme der Terrormiliz Boko Haram zu fallen. Das erkennt die Regierung an und arbeitet mit uns und anderen internationalen Partnern daran, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass diese Menschen zuhause bleiben."
    Präsident Idriss Déby und sein seit fast 3 Jahrzehnten währendes Herrschaftssystem gelten den Europäern als Stabilitätsfaktoren im Tschad. Im Land selbst bezweifeln viele genau das. Deshalb fürchtet Oppositionschef Saleh Kebzabo:
    "Die Bevölkerung des Tschad wird nicht unbegrenzt Opfer bleiben, ohne zu reagieren. Man darf doch nicht glauben, das geht immer so weiter und Präsident Déby regiert, ohne dass die Menschen reagieren. Wenn die grundlegenden Probleme nicht gelöst werden, dann kommt dieses Land nicht voran. Und dann wir es explodieren."