Russisches Vermögen in der EU
Wie Russlands Geld der Verteidigung der Ukraine dienen kann

Seit fast zwei Jahren will die EU an eingefrorenes russisches Staatsvermögen, um die Ukraine zu unterstützen. Erst ging es um die Zinsen, die sich angesammelt haben. Nun geht es um das Vermögen selbst.

    Illustration: Ukrainische Flagge und Euromünzen am Flussufer
    Militärhilfen für die Ukraine könnten auch mit Hilfe von russischem Vermögen in der EU finanziert werden. Das wäre allerdings ein beispielloser Schritt in der jüngeren Geschichte. (picture alliance / imageBroker / Leandro Macari)
    Wie viele Zentralbanken hat auch die russische Zentralbank in der EU Geld angelegt: Hunderte Milliarden Euro russisches Staatsvermögen. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 wurde dieses Geld eingefroren. Russland kann also nicht mehr darauf zugreifen. Es sammeln sich aber weiter Zinsen für dieses Vermögen an.
    Schon seit Anfang 2024 gibt es Bestrebungen innerhalb der EU, dass ein Teil dieser Zinsen der Ukraine zugutekommt. Das ist inzwischen passiert. Nun will die EU auch an das Vermögen selbst.
    Vor allem Bundeskanzler Friedrich Merz setzt sich dafür ein. Doch der Schritt ist juristisch umstritten. Und einige EU-Mitgliedsstaaten stellen sich bislang quer. Warum es jetzt schnell gehen soll und welche Hürden es dabei zu nehmen gilt. 

    Übersicht 

    Um wie viel Geld es geht 

    Es geht um russisches Staatsvermögen zwischen 200 und 250 Milliarden Euro, das Russland in der EU angelegt hat. Davon sollen twa 185 Milliarden Euro in bar in Belgien beim Finanzdienstleister Euroclear liegen. Durch Zinsen wächst das Vermögen parallel weiter. 
    Die eigene militärische Verteidigung kostet die Ukraine pro Kriegsjahr geschätzt zwischen 50 und 70 Milliarden Euro. Würde das russische Vermögen in der EU also dafür genutzt, wäre die Verteidigung der Ukraine für weitere zwei bis drei Jahre finanziert. 
    Bisher hat die EU nur die Zinsen dieses russischen Vermögens in der EU für Militärhilfen herangezogen. Mit einem Teil davon wurde ein 50 Milliarden-Euro-Kredit mitfinanziert. 

    Warum einige EU-Staaten gegen die Nutzung des russischen Vermögens sind 

    Selbst in Kriegszeiten sind eingefrorene Staatsvermögen bisher nicht angerührt worden. Das wäre ein Novum. 
    Weil ein Großteil des russischen Vermögens in der EU in Belgien lagert, hat vor allem Belgien ein Problem mit diesem Schritt. Das hat juristische Gründe: Sollte Russland gegen die Verwendung seiner Gelder klagen und Recht bekommen, träfe das Belgien direkt. Das wäre für den kleinen Staat der finanzielle Ruin. Unklar ist auch, ob die Ukraine die Kredite überhaupt zurückzahlen können wird. 
    Belgiens Ministerpräsident Bart De Wever fordert deshalb Garantien. Alle EU-Mitglieder sollten in einem solchen Fall ihren Beitrag leisten, so De Wever. Außerdem sollten auch andere EU-Staaten mit russischen Vermögenswerten den Zugriff darauf erlauben. So trüge Belgien nicht das alleinige Risiko. 
    Neben potenziellen Gerichtsurteilen und Sanktionen fürchtet Belgien aber auch Rache-Akte vonseiten Russlands. Der Chef des Finanzinstituts Euroclear steht laut dem belgischen Ministerpräsidenten bereits rund um die Uhr unter Polizeischutz. 
    Gleichzeitig würde Belgien nicht mehr von den Steuereinnahmen durch Euroclear profitieren, was für Belgien vielleicht auch eine Rolle spielt. 
    Ein weiteres Argument gegen die Nutzung der Gelder ist die Finanzmarktstabilität. Der Experte für politische Ökonomie Alexander Libman hält Staatsvermögen für „extra geschützt durch höhere Immunitätsregeln“. Schon bevor Zinserträge flossen, sprach er mit Blick darauf von “Enteignung”. Diese könnte aus seiner Sicht Folgen für das Vertrauen von Staaten in den Anlagestandort EU haben. Davor warnt auch die Europäische Zentralbank.

    Welche Argumente dafür sprechen 

    Bundeskanzler Friedrich Merz sieht in dem Schritt die Möglichkeit, eine neue Dynamik in die ukrainisch-russischen Friedensverhandlungen zu bringen. Hätte man mit einem Schlag das Geld, der Ukraine zwei weitere Jahre Verteidigung zu finanzieren, könnte das Russland an den Verhandlungstisch zwingen. 
    Die Bundesregierung ist zudem davon überzeugt, dass die Verwendung der Gelder keine Enteignung wäre, auch die EU-Kommission sieht das so. Denn  das russische Vermögen in der EU soll nicht direkt in die Ukraine fließen. Es soll in der EU bleiben, aber als Sicherheit fungieren. So könnten der Ukraine zinslose Kredite gewährt werden.
    Das heißt, die Ukraine muss das Geld auch irgendwann zurückzahlen. Ob es sich bei diesem Vorgang trotzdem um eine Enteignung Russlands handelt, dazu gibt es verschiedene Positionen.  
    Der Osteuropabeauftragte der Grünen-Bundestagsfraktion, Robin Wagener, sagte im Deutschlandfunk, die Ukraine müsse das Darlehen erst dann zurückzahlen, wenn Russland Reparationen leiste. Diese Vorgehensweise sei völkerrechtskonform. 
    Die Angst Belgiens vor russischer Vergeltung hält der Politologe Josef Janning  für einen typischen „Kleinstaats-Reflex“. Belgien setze sich keiner größeren Bedrohung aus als seine Nachbarstaaten, so seine Überzeugung. 

    Warum die Diskussion gerade jetzt Fahrt aufnimmt 

    Für Deutschland war es lange Zeit kein Thema, das eingefrorene russische Vermögen für die Ukraine zu nutzen. Mitte des Jahres hat die Bundesregierung ihre Position geändert – aus der Not heraus.  
    Die USA unter Präsident Donald Trump haben ihre Hilfe für die Ukraine weitgehend gestoppt. Die meisten großen EU-Staaten haben keine Möglichkeit, höhere Militärhilfen für die Ukraine aus ihren nationalen Haushalten zu zahlen. Die Bundesregierung hat Sorge, dass Deutschland als der mittlerweile größte Unterstützer der Ukraine ohne diesen Weg sehr viel mehr nationales Geld bereitstellen müsste.  
    Im ursprünglichen 28-Punkte-Plan der US-Regierung für einen Frieden in der Ukraine erheben außerdem nun auch die USA Anspruch auf die eingefrorenen russischen Gelder. Bundeskanzler Merz sieht dafür “keine Möglichkeit”. 
    Bis zum EU-Gipfel am 18. und 19. Dezember will er eine positive Entscheidung über die Nutzung des eingefrorenen russischen Staatsvermögens in der EU für die Ukraine erreicht haben. Beobachter sprechen von einem Lackmustest für die europäische Handlungsfähigkeit In Kriegszeiten.  

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