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EU-Boykott der UNO-Anti-Rassismus-Konferenz droht

Deutschland und andere EU-Länder werden möglicherweise die UNO-Anti-Rassismuskonferenz in Genf nächste Woche boykottieren. Streitpunkt ist unter anderem die Verurteilung Israels für die Besetzung der Palästinensergebiete im Schlussdokument. Der Menschenrechtler Heiner Bielefeldt warnt vor einem Boykott, der dem anreisenden israelfeindlichen Präsident Irans, Ahmadinedschad, eine Bühne böte.

Heiner Bielefeldt im Gespräch mit Elke Durak |
    Elke Durak: Soll man nun an der Anti-Rassismus-Konferenz der UNO kommende Woche in Genf teilnehmen oder soll man nicht? Das ist eine schwierige Frage für viele Regierungen, auch für deutsche. Heute könnte eine Entscheidung fallen, EU-weit sogar. Auch die USA machen ihre Teilnahme von bestimmten Bedingungen abhängig. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Günter Nooke meint, man sollte besser nicht teilnehmen, und er nennt folgende Gründe:

    Günter Nooke: Es sind anti-israelische Demonstration im Umfeld in Genf für das Wochenende angekündigt, und es ist leider so, dass auch ein Ahmadinedschad natürlich kein glaubwürdiger Vertreter ist für den Kampf gegen den Rassismus. Wenn er dort als iranischer Präsident vielleicht eine wichtige Rede hält und Israel beschimpft, dann ist es auch schwierig für EU-Staaten, dort im Raum sitzen zu bleiben.

    Durak: Nun ist Heiner Bielefeldt am Telefon, der Direktor des Instituts für Menschenrechte, des Deutschen Instituts für Menschenrechte, eine unabhängige Einrichtung, die aber von der Bundesregierung auch mit finanziert wird. Guten Morgen, Herr Bielefeldt!

    Heiner Bielefeldt: Guten Morgen, Frau Durak!

    Durak: Sollte Deutschland an der Konferenz teilnehmen oder doch besser nicht, wie Herr Nooke meint?

    Bielefeldt: Unsere Position als Deutsches Institut für Menschenrechte ist, Deutschland, auch andere EU-Staaten sollten teilnehmen, sollten mitreden, sollten eine Figur wie Ahmadinedschad, die natürlich keine glaubwürdige Vertretung der Menschenrechte darstellt, auch sozusagen kritisch in die Schranken weisen – aktive Mitwirkung, so lange es möglich ist. Zu jedem ernsthaften Gespräch gehört natürlich auch immer die Option, sich in Grenzfällen zurückzuziehen. Ich glaube, der Zeitpunkt für einen Boykott wäre jetzt aber nicht richtig gewählt.

    Durak: Welchen Schaden würde ein Boykott anrichten?

    Bielefeldt: Ich glaube, er würde der Menschenrechtspolitik der UNO insgesamt großen Schaden zufügen, wenn er zum falschen Zeitpunkt erfolgt. Wir haben ja so im Augenblick die Situation, dass das Vorbereitungsdokument, auf dessen Grundlage jetzt im Moment beraten wird, eigentlich die meisten Steine des Anstoßes, die es gegeben hat, nicht mehr enthält. Also es gibt nicht mehr die Verurteilung Israels, es gibt nicht mehr die Passagen, die gelesen werden mussten als eine Form der Einschränkung der Meinungsfreiheit, zumindest ist es nicht mehr so scharf. Da gibt es sicher noch Diskussionspunkte. Aber ich glaube, die entscheidenden, mit Recht im Vorfeld angesprochenen schwierigen Punkte sind weitgehend bereinigt. Wir haben jetzt eigentlich eine Grundlage, die es wenig plausibel macht, einen Boykott zu erklären. Ich stimme Herrn Nooke natürlich zu, dass es unerträglich ist, wenn im Vorfeld der Konferenz anti-israelische Demonstrationen stattfinden. Die Frage ist aber, ob man sich wirklich von dorther eine Agenda diktieren lassen muss. Ich wäre dafür, dass europäische Staaten, auch Deutschland, selbstbewusst, gut vorbereitet mitwirken, um also auch allen etwaigen Tendenzen einer Relativierung des Holocaust entschieden entgegenzutreten. Also aktive Mitwirkung.

