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EU-Iran-Berichterstatter: Konservative Kräfte im Iran fest verankert

Müller: In der Kraftprobe um die Kandidatenzulassung für die iranische Parlamentswahl haben aus Protest gegen den konservativen Wächterrat gleich mehrere reformorientierte Minister ihren Rücktritt erklärt. Auch Präsident Chatami hat in der Auseinandersetzung mit den konservativen geistlichen Kräften selbst mit Rücktritt gedroht. Gestern jedoch hat er dies ausdrücklich dementiert. Wie auch immer, im Iran gibt es seit Jahren eine heftige Auseinandersetzung zwischen der reformorientierten Regierung und dem Parlament einerseits und konservativen Geistlichen andererseits, die nach wie vor zentrale Schaltstellen der Macht wie beispielsweise den einflussreichen Wächterrat kontrollieren. Am Telefon verbunden sind wir nun mit dem CDU Politiker Michael Gahler, Iranberichterstatter für das Europäische Parlament.

    Guten Morgen.

    Gahler: Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Gahler, die Reformer haben in den vergangenen Tagen versucht die Situation als nicht so dramatisch zu charakterisieren, aber ist es dennoch eine ernste Krise für das Land?

    Gahler: Natürlich ist es eine ernste Krise, wir erleben derzeit einen weiteren Höhepunkt in dem ja seit Jahren andauernden Machtkampf zwischen Reformern und Konservativen. Wobei ich glaube, man muss betonen, dass im Iran solche Schablonen, die wir zum besseren Verständnis der unterschiedlichen politischen Kräfte dort gerne einteilen, die passen da nicht wirklich. Ein wesentliches Unterscheidungskriterium ist da sicherlich, ob man sich letztlich bei der Begründung für sein Handeln auf die Legitimation durch das Volk oder eben durch die Interpretation des Iran als ein politisches Instrument letztlich betrachtet. Die Situation ist so, dass die Reformer ein Stückchen wieder zurückgewonnen haben. Mein Eindruck ist, dass wir jetzt erleben, dass der Wächterrat einlenkt, dass wir sehen, dass 200 Kandidaten, die ursprünglich verboten worden waren, jetzt wieder zugelassen sind und dass daraufhin auch gleich der Innenminister gesagt hat, also jetzt wollen wir aber weitere 600, die bei den letzten Wahlen bereits die Zulassung erhalten haben, dass die auch auf jeden Fall zugelassen werden, da habe ich den Eindruck, dass das jetzt tendenziell in die richtige Richtung geht, aber es ist sicherlich noch nicht genügend. Wir haben gestern zwar von Herrn Chatami gehört, dass er in der Schweiz bei dem Forum in Davos gesagt hat, er würde im Amt bleiben und seine Aufgaben für das Volk erfüllen. Gleichzeitig sagt der Vizepräsident Abtahi, wir kündigen unseren Rücktritt an, wenn nicht wirklich alle zugelassen werden und auch einige Provinzgouverneure, die ja für die Durchführung der Wahl ganz wichtige Schlüsselpositionen inne haben, die haben gesagt, wir treten zurück, wenn diese Wahl nicht wirklich frei ist.

    Müller: Herr Gahler, reden wir einmal über die potentiellen Kandidaten. Sie haben die Zahlen genannt, aber wenn wir richtig informiert sind, geht es insgesamt um 3000, 200 sind jetzt wieder zugelassen worden, 600 sollen noch dazukommen. Das wären 800 von 3000. Wenn wir von den 3000 ausgehen, sind das alle bekennende, potentielle Demokraten?

    Gahler: Das kann man so sicherlich nicht sagen. Ich sagte ja bereits, dass Schablonen die wir uns zurechtlegen zum besseren Verständnis anderer Gegenden, dass die so im Iran nicht passen. Es ist insgesamt ein sehr einzigartiges Land. Da sind Reformer, die wir als Reformer bezeichnen vielleicht im politischen Bereich Reformer, aber wirtschaftlich sind die zum Beispiel dann auch sehr konservativ, die sind dann zum Beispiel in solchen religiösen Stiftungen, Bonyads genannt, organisiert, die haben durchaus was dagegen, dass wir, wie wir zur Zeit mit dem Iran verhandeln über ein Handels- und Kooperationsabkommen, dass wir dort eben mehr wirtschaftlichen Einfluss auch von außen bekommen. Da sind sie dann in den Bereichen konservativ. Und dann gibt es andere, auch im Klerus, die sehr offen sind und eher fortschrittlich, eben das Land nach außen öffnen wollen. Und eine Vielzahl solcher unterschiedlicher Menschen tritt dort an und man kann die nicht in irgendeiner Form jetzt in zwei Lager einteilen.

