Dienstag, 19. März 2024

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Umweltministerin Schulze zu EU-Agrarreform
"Wir wollen weniger Pestizide"

Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat die Beschlüsse der EU-Agrarminister für eine Agrarreform als kleinsten gemeinsamen Nenner kritisiert. Agrarförderungen seien damit noch zu wenig an Natur- und Tierschutzstandards gebunden, sagte Schulz im Dlf. Die Umweltminister müssten nun gegensteuern.

Svenja Schulze im Gespräch mit Stephanie Rohde | 23.10.2020
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) im Bundestag
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) im Bundestag (picture alliance/ flashpic/ Jens Krick)
"Was rausgekommen ist, ist eben nicht das, was ich mir wünsche unter der Überschrift European Green Deal", sagte die SPD-Politikerin Svenja Schulze im Deutschlandfunk. Der Green Deal soll dazu beitragen, dass Europa im Jahr 2050 erster klimaneutraler Kontinent wird. Mit Blick auf den von Julia Klöcker (CDU) erzielten Kompromiss bei der Agrarreform sagte Schulze, Landwirtschaft sei aber nicht per se klima- oder umweltfreundlich.
EON Steinkohlekraftwerk Scholven, Gelsenkirchen, Windkraftwerke, Ruhrgebiet 
Die EU ringt um ihre Klimaschutzziele
Die EU-Kommission will Europa bis 2050 zum treibhausgasneutralen Kontinent machen. Ein ambitioniertes Ziel, das nur erreicht werden kann, wenn der Treibhausgasausstoß schärfer abgesenkt wird, als bislang geplant. Die Bundesregierung soll den Kompromiss ermöglichen – die Zeit drängt.
Die EU-Umweltminister würden im Umweltrat gegensteuern. Klar sei, dass sie "deutlich weniger Pestizide, möglichst Halbierung, weniger Antibiotika in der Tierzucht, weniger Gülle-Einsatz und und mehr Schutzgebiete auf dem Land und auf dem Meer" wollen.
"Unser Ziel ist es, dass etwa ein Drittel der Landes- und der Meeresfläche in der EU besonders geschützt wird. Und ich bin frohen Mutes, dass wir es schaffen werden, die Biodiversitätsstrategie zu verabschieden und damit eben auch deutlich andere Rahmenbedingungen nach vorne zu bringen", sagte die Bundesumweltministerin mit Blick auf das Treffen der Umweltminister der Europäischen Union in Luxemburg.
Stephanie Rhode Julia Klöckner lobt die Reform der Agrarpolitik, die Umweltverbände sind entsetzt – Sie auch?
Svenja Schulze: Na ja, erst mal sieht man nach der Entscheidung des Agrarrates vor allen Dingen eins: Es kommt jetzt sehr darauf an, wie das in Deutschland umgesetzt wird und ob wir es denn wirklich schaffen, die Agrarförderung an Umwelt-, an Naturschutz-, an Tierschutzstandards zu binden, das ist bisher in der Entscheidung auf der europäischen Ebene so noch nicht drin. Das, was die EU-Agrarminister aus meiner Sicht geschafft haben, ist der kleinste gemeinsame Nenner, und das angesichts der Riesenprobleme, die wir haben. Wir haben einen Verlust an Schmetterlingen, an Wildbienen, wir haben einen Verlust an Vögeln. 80 Prozent der Naturfläche in der EU sind in einem schlechten Zustand – das hat gerade der Naturschutzbericht der europäischen Umweltagentur noch einmal bestätigt. Da muss eigentlich viel mehr getan werden, und da setze ich jetzt darauf, dass wir das mit den Umweltministerinnen und -ministern schaffen.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner am 20.10.2020 im Rahmen EU-Agrarrats in Luxemburg
Klöckner (CDU) - EU-Agrarreform ist "alles andere als ein Weiter so"
Im Kompromiss des EU-Ministerrats sieht Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner einen Systemwechsel. Öko-Auflagen seien wichtig, man dürfe aber auch die Ernährungssicherung nicht vergessen.