    Durak: Was heißt, gut vorbereitet?

    Bielefeldt: Gut vorbereitet, heißt zum Beispiel, dass man sich auch überlegt, wo die internen roten Linien sind – das sagt man ja nicht ganz offen, wo das ist. Aber ich habe eben ja schon angedeutet, bei jedem Gespräch muss man auch damit rechnen, dass es scheitern kann und dass man sich sozusagen Rückzugsoptionen ausdrücklich offenhält, um ganz klar zu demonstrieren: Einseitige Verurteilungen Israels sind nicht akzeptabel, irgendwelche Relativierungen des Holocaust sind nicht akzeptabel. Übrigens, das Grundlagendokument, auf das die Konferenz sich insgesamt bezieht, nämlich das Dokument gegen Rassismus von Durban 2001, enthält ganz klar die Aussage, der Holocaust darf nicht vergessen werden. Auch das ist zum Beispiel eine Botschaft, die muss man sehr klar im Blick haben, hat die Bundesregierung sicher auch ganz klar im Blick. Und wenn es da irgendwo wackeln sollte, dann muss man sich schon überlegen, ob man den Rückzug antritt. Das sehr zeitig vorliegende Dokument, an dem ja Tag für Tag gearbeitet wird, enthält aber eben keine Hinweise in dieser Richtung. Insofern fände ich es merkwürdig, jetzt zu diesem Zeitpunkt einen Boykott zu erklären.

    Durak: Angenommen, die Konferenz findet statt, Deutschland und die anderen EU-Staaten auch, die USA, alle nehmen teil, dann Auftritt Ahmadinedschad, wie man den iranischen Präsidenten kennt, und er leugnet wieder den Holocaust. Was dann?

    Bielefeldt: Na ja, also man muss ihm natürlich nicht die Ehre erweisen, dann dabei zu sein. Ich will im Vorfeld aber sagen, dass Ahmadinedschad jetzt so die Bühne für sich hat, ist natürlich auch Resultat einer etwas allzu defensiven Politik der EU. Es gibt ja niemanden aus den EU-Staaten im Range eines Regierungschefs, eines Präsidenten oder auch nur eines Außenministers, der teilnehmen würde. Also von daher jetzt die völlig unangemessene Aufmerksamkeit, die Ahmadinedschad genießen wird möglicherweise, das ist natürlich jetzt sehr, sehr schlecht gelaufen. Das hat eben damit zu tun, dass auch seitens der westlichen Staaten sozusagen zu wenig aktiv investiert worden ist, zu wenig hochrangige Politiker schon gesagt haben, wir werden dabei sein, und zwar eben auch den Mund aufmachen, und die in der Tat ja zu erwartenden unerträglichen Töne des iranischen Präsidenten dann in die Schranken zu weisen, klaren Widerspruch artikulieren. Also hier hätte im Vorfeld schon mehr passieren müssen. Wie die Dinge jetzt im Augenblick liegen, wäre ich etwa dafür, dass man dann bei der Pressekonferenz, die der iranische Staatspräsident geben wird, ihm nicht die Ehre erweist, dann da diplomatisch präsent zu sein.

    Durak: Das verstehe ich jetzt aber nicht. Einerseits sagen Sie, so ein entschärftes Abschlussdokument, das sei das Richtige, und zum anderen sagen Sie jetzt, man hätte im Vorfeld schärfer gegen Ahmadinedschad vorgehen sollen.

    Bielefeldt: Na ja, das eine schließt das andere nicht aus. Ich glaube, der Text des Dokuments, das den augenblicklichen Stand der Beratungen repräsentiert, das ist schon ganz in Ordnung. Also da ist im März ein Durchbruch passiert, Mitte März, da haben sich viele ins Zeug gelegt, um jetzt doch eine bessere Grundlage zu schaffen. Das ist, glaube ich, schon ein Stück auch Erfolgsgeschichte, man wird sehen, ob es durchhaltbar ist. Also eine Konferenz ist ja immer eine Geschichte, bei der man mit Überraschungen rechnen muss. Das ist das eine. Das andere ist da die Präsenz von bestimmten Figuren, die sind ja nicht an Redetexte gebunden. Und bei Ahmadinedschad muss man natürlich mit allem rechnen und muss sich natürlich dann eben auch drauf einstellen, dass da in der Tat unerträglicher Unsinn geredet wird, auch menschenrechtlich unerträglicher Unsinn, etwa über den Holocaust, da ist er ja nun einschlägig vorbelastet. Also gegen Ahmadinedschad vorzugehen, ist das eine, ihm auch nicht einfach die Bühne überlassen, das ist das eine. Dann eine vernünftige Textgrundlage weiter auszuarbeiten, ist das andere. Und ich würde eben sagen, Letzteres ist doch zu einem guten Teil schon gelungen.

    Durak: Herr Bielefeldt, was soll denn eigentlich das Ziel noch dieser Anti-Rassismus-Konferenz sein, wenn man sich jetzt schon auf den allerkleinsten gemeinsamen Nenner zueinigt sozusagen?

    Bielefeldt: Nun, die Konferenz, die damals in Durban 2001 stattgefunden hat, war ein interessanter Durchbruch in manchen Fragen, also wie jede dieser Konferenzen auch nicht frei von Widersprüchen, nicht frei auch von problematischen Tendenzen. Es ist aber nie zuvor in dieser Deutlichkeit gesagt worden, dass Sklaverei, dass Rassismus, dass Kolonialismus Formen von Menschenrechtsverletzungen sind, die auch die Glaubwürdigkeit der Menschenrechtsagenda lange Zeit sehr stark beeinträchtigt haben. Also das war schon ein wichtiger Durchbruch. Übrigens, entgegen manchen Legenden ist damals nicht das Existenzrecht Israels abgesprochen worden, da wird auch manchmal einiger Unsinn behauptet aktuell. Auch eben die Erwähnung des Holocaust ist in diesem Dokument enthalten. Jetzt geht es darum, etwas durchzuführen, was damals auch im Blick war, nämlich zu schauen, was ist draus geworden. Sieben Jahre, siebeneinhalb Jahre nach dieser Konferenz von Durban 2001, Herbst 2001, haben die Staaten auch zum Teil Berichte vorgelegt, was die in der Umsetzung des Kampfes gegen Rassismus geleistet haben. Und das soll nun evaluiert werden. Das ist Sinn der Übung, dazu hat die Generalversammlung der UNO einen entsprechenden Beschluss gefasst. Und man kann nur hoffen, dass jetzt das Thema wirksame Bekämpfung des Rassismus, auch des Antisemitismus insbesondere, nun tatsächlich auf der Konferenz angemessen debattiert wird und man sich nicht nun ganz damit aufhält, sozusagen im Vorfeld Konflikte aus dem Wege zu räumen.

    Durak: Kurze Frage zum Schluss: Wer soll hinfahren? Frau Merkel, Herr Steinmeier oder Herr Nooke oder wer?

    Bielefeldt: Nun, das ist nicht ein Punkt, den ich selber so entscheiden möchte oder zu dem ich auch nur eine ganz scharfe, klare Meinung hätte. Ich finde es generell wichtig, dass auch die EU-Staaten – das müssen ja nicht alle sein –, aber beispielsweise die EU-Ratspräsidentschaft sehr hochrangig, sehr hochrangig vertreten ist. Also weil es natürlich insgesamt ein schiefes Bild abgibt, wenn der Iran mit einem Präsidenten vertreten ist, der dann natürlich auch noch mal ganz besonders die Bühne hat, während bei den europäischen Staaten kein Einziger im Range eines Präsidenten, Ministerpräsidenten, Regierungschefs oder ich glaube auch nur Außenministers da wäre. Also auch die Europäer sollten hochrangig vertreten sein, das müssen die aber untereinander ausmachen, da ist viel Flexibilität möglich. Also ich habe insofern hier keine sehr konkrete Empfehlung, wer seitens der Bundesregierung da hinreisen soll.

    Durak: War ja auch nur ein Versuch, Herr Bielefeldt! Danke schön, Heiner Bielefeldt, Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte.