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EU-Reaktionen auf Rückzug der CDU-Chefin
Brüsseler Spekulationen über Merkels "Restlaufzeit"

Der Brexit, Italiens Haushalt, die Europawahl 2019: Kanzlerin Angela Merkel hat auf EU-Ebene noch Mammutaufgaben vor sich. Dass sie als CDU-Chefin aufhört, wird in Brüssel mit diplomatischer Zurückhaltung aufgenommen. Deutsche EU-Abgeordnete sagen hingegen ziemlich deutlich, was sie von Berliner Personalien halten.

Von Ralph Sina | 30.10.2018
    EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einem EU-Gipfel.
    Langjährige politische Weggefährten in Brüssel: Kanzlerin Merkel und EU-Kommissionspräsident Juncker (AFP / Alain Jocard)
    Es war eines der beliebten Brüssel Gerüchte: dass die geübte Brüsseler Krisenmanagerin Angela Merkel nach ihrem Abgang aus Berlin eine wichtige Rolle auf der EU-Bühne spielen könnte - zum Beispiel als Nachfolgerin des nicht immer sonderlich diplomatisch-geschickt agierenden EU-Ratspräsidenten Donald Tusk im kommenden Jahr. Doch Merkel hat in ihrer Pressekonferenz alle europapolitischen Ambitionen ausgeschlossen.
    Wenn sie mehr Zeit hätte würde sie ihren Garten etwas besser pflegen und Reisen in andere Zeitzonen machen. Was sie als Kanzlerin schlecht könne weil sie dann völlig entkoppelt sei vom heimatlichen Geschehen hatte Angela Merkel zuvor bereits der Augsburger Allgemeinen anvertraut. Spätestens jetzt ist klar: Merkel wird als Ex-Kanzlerin eines Tages eher nach Boston & Bali als nach Brüssel reisen.
    Zurückhaltung bei Juncker
    Die EU-Kommission gab sich nach Merkels gestriger Paukenschlag-Pressekonferenz betont verschlossen.
    Auf die Frage, ob Merkels Parteifreund und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit der Kanzlerin nach ihrer Pressekonferenz telefoniert habe und wie das Juncker-Team Merkels Machtverlust aus europäischer Sicht bewerte zog sich die Kommissionssprecherin auf die Formulierung zurück man verfolge zwar die deutsche Innenpolitik. Aber man enthalte sich jeden Kommentars. Und beantworte auch nicht die Frage nach telefonischen Kontakten zwischen dem Kommissionspräsidenten und der Kanzlerin.
    Doch auch wenn Jean-Claude Juncker sich öffentlich mit Kommentaren zurückhält. Und Merkels Luxemburger EVP-Parteifreund nicht vergessen hat, dass Merkel ihn vor vier Jahren keineswegs für eine Idealbesetzung an der Spitze der Kommission hielt. Ist Merkels Machtverlust sowohl für das Juncker-Team wie auch für den von ihr sehr geschätzten EU-Ratspräsidenten Donald Tusk ein Problem.
    Denn Brüssel und den EU-Institutionen stehen extrem schwierige Monate bevor: Es gilt einen Chaos-Brexit ohne Scheidungsvertrag zu verhindern. Die Kommission und die Staats-und Regierungschefs müssen eine kluge Antwort auf den italienischen Schuldenhaushalt finden, wenn die Populisten in Rom im nächsten Monat kein überarbeitetes Budget vorlegen.
    Außerdem seht der Europawahlkampf steht bevor, den Europas Rechtspopulisten von Matteo Salvini bis Marine Le Pen nutzen wollen, um eine starke Machtbasis im zukünftigen EU-Parlament zu erreichen.
    Bei den kommenden EU-Gipfeln ist also eine kluge Moderation gefragt - es geht weniger um große Visionen als um Krisenmanagement. Doch die Kanzlerin ist ab sofort vor allem mit dem Management der eigenen Krise beschäftigt - so die Sorge des Juncker-Teams.
    Henkel pro Merz
    Um sie als starke Gipfel-Dramaturgin zu erhalten hatte Haushaltskommissar Oettinger noch kurz vor Merkels Pressekonferenz dafür plädiert die Kanzlerin solle den Parteivorsitz nicht abgeben.
    "Frau Merkel hat ja auch sicher viele Verdienste", gab ihr europapolitischer Kontrahent und Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel heute in Brüssel zu. Um Merkel im nächsten Atemzug dann die Griechenland-Rettung durch die EU, die Energiewende in Deutschland und die Flüchtlingskrise in Europa vorzuwerfen. "Und auch der Brexit ist meiner Ansicht nach teilweise auf sie zurückzuführen" .
    EU-Parlamentarier Henkel von der Deutschen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformen nutzt die Kritik an Merkel in Brüssel gleich um für Friedrich Merz als potentielle zukünftigen CDU-Parteichef zu werben. "Ich bin fest davon überzeigt mit einem Friedrich Merz an der Spitze könnte die CDU sich wieder aufrichten und die AfD halbieren."
    "Die Zeit von Friedrich Merz sei längst abgelaufen meint hingegen der grüne Europaparlamentarier Reinhard Bütikofer. Wenn Friedrich März die Zukunft der CDU sein wolle dann wäre ungefähr so als wolle Rudolf Dreßler die Zukunft der SPD werden. Allerdings sei auch das Ende der Ära Merkel erreicht: Für den Grünen Reinhard Bütikofer steht mit Blick auf die Kanzlerin fest, "dass Ihre Restlaufzeit nur noch von sehr begrenzter Dauer sein wird".