"Landwirtschaft ist nicht per se klima- oder umweltfreundlich"
Rohde: Genau, darauf schauen wir gleich noch. Ich höre daraus, Sie sind enttäuscht, wenn Sie davon sprechen, dass das der kleinste gemeinsame Nenner war. Julia Klöckner hätte also mehr rausholen müssen für den Umweltschutz und den Tierschutz.
Schulze: Ich glaube, das ist auf der europäischen Ebene gar nicht so einfach, aber das, was hier jetzt rausgekommen ist, ist eben nicht das, was ich mir wünsche unter der Überschrift "European Green Deal", also wir richten uns jetzt stärker an Umwelt- und an Klimapolitik aus. Ich will das mal an einem Beispiel festmachen. So was wie dichte Maisfelder mit Tierpestizid- und Gülleeinsatz, das kann ja jetzt nicht mehr das Leitbild für die Zukunft sein. Wenn ich mir das jetzt aber in den Beschlüssen der Agrarreform ansehe, dann scheint das noch nicht überall in Europa angekommen zu sein. Es ist nämlich jetzt so, egal ob man Mais anbaut oder ob man aus einem Moorboden – also etwas, was CO2 speichert –, ob man daraus jetzt wieder landwirtschaftliche Flächen macht, das ist alles jetzt Klimaschutz, weil pauschal gesagt wird, 40 Prozent dessen, was da gezahlt wird, ist ein Klimaschutzbeitrag. Das sehe ich so nicht. Landwirtschaft ist nicht per se klima- oder umweltfreundlich.
"Was die Umweltminister wollen, ist ganz klar deutlich weniger Pestizide"
Rohde: Also heißt das, was Julia Klöckner da rausgehandelt hat, diese reformierte Agrarpolitik, die sich abzeichnet, die wird der Umwelt schaden Ihrer Meinung.
Schulze: Na, wir werden jetzt im Umweltrat da gegensteuern. Wir werden heute …
Rohde: Weil Sie glauben, dass es der Umwelt schadet.
Schulze: Ja, wir werden heute die Biodiversitätsstrategie im Umweltrat diskutieren, und das, was die Umweltminister wollen, ist ganz klar deutlich weniger Pestizide, möglichst eine Halbierung, weniger Antibiotika in der Tierzucht, weniger Gülleeinsatz und mehr Schutzgebiete auf dem Land und auf dem Meer. Unser Ziel ist, dass etwa ein Drittel der Landes- und der Meeresfläche in der EU besonders geschützt wird, und ich bin frohen Mutes, dass wir es heute schaffen werden, die Biodiversitätsstrategie zu verabschieden, um damit eben auch deutlich andere Rahmenbedingungen nach vorne zu bringen.
Ansicht des Walchensee-Kraftwerks direkt am See zwischen bewaldeten Hügeln gelegen.
Europas Kampf gegen den Klimawandel
Für EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist die Begrenzung der Erderwärmung eines der Top-Themen ihrer Amtszeit. Ihr sogenannter Green Deal soll dazu beitragen, dass Europa im Jahr 2050 erster klimaneutraler Kontinent wird. Um das zu schaffen, müssen bisherige Klimaziele verschärft werden.
Rohde: Ja, aber da stellt sich ja die Frage, was bringt so ein Bekenntnis zur Artenvielfalt, wenn die EU gleichzeitig mit Milliarden die Zerstörer derselben weiter finanziert.
Schulze: Das kann eben so einfach nicht weitergehen, und das müssen jetzt jeweils in den einzelnen Staaten, in den Plänen muss das anders umgesetzt werden, weil wir haben ja da einen Partner auf unserer Seite, jedenfalls die, die für die biologische Vielfalt, für den Artenschutz stehen. Das sind nämlich Landwirte und es sind Landfrauen, nämlich diejenigen, die artgerechte Tierhaltung haben, die Streuobstwiesen haben, die Moore erhalten oder Weinbauern, die an steilen Hanglagen und ganz erschwerten Bedingungen Weinberge halten. Diese ganze Arbeit, die muss sich in Zukunft lohnen, davon muss man leben können, und dafür muss sich die Agrarförderung verändern. Das können wir in der Umsetzung der Agrarreform in Deutschland sicherstellen, und darum wird jetzt die nächste Auseinandersetzung gehen.
