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EU-Erweiterungen abhängig von Subventionen an Spanien?

    Heinemann: In welchem Körperteil ist Europa angesiedelt? Bei Helmut Kohl ist das klar; der Mann war immer mit dem Herzen dabei. Bei anderen ist es eher die aufgehaltene Hand. Altmeisterin dieser Gruppe war Margaret Thatcher. Einer ihrer Nachfolger ist offenbar Jose Maria Aznar. "Ich will die Rechnung nicht bezahlen", meint der spanische Ministerpräsident, klingt fast so wie das legendäre "ich will mein Geld zurück" der Dame mit der Handtasche. Worum geht es? - Beim Berliner EU-Gipfel wurde vor zwei Jahren in der "Agenda 2000" unter anderem festgelegt, dass Spanien bis 2006 mit rund 55 Milliarden Euro subventioniert wird. Offiziell spricht man von "Strukturhilfen". Allein Spanien bekommt damit etwa so viel wie alle Beitrittskandidaten zusammen. Die Spanier drohen nun damit, ihre Zustimmung zur Erweiterung der Union von einer verbindlichen Zusage für einen entsprechenden Geldsegen nach 2006 abhängig zu machen. Ab 2006 gilt die nächste Finanzplanung der EU. Um in Osteuropa nicht als Buhmann dazustehen, setzt sich die Regierung in Madrid gegen eine Begrenzung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern ein, wohl wissend, dass sich wohl die wenigsten der wanderungsbereiten Arbeitskräfte aus osteuropäischen Staaten in Richtung iberische Halbinsel auf den Weg machen werden. Vor dieser Sendung haben wir mit Barbara Dührkop gesprochen. Sie ist Abgeordnete der spanischen Sozialisten im Europäischen Parlament. Meine Frage: Wird Ministerpräsident Aznar die Erweiterung der Europäischen Union blockieren, wenn Spanien nach 2006 nicht ebenso viel Geld bekommt wie vorher?

    Dührkop: Leider Gottes ist das wohl sozusagen, was er heute durchblicken lässt. Aber ich kann Ihnen versichern, dass von unserem Standpunkt aus wir als Sozialisten der Meinung sind, dass es viel zu frühzeitig ist, überhaupt diese Frage aufzugreifen, da 2006 ja sowieso die Finanzperspektiven überarbeitet werden müssen. Ich glaube es wäre sehr unklug, so etwas zu versuchen. Ich glaube, dass Präsident Aznar einen Warnschuss geben möchte. Ich glaube, dass seine Europa-Politik überhaupt nicht den Namen verdient. Ich kann mir nicht vorstellen, wenn es nachher wirklich hart auf hart kommt, dass er so eine Position einnehmen kann. Das wäre für Spanien wirklich ein Armutszeichen.

    Heinemann: Ist seine Haltung in Spanien populär?

    Dührkop: Das kann man wohl nicht sagen. Ich glaube das wirkt eher etwas verwirrend. Die normalen Menschen auf der Straße können sich auch nichts darunter vorstellen, was das eigentlich heißt. Man sagt sich, warum erzürnt er jetzt den Rest von Europa.

    Heinemann: Frau

    Dührkop , haben sich die Spanier vielleicht zu sehr an die Milliarden aus Brüssel gewöhnt?

    Dührkop: Ich würde nicht sagen, dass man sich daran gewöhnt hat. Ich glaube man muss auch immer gerecht bleiben. In dem Sinne, wo es 2006 notwendig sein wird, werden dann auch die Ziffern so klar sein, dass die Millionen weiterhin fließen müssten. Andererseits glaube ich aber auch, dass jeder Spanier sich bewusst ist, dass das Ziel des ganzen Fondssystem eigentlich ist, aus dem Fonds herauszutreten, weil das bedeutet, dass man es ökonomisch geschafft hat. Ich glaube in dem Sinne haben wir uns nicht daran gewöhnt.

    Heinemann: Unterstützen denn die spanischen Sozialisten die Vorstellung etwa von Bundeskanzler Schröder, der ja meint, dass die gesamten Fonds irgendwann auslaufen müssten?

    Dührkop: Wenn das ein System ist in dem Sinne, dass man auf diese Art und Weise schrittweise dort heraus kommt beziehungsweise umverlegt wird oder mal darüber nachgedacht wird, dann glaube ich nicht, dass die spanischen Sozialisten, also wir, nicht mit dem einverstanden sein könnten. Was nicht sein kann - und dem sind wir uns wohl alle bewusst, auch Kanzler Schröder -, dass das von heute auf morgen geschehen kann. Das wäre für eine Regionen Spaniens natürlich eine Katastrophe. Aber so habe ich auch nicht die Botschaft von Herrn Schröder vernommen, auch die Sozialisten hier nicht, sondern eher langfristig und auf lange Sicht zu schauen, dass das ganze System umgebastelt wird beziehungsweise auslaufen muss.

    Heinemann: An welchen Zeitraum denken Sie etwa?

    Dührkop: Ich glaube, dass innerhalb der nächsten Finanzperspektive der Anfang gesetzt werden muss.

    Heinemann: Also ab 2006?

    Dührkop: Genau. 2006 kommen ja die neuen Finanzperspektiven. Wir sehen, dass man den Fonds auch nicht isoliert oder abseits der ganzen Europa-Finanzierung sehen darf. Das ist alles ein Paket. Das müsste glaube ich auch in engem Zusammenhang stehen, dass man vielleicht die Grundsatzfrage wieder stellt: was muss die Union unbedingt machen? Wenn wir uns dort einig werden, was eigentlich Unionspolitik sein müsste, dann müssen wir von dort nachher schauen, wie viel Geld brauchen wir dazu.

    Heinemann: Ab Januar 2002 übernimmt Madrid den Vorsitz. Was erwarten Sie von der spanischen EU-Ratspräsidentschaft?

    Dührkop: Was ich als Sozialistin hauptsächlich erwarte ist, dass wir endlich mal wieder eine klare, konkrete und vor allen Dingen progressive EU-Politik fahren können. Das was unser Ministerpräsident zur Zeit macht, macht uns nicht nur unbeliebt, sondern zeigt auch, dass er von Europa sehr wenig Ahnung hat. Hoffentlich werden seine Berater ihm in der Präsidentschaft auf einen anderen Weg bringen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man eine Präsidentschaft übernehmen kann, indem man praktisch mit allen Partnern bis auf Berlusconi entzürnt ist.

    Heinemann: Das Gespräch mit der spanischen Europaabgeordneten Barbara

    Dührkop haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet. - Mitgehört hat der CDU-Politiker Elmar Brok, der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Europäischen Parlaments. Guten Morgen!

    Brok: Guten Morgen.

    Heinemann: Herr Brok, droht eine Blockade der EU-Erweiterung?

    Brok: Es hört sich manchmal so an, was Jose Maria Aznar dort zum Ausdruck bringt, indem er die Frage der Finanzierung der spanischen Strukturfonds über 2006 jetzt im Zusammenhang mit den Erweiterungsfragen bringt. In der Tat soll dieses erst 2006 neu verhandelt werden. Bis 2006 sind die Geldmittel sowohl für die heutigen Länder als auch für die Beitrittskandidaten eigentlich verbindlich verteilt.

    Heinemann: Und womit rechnen Sie?

    Brok: Ich kann mir vorstellen, dass er verlangt, dass die anderen 14 Regierungen eine Willenserklärung abgeben, dass Spanien auch über 2006 hinaus im höheren Umfange Gelder bekommt. Mit dieser Zusage ist er dann in einer starken Position, denn leider Gottes hat man ihm zugebilligt, dass bei der Verhandlung für die nächste Finanzrunde im Jahre 2006 Spanien auch das Veto hat. Von daher hat er auf 2006 blickend schon eine sehr starke Waffe in der Hand.

    Heinemann: Sollten sich die anderen 14 darauf einlassen?

    Brok: Nein, denn ich bin sogar der Auffassung, dass wir in den Folgeverhandlungen zu Nizza, die im Dezember eröffnet werden sollen, in dieser Frage auch das Mehrheitsprinzip durchsetzen sollten, denn wenn in solchen Fragen in Zukunft 27 Länder ein Vetoprinzip haben, denn auch Beitrittskandidaten wie Polen haben bei der Verteilung dieser Gelder das Vetoprinzip, dann könnte das eine sehr teuere Veranstaltung werden.

    Heinemann: Herr Brok, kann man von einem Erpressungsversuch sprechen?

    Brok: Für mich ist es schon sehr hart zu sehen, dass Spanien den Beitritt von neuen Ländern im Zusammenhang mit der Durchsetzung der bisherigen Förderung für Spanien selbst in Verbindung bringt. Das hört sich genauso an, wie Frankreich und Italien in den 80er Jahren gegen den spanischen Beitritt argumentiert haben. Ich glaube, dass es nicht die feine Art ist, dass man sich damals hat in die EU hieven lassen und nachdem man selbst drin ist versucht, ein Stückchen die Tore zuzumachen.

    Heinemann: Wie denken Ihre spanischen Kollegen in der Europäischen Volkspartei über Ministerpräsident Aznars Haltung?

    Brok: Sie unterstützen ihn natürlich. Ich bin davon überzeugt, trotz allem was Frau Barbara

    Dührkop gesagt hat, dass ihn die Sozialisten auch unterstützen werden, denn die Politik Philippe Gonzales, des Vorgängers von Aznar, war hier in dieser Frage der Finanzierung Spaniens nicht furchtbar viel anders.