    Müller: Dennoch die Frage, sind die konservativen Geistlichen, die wir jedenfalls als diese bezeichnen, immer noch, wenn es darauf ankommt, stärker als die so genannten Reformkräfte?

    Gahler: Das ist mein Eindruck. Und sie sitzen ja nicht nur in den formellen Strukturen, das sind sie sogar eher unterrepräsentiert, in Regierung und Parlament. Aber in den informellen Strukturen und in der Justiz sitzen sie ganz fest verankert, sie kontrollieren die öffentlichen Medien, also Rundfunk und Fernsehen im Gegensatz zur Presse, da kontrollieren sie nur einen Teil. Und sie sind letztlich stärker über den Wächterrat und über den weiteren so genannten Schlichtungsrat, Expediency Council, sie haben es über die letzten Jahre erreicht, dass im Parlament verabschiedete Reformgesetze im Bereich Familienrecht zugunsten der Frau, im Bereich der Pressefreiheit und im Bereich auch des Wahlrechtes, dass das einfach blockiert wurde. Der Iran sehe heute anders aus wäre das Parlament jeweils mit seinen Reformgesetzen durchgedrungen. Das zeigt eindeutig, dass bis zur Stunde der Wächterrat und die konservativen Kräfte am Ende dann doch noch stärker sind.

    Müller: Gehen wir auch einmal auf den internationalen Kontext ein, Herr Gahler. Inwieweit könnte der internationale Druck, angeführt durch die Vereinigten Staaten, letztendlich doch kontraproduktiv für die Reformer sein?

    Gahler: Das ist die große Frage. Die Reformer sind ja auch bei der Frage, wie der Einfluss von außen ist, sehr zurückhaltend, dass sie Ratschläge annehmen, sie wollen schon ganz gerne selber die Veränderungen herbeiführen. Aber der Iran hat ja positiv reagiert bei der Problematik um die Unterzeichnung des Zusatzprotokolls zum Atomwaffensperrvertrags wegen seiner Nuklearfabriken zum Beispiel. Oder es hat bei dem Erdbeben dann letztlich doch alle Hilfe von außen, außer der von Israel, akzeptiert und dadurch auch zum Ausdruck gebracht, auch mit den USA sind im Prinzip Ansätze eines Dialogs möglich. Von daher glaube ich, ist es auch im Interesse durchaus der Konservativen, dass eine gewisse Öffnung stattfindet, damit das Land sich nicht noch mehr innenpolitisch verhakt. Auch die Konservativen müssten eigentlich ein Interesse haben, dass eine gewisse Wahlbeteiligung zum Beispiel bei den Wahlen am 20. Februar stattfindet, damit überhaupt eine Legitimation da ist für das Ergebnis, was sie sich aus ihrer Sicht erhoffen.

    Müller: Sind wirtschaftliche Interessen vorrangig entscheidend für den Motor der Öffnung?

    Gahler: Ich glaube schon, dass das Land, das ja ein großes Potential hat mit seinen Erdölreserven vor allen Dingen, dass das Land im Augenblick wirtschaftlich nicht so effektiv wirtschaftet, wie es sein könnte. Und diejenigen, die auch wirtschaftlich die Kontrolle ausüben, die wollen natürlich schon gerne mit der Außenwelt einen möglichst großen Profit erzielen. Sie müssen sich aber schon im Klaren sein, mit der EU gibt es ein Abkommen über Handel und Kooperation auch nur, wenn man für unsere Wirtschaft Öffnung vorsieht, wenn man die WTO-Regeln einhält und, das ist ein wichtiger Punkt für das Europäische Parlament, dass wir einen Vertrag haben, wo wir eine substantielle Menschenrechtsklausel auch drin haben, wie wir es mit allen Drittstaaten haben. Wir als Parlament müssen letztlich dem Vertrag, wenn er denn mal ausverhandelt sein wird, das wird noch einige Zeit dauern, müssen wir letztlich zustimmen. Ich sehe das Europäische Parlament nicht in der Situation, ja zu sagen oder zur Tagesordnung überzugehen, wenn wir den Eindruck haben, dass also substantiell da noch einiges im Argen liegt.

    Müller: Der CDU Politiker Michael Gahler war das, Iranberichterstatter des Europäischen Parlaments. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Gahler: Wiederhören.