"Wir müssen jetzt umsteuern"
Rohde: Genau, aber wie können Sie das denn sicherstellen in Deutschland, also wie wollen Sie Landwirtinnen und Landwirte zu Umweltschutz bewegen, wenn die Ihnen sagen, würden wir gerne machen, aber dann sind wir erstens nicht mehr wettbewerbsfähig in der EU und die Menschen kaufen auch biologische Produkte weniger.
Schulze: Das stimmt ja so nicht, es werden sehr viele biologische Produkte gekauft. Der Absatzmarkt ist …
Rohde: Aber der Anteil ist immer noch relativ gering, so argumentiert zumindest der Bauernverband .
Schulze: Ja, aber der Absatzmarkt ist steigend und ist gut, und man muss sich halt auch einfach mal ansehen, was wir für die Reparatur bezahlen. Was verlieren wir in Deutschland, wenn wir die Insekten, wenn wir die Bestäuber verlieren? Dann wird es keinen Obstanbau mehr geben, dann wird es die Landwirtschaft, wie wir sie heute kennen, überhaupt nicht mehr geben können, und deswegen müssen wir jetzt umsteuern, weil die anderen Kosten, die Reparaturkosten, die werden einfach viel zu hoch. Dieses Einsicht setzt sich auch bei vielen, vielen durch, ich sehe viele, die in der Landwirtschaft da inzwischen umsteuern wollen. Wir können mit der Umsetzung der Agrarreform in Deutschland sehr wohl dafür sorgen, dass die für diese gesellschaftliche Leistung, die sie da bringen, eben auch mehr Geld bekommen.
"Wir können deutlich mehr für Umwelt-, für Klima-, für Naturschutz tun"
Rohde: Ja, aber es setzt sich gerade auch der Eindruck fest, dass Sie es mit guten Worten versuchen tatsächlich, andererseits hat man die Milliarden der EU, die weiter fließen. Ist das nicht letztlich das Gewichtigere und das Entscheidendere?
Schulze: Die Frage ist ja, wie diese Milliarden fließen, und das ist jetzt auf der europäischen Ebene nicht abschließend festgelegt worden, da wird es noch weitere Verhandlungen jetzt ja mit dem Europäischen Parlament geben, wo ich noch auf Verbesserungen hoffe. Und wir können eben in der Art, wie wir das national umsetzen – da haben wir jetzt sehr viel Spielraum –, da können wir deutlich mehr für Umwelt-, für Klima-, für Naturschutz tun.
Rohde: Und wenn Deutschland das denn schafft, also sich ehrgeizige Ziele setzt, Maßnahmen auch umsetzt, was bringt das, würden Sie sagen als Umweltministerin, für den Umweltschutz in der EU, wenn viele andere Staaten nicht mitmachen?
Schulze: Na ja, das sind ja einige, die das auch so sehen und die auch mitmachen, und ich glaube, dass das ein ganz, ganz wichtiges Zeichen ist, wenn wir da zeigen, wie das geht, wie man mit weniger Pestiziden Landwirtschaft betreiben kann, wie man sich im Klimaschutz auch in der Landwirtschaft voranbringen kann. Auch dort wird CO2 emittiert, auch dort müssen wir etwas tun, um die Böden dazu zu bringen, Humus zu bilden und damit eben auch CO2 wieder zu binden. Da ist eine Menge mehr möglich, und wir werden in Deutschland die Diskussion brauchen. Wir brauchen mehr regenerative Energien, auch dafür brauchen wir die Unterstützung der Landwirtinnen und Landwirte. Auch da sieht man ja, es gibt eine Bewegung hin zu mehr Erneuerbaren, das muss alles nur noch mehr werden und noch stärker werden.
"Wir haben die Verantwortung, das voranzubringen"
Rohde: Und wie genau wollen Sie jetzt Länder wie Polen, Tschechien, Ungarn und Bulgarien im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft überzeugen davon, dass das, was Sie wollen, richtig ist?
Schulze: Auch diese Länder haben Umweltminister, und auch diese Länder sitzen mit mir in der Umweltminister- und -ministerinnenkonferenz, und auch die – so sieht es jedenfalls heute Morgen noch aus – unterstützen diese Strategie für mehr Biodiversität. Das heißt, da sind wir uns einig, wir wollen das gemeinsam voranbringen, und das heißt, die müssen auch jeweils in ihren Ländern wieder mit dafür sorgen, dass die Landwirtschaft da in die richtige Richtung geht, dass der Ausbau der Erneuerbaren weitergeht, damit sich über die Klimaveränderungen hier nicht noch mehr zum Schlechten sozusagen wandelt.
Rohde: Wie sieht das auf der höheren Ebene aus, also von den Staats- und Regierungschefinnen und -chefs? Bei dem EU-Gipfel im Dezember braucht man ja eine einstimmige Entscheidung, um tatsächlich dieses ambitionierte Ziel umsetzen zu können, 55 Prozent der CO2-Emissionen zu reduzieren. Gehen Sie davon aus, dass Sie alle überzeugt bekommen?
Schulze: Wir sind jedenfalls schon große Schritte weitergekommen. Man kann das ja alleine nur bei uns in Deutschland sehen: Als es die SPD geschafft hat, zum Beispiel das 65-Prozent-Erneuerbare-Ziel, also dass wir 65 Prozent Erneuerbare in 2030 haben wollen, in den Koalitionsvertrag zu kriegen, da war das noch eine Riesengeschichte. Jetzt sieht man, die Welt hat sich weitergedreht, wir wollen Elektroautos fahren, es soll Wasserstoff als neuer Stoff sozusagen für die chemische Industrie, für die Zementindustrie, für die Stahlindustrie auch in Deutschland produziert werden – da werden wir mehr Erneuerbare brauchen, wir brauchen Wärmepumpen in der Produktion. All das sorgt dafür, dass wir mehr Erneuerbare brauchen, dass wir 75, vielleicht sogar 80 Prozent in 2030 brauchen, und diese Diskussion läuft gerade und hat eben auch viele, viele Befürworter – das werden wir jetzt in der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in Deutschland sehen. Und genauso ist auch die Entwicklung auf der europäischen Ebene, da hat sich in den letzten Monaten viel getan, wir haben sehr, sehr viele Gespräche geführt. Das wird nicht einfach, das wird kein einfacher Weg werden, aber wir haben jetzt die Präsidentschaft, wir haben die Verantwortung, das voranzubringen, und wir werden alle daran arbeiten, dass das im Dezember auch klappt.
"Was wir da auf den Weg gebracht haben, ich finde, das kann sich sehen lassen"
Rohde: Das heißt, Sie halten das 55-Prozent-Ziel nicht für illusorisch auch vor dem Hintergrund der sich jetzt abzeichnenden Agrarpolitik?
Schulze: Nein, ich halte das nicht für illusorisch. Das ist nicht einfach, das Parlament will ja sogar noch deutlich mehr, aber es wird kein einfacher Weg, wir werden noch viele, viele Gespräche führen müssen, aber dafür haben wir ja auch den Rest des Oktobers, den November und den Anfang des Dezembers.
Rohde: Die Grünen werfen Ihnen vor, dass im EU-Haushalt – worüber ja auch gerade gestritten wird – für den Klimaschutz weniger Geld ausgegeben werden soll, als das mal ursprünglich geplant war. Stimmt das?
Schulze: Wir haben so viel Geld für den Klimaschutz jetzt zur Verfügung wie noch niemals zuvor. Wir haben in Deutschland ein großes Paket auf den Weg gebracht – einmal im letzten Jahr mit unserem Klimaschutzprogramm und dann jetzt ja noch mal mit dem Konjunkturpaket, wo auch noch mal eine sehr große Milliardensumme für den Klimaschutz ist, und auch auf der europäischen Ebene haben wir so viele Mittel zur Verfügung, wie das noch niemals zuvor der Fall war. Diese Kritik kann ich wirklich nicht verstehen, das ist keine Alleinregierung von Grünen und Sozialdemokraten, da sind auch noch ein paar andere bei, und was wir da auf den Weg gebracht haben, ich finde, das kann sich sehen lassen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.