    Heinemann: Da ist also das spanische Hemd näher als die europäische Jacke?

    Brok: Wir müssen sehen, dass in dieser Frage Spanien doch ein gewisses Maß an Unerbittlichkeit hat. Diese Gelder sind dazu da, schwachen Regionen in Europa zu helfen, wettbewerbsfähig zu werden auf dem Binnenmarkt. Spanien hat in den letzten 15 Jahren ungeheueren Nutzen von diesen Strukturhilfen gehabt. Die Entwicklung Spaniens ist so positiv, dass es jetzt auch zur Solidarität gehören sollte, dass andere viel ärmere Regionen Europas ihren Anteil davon haben können.

    Heinemann: Ist das Ergebnis von Strukturfonds auch eine Subventionsmentalität?

    Brok: Es ist leider Gottes so - wir haben das ja in Deutschland im Frühjahr auch schon oft mit Subventionen besprochen -, dass es sinnvoll wäre, bei Subventionen sofort eine degressive Regelung zu haben, so dass man weiß, zu einem gewissen Zeitpunkt laufen sie aus und man gewöhnt sich an dieses Auslaufen und bereitet sich darauf vor. Aber wenn eine solche Regelung nicht vorgesehen ist, dann meint man, man hätte immer währenden Anspruch darauf und kann sich gar nicht vorstellen, ohne diese Gelder zu leben.

    Heinemann: Herr Brok, betrachtet man Ausgaben und Einnahmen, so stammen rund 60 Prozent des EU-Haushaltes aus Deutschland. Rechnen Sie damit, dass es ab 2006 eine gerechtere Lastenverteilung geben wird?

    Brok: Ich glaube so kann man dieses nicht sehen, denn die Gelder werden ja bezahlt aufgrund der Größe eines Landes und der wirtschaftlichen Stärke eines Landes gemessen am Bruttosozialprodukt. Insofern zahlt Deutschland in der Europäischen Union genau das, was das Bruttosozialprodukt ausmacht. Nur müssen wir das eine dabei sehen: Die Rückläufe an Deutschland werden sich noch verringern, weil natürlich bei einem Beitritt von Polen und anderen ärmeren Ländern genauso die Strukturhilfen der neuen Bundesländer zur Diskussion stehen. Dies ist ja nicht nur ein Auslaufen oder Verringern der Strukturhilfen für Spanien, sondern auch für bestimmte Regionen in Deutschland.

    Heinemann: Sollte es bei dem jetzigen Verhältnis bleiben?

    Brok: Ich meine, dass wir davon ausgehen müssen, dass die reichsten Länder am meisten bezahlen und diejenigen, die Unterstützung notwendig haben, Unterstützung bekommen werden. Aber in diesem Sinne ist es natürlich notwendig, dass Länder, die Fortschritte gemacht haben, jetzt weniger Geld bekommen, weil es sonst für Nettozahler wie Deutschland unerträglich würde.

    Heinemann: Sie sprachen eben von einer unerbittlichen Haltung Spaniens. Österreicher und Deutsche sind aus geographisch naheliegenden Gründen dafür, dass polnische, tschechische oder ungarische Arbeitnehmer in den ersten sieben Jahren nach dem Beitritt nicht uneingeschränkt in EU-Ländern arbeiten dürften. Werden in Wien und Berlin da nicht ähnliche Extrawürste gebraten wie in Madrid?

    Brok: Nein. Diese Übergangsregelungen im Bereich der Freizügigkeit hat es immer gegeben. Sie hat es auch bei den Süderweiterungen gegeben. Die Kommission hat glaube ich einen klugen Vorschlag gemacht, dass es erst mal zwei Jahre besteht, dann wird überprüft und anschließend auf drei Jahre verlängert. Dann haben Deutschland und Österreich die Möglichkeit, noch mal zwei Jahre zuzulegen wenn sie wollen. Dann wird man feststellen, dass man diese Zeit gar nicht benötigt, denn die Horrorzahlen wegen Zuwanderung, die dort gestellt werden, stimmen gar nicht.

    Heinemann: Sie halten sieben Jahre für übertrieben?

    Brok: Man wird es feststellen, dass es übertrieben ist, so dass man sie nicht wahrnehmen muss. Wir müssen sehen, dass über europäische Strukturpolitik und über den Binnenmarkt Perspektiven in den Ländern entstehen, so dass die Menschen ihre Heimat nicht mehr verlassen. Wir haben heute 40 Prozent weniger Wanderarbeitnehmer aus EU-Staaten als vor zehn Jahren, weil man heute nicht mehr aus sozialer Not Andalusien oder Sizilien verlassen muss. Das selbe wird mit Polen und anderen Ländern geschehen.

    Heinemann: Im Deutschlandfunk sprachen wir mit dem CDU-Politiker Elmar Brok, dem Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses des Europäischen Parlaments. - Herr Brok, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio